The Informal Thief: „Was für den Drummer ein Metronom ist, ist für einen Folk-Sänger die Emotion!“
Lukas Klestil bezeichnet sich selbst als „The Informal Thief“. Sein neues Album, „Despair of Desire“, erscheint diese Woche samt dazugehöriger Releasetour. Wir haben den gebürtigen Tiroler und Wahlwiener vorab schon mal zum Interview gebeten.
subtext.at: Lukas, gibt es eine Frage, was du gleich hinter dich bringen möchtest?
The Informal Thief: Ganz egal. Ich richte mich da nach dir – vielleicht ist es eh besser, wenn eine Frage, die ich nicht so gerne habe, etwas später kommt. Dann ist man schon im Reden drinnen, da geht das vielleicht gleich leichter.
subtext.at: Alles klar, dann tauchen wir gleich in die Materie ein. Folk-Artists, wie auch du einer bist, haben oft an sich, dass sie Emotion oft auf sehr tragikomische Weise in ihrer Musik thematisieren. Würdest du dem zustimmen?
The Informal Thief: Ja. Ich glaub schon.
subtext.at: Ist das auch etwas, weshalb du von Vornherein im Folk-Bereich gelandet bist?
The Informal Thief: Nein, Grund dafür war das keiner, dass ich da hineingerutscht bin. Zumindest nicht bewusst. Aber ich habe schon das Gefühl, dass sich Folk sehr gut anbietet – eben aus den Punkten heraus, die du gerade beschrieben hast. Emotionen sind im Folk ziemlich offensichtlich – andererseits kann eine Gitarre und eine Stimme alleine auch ziemlich fad sein. Da kommt die Emotionalität dann gleich tragend hinein – weil es eines der wenigen Elemente ist, das diese Musik auch sehr spannend machen kann.
subtext.at: Anna Katt, ein Linzer Duo, das sich in ähnlichen musikalischen Sphären bewegt, hat mir einmal im Interview gesagt, dass ein Konzert immer ein „Striptease“ auf der Bühnen ist – einfach, weil man auf der Bühne ausgeliefert ist, weil man kein Bandsetting im Hintergrund hat?
The Informal Thief: Ja, schon. Wobei ich mittlerweile auch mit kompletter Band spiele – das hat sich insofern schon verändert. Aber klarerweise ist man exponiert, wenn man ein Solo-Konzert spielt. Für mich ist das aber auch ein Vorteil – weil man die Nähe zum Publikum schneller spürt. Man kann sich halt nicht hinter einer Fläche einer vollen Band verstecken. Man lernt es, damit umzugehen – diese Exposition entwickelt sich dann eher zu einem Werkzeug.
subtext.at: Gehen wir mal zurück zu deinen musikalischen Anfängen. Du machst erst seit gut zwei Jahren Musik, und kommst aus einem ganz anderen Eck der Kunst. Warum der Abstecher in die Musik?
The Informal Thief: Zufällig, eigentlich. Das ist komischerweise alles relativ gleichzeitig passiert mit den verschiedenen Zugängen zur Kunst. Wenn man allerdings soetwas macht wie ich – ein Studium, wo man Kunst „lernt“, dann ist der Rahmen schnell mal vorgegeben. In der Musik kann man sich austoben – natürlich könnte man jetzt sagen, dass man sich auf einer Musikuni bewirbt und dann gleich Musiker ist. Das funktioniert so halt auch nicht. Die Leute müssen dich als Musiker bezeichnen, und nicht man selbst. Sobald man das machen würde, wäre das wohl auch ein bisschen problematisch.
subtext.at: Also Kreativität ausleben abseits eines Studienplanes?
The Informal Thief: Ja, schon.
subtext.at: Wenn du diese zwei Jahre Revue passieren lässt – was hat dich am Musikmachen selbst am meisten beeindruckt?
