Etwas Üppiges reduziert klingen lassen: TAYLOR SWIFT auf Pfaden der Entschleunigung

Warmherziges für die Zeit(en) im Lockdown: Taylor Swift spendet gleich doppelt Trost und Zuversicht inmitten von politischen wie sozialen Spannungen. Zwei schwelgerische, fließende Veröffentlichung sind im letzten Jahr von ihr überraschend erschienen, die bis zum heutigen Tag nachwirken. Intim, bisweilen melancholisch, aber keineswegs deprimiert präsentieren sich „folklore“ sowie „evermore“ und offenbaren eine Harmonieseeligkeit, die für einen Popstar dieser Größe selten so unprätentiös zu hören ist. Eine Nachbetrachtung.

© Beth Garrabrant

Nun hat es also auch die Swift erwischt. Die 31-Jährige versucht sich an Biografischem im abstrahierten Folkpop-Gewand. „folklore“ (veröffentlicht im Juli 2020) und der Nachfolger „evermore“ vom letzten Monat sind zwei große kleine Alben, die ohne großes Marketing herausgebracht wurden und vielleicht auch deswegen in idyllischer Nachdenklichkeit reifen konnten. Mit sechszehn Songs (!) dient „folklore“ als neue Standortsbestimmung, „evermore“ mit fünfzehn Liedern als nicht weniger beachtliche Erweiterung dazu. Es werden Geschichten in akustischer Storytelling-Manier erzählt, über „betty“, „ivy“, „marjorie“ oder „dorothea“, während die Musik sacht pulsierend und sinnsuchend durchs Unterholz wandert. Als Zuhörer besuchen wir Orte wie „coney island“, schlagen uns mit „champagne problems“ herum, schwelgen im Monat „august“, streifen uns einen „cardigan“ über, um nicht zu frieren und sinnieren, wie könnte es anders sein, über „the last great american dynasty“. Natürlich geht es um Ex-Liebschaften, wie man es bereits von Swift gewohnt ist, und neuen Romanzen, um Perspektivenwechsel und wohlige Erinnerungen an die eigene Kindheit. Dass Traurigkeit bisweilen auch unbekümmert, geradezu leicht und schwebend klingen kann, beweisen diese beiden Platten.

Das bewusst komprimiert gehaltene Klangbild wurde mit prominenten Mitstreitern entworfen. Jack Antonoff (Sia, Pink, Lana Del Rey) hat etwa dafür gesorgt, den Pop nicht vollkommen aus den Augen zu verlieren. Dann sind da noch zur großen Überraschung die krediblen Indie-Darlings von The National und Justin Vernon von Bon Iver dabei, die bekanntermaßen an chronischem Liebeskummer leiden. Swift hat mit ihnen zusammen einen Paradigmenwechsel angestrebt, bedingt und befürwortet durch Covid-19, der eine behagliche Wärme ausstrahlt und in Songs wie dem berührenden „exile“, im anschwellenden „this is me trying“ oder im ätherischen „epiphany“ besonders gut zur Geltung kommt. Diese Vision, dieses gemeinsame Vorhaben, ist letztlich für alle Beteiligten so gut zustande gekommen, dass die Zusammenarbeit in einer Fortsetzung gemündet hat. Der Wille zur Bescheidenheit sticht sowohl auf „folklore“ wie auch auf „evermore“ deutlich hervor und ist damit vor allem ein konträrer Ansatz zu den letzten Veröffentlichung der Amerikanerin, die mit ihrem bunten Pop-Bombast gerne übers Ziel hinausgeschossen sind.

Nichtsdestotrotz sind das hier weiterhin zwei lupenreine Pop-Alben. Die Produktion ist auf dem neuesten Stand und keineswegs so Lo-Fi, wie man es vielleicht wegen der Kollaborateure vermuten, ja wollen würde. Es tummelt sich Material wie „gold rush“ mit sanftem Beat, das elektronisch angehauchte, flotte „long short story“ oder das eingängig twangelnde „no body, no crime“ (mit den Damen von HAIM), die der Swift-Zielgruppe bestimmt ohne Stirnrunzeln zusagen werden. Wer sich daran nicht stört, für den ist diese Art der Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit, nach Altbekanntem an Stelle des Vorwärtsdrangs und der Hektik, ein zwar auf den ersten Blick entrücktes, aber auf den zweiten ein höchst willkommenes Unterfangen.

Tracklist „folklore“:
01. the 1
02. cardigan
03. the last great american dynasty
04. exile (feat. Bon Iver)
05. my tears ricochet
06. mirrorball
07. seven
08. august
09. this is me trying
10. illicit affairs
11. invisible string
12. mad woman
13. epiphany
14. betty
15. peace
16. hoax

Tracklist „evermore“:
01. willow
02. champagne problems
03. gold rush
04. ‚tis the damn season
05. tolerate it
06. no body, no crime (feat. HAIM)
07. happiness
08. dorothea
09. coney island (feat. The National)
10. ivy
11. cowboy like me
12. long short story
13. marjorie
14. closure
15. evermore (feat. Bon Iver)

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Fotos: Beth Garrabrant

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