Von Abrissbirnen und Aszendenten

 

Die Vorrunde der Fußball-WM biegt in die Zielgerade. Zeit also, um ein Fazit über die bisherigen Geschehnisse zu ziehen.

Die ersten Entscheidungen sind gefallen. Griechenlands Abwehrbeton war ebensowenig standhaft wie die nordkoreanische Defensivfestung. Englands Torhüter Robert Green reihte sich nahtlos in die zweifelhafte Tradition der englischen Nationaltorhüter ein und Argentiniens Spieler haben vor den Küssen Diego Maradonas nach der Auswechslung so viel Angst, dass sie am Spielfeld freiwillig um ihr Leben laufen. Südafrikas Bafana Bafana ist zwar ausgeschieden, kann aber zumindest behaupten, Frankreich mit in den Urlaub genommen zu haben. Die ehemalige „Grande Nation“ zeigte sich im Süden Afrikas eher als „Grant-Nation“, und Nicolas Anelka durfte nach den verbalen Ergüssen gegen Tranier Raymond Domenech  seinen Grant gleich mit in die Heimat nehmen. Fußballherz, was willst du mehr?

Apropos Raymond Domenech. Der hat von vornherein schon das Potenzial, auf Jahrzehnte hin zum Kult zu werden – stellte dieser doch bei seiner Antrittskonferenz im Jahre 2004 gleich klar, mit welchen taktischen Mitteln er die „Bleus“ zum Erfolg führen würde: „Mein Name ist Raymond Domenech. Ich bin Sternzeichen Wassermann, Aszendent Jungfrau“. Zumindest in diesem Jahr dürfte ihm die Sterne aber ungünstig gesinnt gewesen sein. Nach dem blamablen Auftritt wurde die Zukunft des Nationalteams zur Chefsache erklärt – Thierry Henry muss zum Rapport bei Präsident Sarkozy antreten. Ein weiteres Zeichen dafür, wie lösungsorientiert die Politik in Zeiten von Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit arbeitet und wie nah an den Problemen des Volkes sie wirklich ist.

Kim Jong Ils Abrissbirne
Weiter aber zu meinem persönlichen Highlight des Turniers. Nordkorea. Was war das nicht für eine Szene, als deren Sturmtank Tae-Sae Jong, vom eigenen Trainer noch als „Abrissbirne“ bezeichnet, beim Erklingen der pompösen Melodie der Hymne des Landes des geliebten Führers in Tränen ausbrach? Auch wenn die Abrissbirne gegen die gegnerischen Abwehrbollwerke bislang ohne Wirkung blieb, wird er wohl trotzdem der einzige sein, der nach der Rückkehr einen Pokal erhalten wird. Bleibt nur zu hoffen, dass es der aktuellen Mannschaft besser geht als der von 1994, deren Spieler nach Niederlagen gegen Südkorea und Japan nicht mehr ausreisen durften. Erst 1998 nahm Nordkorea deshalb wieder an internationalen Spielen teil. Weiters muss man die Daumen drücken, dass Nationalcoach Kim Jong-Hun seinen Kopf nicht buchstäblich hinhalten muss, sollte Nordkorea wider Erwarten doch nicht Weltmeister werden.

Doch das richtige WM-Fieber kommt bei mir von Vornherein erst in der K.O-Phase. Ich würde mich ja auf Partien wie Holland-Deutschland, Argentinien-Brasilien und weitere Kracher freuen – bis dorthin muss ich mich leider noch weiterhin mit Krachern wie Nordkorea-Elfenbeinküste und Paraguay-Neuseeland herumschlagen. Trotzdem in diesem Sinne: Lasset die Spiele (jetzt wirklich) beginnen!

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.