The Informal Thief: Am Musikmachen selbst? (überlegt) Schwierig. Ich glaube, dass es keine „tollen“ Erkenntnisse gibt, sondern eher wichtigere – im Sinne von Entscheidungen, die ich treffen musste und konnte. Etwa jetzt, wo ich draufgekommen bin, dass ein Solo-Projekt eigentlich gar nicht so die Essenz dessen ist, was ich machen möchte. Das war etwa eine „wichtige“ Erkenntnis – da ist man etwa flexibler als Ganzes, was ich sehr angenehm finde. Oder die neue Platte, die mit ganzer Band und lauter ist. Man ist flexibel genug, um sie auch solo zeigen zu können, und man kann andererseits auch als Full-Band-Show lauter machen. Das ist eine Freiheit, die angenehm ist. Wobei es auch lange gedauert hat, darauf zu kommen, dass es so ist. Weil ich mich auch zuerst sehr vehement gewehrt habe, vor allem bei Studio-Aufnahmen, dass auch andere Instrumente hineinspielen.
subtext.at: Würdest du dich dann als stur bezeichnen, wenn du an dein musikalisches Schaffen denkst?
The Informal Thief: Ja. Ich glaube schon, in meinem Fall sicher. Natürlich muss man respektieren, was andere Leute vorschlagen und vor allem machen, aber ich muss stur bleiben, damit es „meine“ Musik bleibt. Ich höre mir viel an, was vorgeschlagen ist, und es ist oft gut, aber im Endeffekt muss ich so dahinterstehen, damit ich auch alleine damit zufrieden bin. Eine gewisse Strenge muss ich dann schon durchziehen – und die muss ich auch mir selber geben, weil ich mich oft dabei erwische, wie ich viele Sachen neu denke. Und wenn man das dann später hört, dann hört es sich oft nicht mehr nach „meiner“ Musik, sondern oft nach einem ganz anderen Projekt an.
subtext.at: Ist „The Informal Thief“ demnach eine Gratwanderung zwischen Soloartist mit Begleitband und einem Full-Band-Projekt?
The Informal Thief: Genau, ja. Da ist ein großer Unterschied dazwischen für mich. Für mich möchte ich aber eher bei „Solo mit Bandbegleitung“ bleiben, als als volle Band zu gelten. Dadurch geht dann aber auch etwas Flexibilität verloren – und das versuche ich zu verhindern.
subtext.at: Es ist ja oft so, dass Musiker selbst oft ihre härtesten Kritiker sind. Wenn du dir das neue Album so wie es jetzt ist anhörst – gibt es hier bereits etwas, was dich daran stört?
The Informal Thief: (entschlossen) Ja. Es gibt da schon ein paar Sachen, wo mich die Arrangements stören. Aber „stören“ ist natürlich streng. Ich habe erst gestern wieder die erste Platte ganz konzentriert alleine durchgehört – die war ja noch solo und komplett selbst eingespielt. Die hat mir eigentlich dann dadurch, dass ich mit ihr wieder sehr zufrieden bin, nachdem ich lange unglücklich damit war, zu dem Gedanken gebracht, dass bei der neuen Platte dann vielleicht doch zu viel probiert worden ist. Ich probiere eher, andere Instrumente eher als Fläche im Hintergrund zu halten als als Melodie. Die Melodie bleibt eh bei Stimme und Gitarre. Und oft ist es dann schwierig, sich einzugestehen, dass man dann doch andere Instrumente auch tragend machen muss, da sonst die Nummer nicht mehr funktioniert.
subtext.at: Das heißt, dass du Angst hast, zu viel innerhalb einer Platte abdecken zu wollen?
The Informal Thief: Ja, und Angst davor, dass die Gratwanderung zwischen Solo-Projekt und einer Platte mit kompletter Band dann doch zu viel ist, und dass Leute dann im Nachhinein sagen, dass das zu viel ist. Es gibt Artists, da findet man alles gut, was ein Künstler macht – der da etwa (deutet auf eine Bowie-Platte), wo jede Platte anders klang als die letzte. Und trotzdem wurde sie gemocht. Auf dem Status befinde ich mich natürlich nicht – und wenn Leute das Soloprojekt lieber mögen, ist das für mich schwierig. Da muss man einen Übergang finden – und das probiere ich dann auch, indem ich neue Dinge auch solo spiele. Um auch denen, die das besser finden, zufrieden zu stellen.
subtext.at: Das erste Mal live gesehen habe ich „The Informal Thief“ am Acoustic Lakeside im letzten Jahr – eine Solo-Performance damals auf der Campfire-Stage. Eine Gitarre, ein Artist, ein Publikum. Wenn du an eine Full-Band-Show mit viel breiterem Klangspektrum im Vergleich zu dieser Solo-Performance siehst – was glaubst du was Leute eher von dir hören möchten?
The Informal Thief: Ich glaube, dass ich diesen Richtungswechsel gar nicht in der Hinsicht bewerte, was die Leute davon halten. Das Wichtigste ist noch immer, dass man das, was man macht, auch selbst vertreten kann – und da sind solche Entwicklungen, die ich gemacht habe, essentiell dafür. Es ist eine Weiterentwicklung, die wichtig ist – ob es den Leuten besser oder weniger gefällt, wird sich zeigen. Seine Entscheidungen sollte man dann doch abseits von Fan-Meinungen bilden, und die dann trotzdem auch nach außen verkaufen. Das spürt man auch auf der Bühne, ob jemand eine Show abliefert, oder ob da Überzeugung dahintersteht. Auf einer Bühne ist man immer Schauspieler, und man kann sich immer präsentieren, wie man möchte. Aber es ist eine Entscheidung, die man selber treffen muss. Natürlich interessieren mich auch Meinungen von Zuhörern, klar.
subtext.at: Du bist auch kein gebürtiger Wiener. Als du nach Wien gekommen bist: war das schwierig für dich, in einer Großstadt sich musikalisch zu akklimatisieren?
The Informal Thief: Das war eher gut, da einfach viel mehr passiert und man schnell viele Leute trifft. Es gibt ja viele Musiker, die sich in dem „Stadium“ befinden, in dem ich mich bewege. Ein Stadium, wo man nicht große Erfolge feiern durfte und konnte bislang. Da gibt es in Wien dann doch sehr viele, und man kann sich gegenseitig aufschaukeln und motivieren. Das war auf jeden Fall förderlich, dass es mehr Möglichkeiten und Locations gibt, wo man sich präsentieren kann. Das ist etwas per se Postitives. Auch meinen Booker habe ich dadurch sehr schnell kennengelernt – ich fühle mich sehr wohl in der Großstadt. Auch wegen einer doch vorhandenen Anonymität und trotzdem eine Vertrautheit – etwa wenn in meinem Stammlokal einen Tisch weiter ein Artist wie der Voodoo Jürgens sitzt. Und es ist nicht der Voodoo Jürgens, sondern der David.
subtext.at: Kommen wir mal wieder zu dir und deinem Schaffen. Viele Folk-Artists, mit denen ich gesprochen habe, verfolgen die Devise „Am Anfang war das Wort“ – und danach kommen die Arrangements drumherum. Ist das bei dir auch so?
The Informal Thief: Es ist relativ zufällig. Ich habe kein wirkliches Schema dahinter. Ich schreibe schon auch viele Texte, ohne eine Melodie dazu im Kopf zu haben. Ich schreibe andererseits auch viel Musik, wo ich keinen Text dazu habe. Ich wüsste jetzt nicht, was häufiger ist. Meistens ist es so, dass ich Musik im Studio aufnehme, und die Vocals dann darum herumbastle, wie es für mich Sinn macht. Aber ich bin kein Musiker, der Geschichten erzählt. Auf keinen Fall.
subtext.at: Anfangs habe ich behauptet, dass Folk vor allem von Emotionen lebt. Glaubst du, dass es auch möglich für dich wäre, Musik ohne diese Emotionalität zu machen – etwa über profane Dinge wie etwa eine Straße oder dergleichen?
The Informal Thief: Also ich persönlich brauche Emotionen sicher – einfach, weil es für mich leichter ist. Aber es gibt sicher Leute, die begabt sind, solche Musik zu machen, ohne totale emotionale Verzweiflung zu brauchen. Voodoo Jürgens geht ja auch ein bisschen in die Richtung – der singt auch über g’schissene Beisln und Kindergeld. Da ist auch keine Emotion dabei und es funktioniert trotzdem hervorragend. Aber es ist einfacher, Emotion hineinzupacken – es ist ein Hilfsmittel. Was für einen Drummer ein Metronom ist, ist für einen Folk-Sänger die Emotion.
subtext.at: Warum glaubst du, dass es eine Hemmschwelle gibt, die Emotion wegzulassen? Einfach weil es leichter ist?
The Informal Thief: Es ist leichter, mit Emotion zu starten – und deshalb machen es sicher viele. Und auch, weil man in Österreich oft darauf wartet, dass es schon jemanden mit Ähnlichem Output gibt, an dem man sich entlanghanteln kann. Wir in Österreich sind generell aber viel zu feige – aber ich gehöre natürlich auch dazu. Da nehme ich mich gar nicht aus.
subtext.at: Bilderbuch, Wanda, Voodoo Jürgens – es ergeben sich wieder neue Entwicklungen und Allenstellungsmerkmale. Eine Chance, die angesprochene Lethargie zu durchbrechen?
The Informal Thief: Es gibt schon viele, die sich zumindest etwas abschneiden wollen und glauben, dass damit Erfolg geben könnte. Ich persönlich tu mir immer schwer mit der „österreichischen Musikszene“ – weil die Umstände des österreichischen Gedankenguts nicht so gut geformt sind, dass man eher imitiert. Dass Bilderbuch funktioniert, ist ja auch über Jahre gewachsen. Ich mag sie auch ganz gern – aber das, was sie früher gemacht haben, verdrängt man halt schnell. Für mich hat das aber eher authentischer gewirkt noch. Jetzt haben sie halt ein Erscheinungsbild, und es läuft. Das ist natürlich auch gut so. Früher war das für mich halt noch Authentischer – da haben sie sich „viel gschissen“, finde ich.
subtext.at: Glaubst du, dass es eine Gratwanderung gibt zwischen „Authentisch“ und „Vermarktung“?
The Informal Thief: Ja, sicher.
subtext.at: Wie schwierig wäre das für dich?
The Informal Thief: Für mich wäre das nicht einfach. Ein großer Schritt, den man sich trauen müsste. Ich bin eher eine feige Sau – ich will ja auch das Rad nicht neu erfinden. Natürlich will man sich abgrenzen – aber wenn das ohne diesen großen Schritt gehen würde, wär das fein.
subtext.at: Zum Abschluss: was soll übrig bleiben, wenn es The Informal Thief nicht mehr geben würde?
The Informal Thief: (überlegt) Vielleicht sollte es einfach vorbei sein, ohne dass was übrig bleibt. Weil ich den Grund jetzt nicht kenne natürlich. Also entweder nix – oder ein deppertes Zitat wie im Pressetext, wie „I’ve no empathy for the current and no repentants for the past“. Vielleicht ist das ganz gut.
Links:
Das neue Werk von The Informal Thief, Despair of Desire, erscheint am 17.3.
Live zu sehen hier
18.3. Krumbach (D) / KRU
19.3. Stuttgart (D) / Cafe Galao
20.3. Wiesbaden (D) / Weinländer
21.3. Wuppertal (D) / Viertelbar
22.3. Köln (D) / Lichtung
23.3. Grevenbroich (D) / Cafe Kultus
24.3. Bremen (D) / Schlachthof w/ Redensart
25.3. Göttingen (D) / Dot’s
26.3. Berlin (D) / Prachtwerk-Songcircle
28.3. Bamberg (D) / Freiraum
29.3. Zürich (CH) / Bagatelle – Songcircle
30.3. Bern (CH) / Zar-Bar
1.4. Meran (I) / Ost West Club*
3.4. Salzburg /Academy Bar
4.4. München (D) / Trachtenvogl
5.4. Nürnberg (D) / MUZ w/ Ian Fisher
6.4. Regensburg (D) /W1
7.4. Innsbruck / PMK*
8.4. Wien / Curtain*