Juli: „Wenn wir nicht erfolgreich gewesen wären, würden uns bestimmt einige Leute noch cool finden“
Juli hatten schon immer ein Faible für das Arrangieren von großen Momenten in kleinen Popsongs. Die Mittel dazu sind aber inzwischen ein wenig anders. Wie heißt es so schön: Gewagt und gewonnen. Mit „In Love“ hat sich die Formation um Aushängeschild Eva Briegel quasi neu erfunden. Wo früher die gute Laune im Vordergrund stand, stehen jetzt triste Texte und elektronisch verfeinerte Melodien. Dunstige Synthesizer wabern durch das Klangbild, ab und ab wird in die Hände geklatscht und euphorisch oder verhalten gerockt. Insgesamt überwiegt auf „In Love“ aber die süße Lethargie.
Während Eva Briegel mit ihrem Kind Yoko die Zeit verbringt, plaudern wir mit Simon Triebel (Gitarre) & Marcel Römer (Schlagzeug) über das aktuelle Album „In Love“, Erwartungshaltungen und Punschkrapfen.
subtext.at: Welche Musiker haben euch zum Musik machen inspiriert?
Simon Triebel: Anfang der 90er, als ich Gitarrenmusik für mich entdeckt habe, waren das natürlich Nirvana und Pearl Jam und die gesamte Grunge-Ära. Damals war Kurt Cobain definitiv ein großer Antrieb. Die raue Energie hat mich angezogen, aber auch, dass im Kern von Nirvana die Popmusik vorzufinden war. Sie hatten auch ein sehr kompaktes Songwriting. Im Nachhinein lässt sich das viel besser beurteilen, was mich angezogen hat, weil damals habe ich das gar nicht so bewusst wahrgenommen.
Marcel Römer: Komischerweise habe ich zuerst Musik gemacht, bevor ich Musik überhaupt richtig gehört habe. Mit zehn oder elf habe ich angefangen, Schlagzeug zu spielen. Damals hatte ich noch gar keine Lieblingsband oder Künstler. Eigentlich war ich der Metal-Typ, ich fand Sachen wie Anthrax geil (lacht). Mein Bruder hat auch Schlagzeug gespielt, deswegen bin ich wohl mit Metalrythmen in Berührung gekommen (lacht). Irgendwann habe ich das selber aufgegriffen.
(überlegt kurz) Früher fand ich auch Die Ärzte groß.
subtext.at: Hat sich das inzwischen geändert?
Marcel: Es hat sich alles geändert. Damals war es halt so.
subtext.at: Habt ihr mitbekommen, wie sich Leute von euch abgewandt haben, als ihr richtig erfolgreich wurdet?
Marcel: Total.
Simon: Haben sich Leute von uns abgewandt, die uns vorher gut fanden?
Marcel: Ja, klar. Das erste Album haben wir ja eigentlich schon zwei Jahre zuvor in den Städten bespielt. Bestimmt haben uns da Leute schräg angeguckt, als es dann richtig erfolgreich wurde
Simon: Wir hatten zwar nie diese Indie-Fanbase, die nicht damit klar kam, dass wir erfolgreich waren. Wir haben immer schon Popmusik gemacht.
Marcel: Das stimmt. Wenn wir nicht erfolgreich gewesen wären, würden uns bestimmt einige Leute noch cool finden.
subtext.at: Haben sich die Erwartungen mit eurem zweiten Album „Ein neuer Tag“ gesund geschrumpft?
Marcel: Das ist ja ein Zitat von Wir Sind Helden: „Gesund geschrumpt.“ Sie haben einmal gesagt, dass sie sich mit der dritten Platte gesund schrumpfen mussten (lächelt). Bei uns? Weiß ich nicht. (überlegt) Mit unserem zweiten Album hatten wir live-mäßig den Zenit, würde ich sagen. Wahrscheinlich ist es beim dritten Album jetzt so, dieses gesund schrumpfen – wenn es denn so ist.
subtext.at: Habt ihr euch über die Jahre stärker verändert oder eurer Umfeld?
Simon: Stärker wir selbst, glaube ich. Zuerst haben sich unsere Musikgeschmäcker verändert, weil wir auch immer offen waren gegenüber Stilen und Richtungen. Viele Leute fragen uns: „Warum habt ihr jetzt elektronische Elemente aufgegriffen?“ Unsere Antwort: „Weil wir teilweise auch solche Musik hören.“ Wir wollen den Leuten nicht noch einmal „Es ist Juli Vol. 2“ vorsetzen.
subtext.at: Mit „In Love“ seid ihr vielfältiger geworden. Ihr geht mehr denn je in die musikalische Breite, probiert mehr herum, was die einzelnen Songs angeht.
Marcel: Das hast du goldrichtig erkannt (alle lachen)!
Simon: Wir haben uns vorgenommen, Songideen konsequenter zu verfolgen. Wenn ein Song beispielsweise einen Chanson-artigen Ansatz hat, dann haben wir früher versucht, einen Juli-Song daraus zu machen. Jetzt geben wir dem eine Chance, in „Paris“ beispielsweise. (überlegt kurz) Dadurch ist auch diese Breite entstanden bei dem Album. Bei „Süchtig“ funktioniert die Nummer eigentlich nur mit Bass und Schlagzeug, die Gitarren sind vielmehr Beiwerk. Eine Nummer, die sehr nach vorne geht und tanzlastig ist.
subtext.at: Birgt „In Love“ jetzt mehr Abwechslung oder Angriffsfläche?
Marcel: Beides. Mehr Abwechslung bietet doch immer mehr Angriffsfläche – oder? Natürlich gibt es Leute, die sich fragen werden „Hä, was ist denn das jetzt?“, vor allem dann, wenn sie Fans der ersten beiden Alben sind. Andere Leute springen hoffentlich jetzt auf den Juli-Zug auf. Zumindest hoffen wir das (lächelt).
subtext.at: Im privaten Umfeld habe ich das auch festgestellt: Ihr werdet von denen gemocht, die euch vorher nicht so gut fanden.
Simon: Das ist schön, das freut uns.
subtext.at: Gab es beim Entstehungsprozess von „In Love“ Bedenken, dass ihr bestimmte musikalische oder künstlerische Grenzen nicht überschreiten könnt?
Simon: Ich sehe das eher so, dass wir mit „In Love“ eine Tür für uns aufgemacht haben. Wir können auch viele neue Erkenntnisse mitnehmen, auch in Hinblick auf Album Nummer vier.
Marcel: Sehe es ungefähr auch so.
Simon: „In Love“ war für uns wie eine Suche. Nach neuen Facetten, nach neuen Möglichkeiten. Wir haben dadurch eine Menge an Selbstsicherheit gewonnen.
subtext.at: Ist es schwieriger, die selbst auferlegten Grenzen zu überwinden oder die Hürden, die einem von außen auferlegt werden?
Marcel: Die selbst auferlegten. Bei mir ist es zumindest so.
Simon: Von außen haben wir das gar nicht so, dass man uns gewisse Grenzen aufzeigt, weder von Plattenfirma noch vom Management. Die haben natürlich auch ihre Interessen und sie hoffen, dass man sich in gewisse Richtungen entwickelt, aber das war nie ein ausschlaggebender Grund für uns. Wir haben das immer autark durchgezogen und eher mit uns selbst gekämpft.
subtext.at: Entscheidet ihr über gewisse Dinge frei aus dem Bauch heraus oder diskutiert ihr ellenlang darüber?
Marcel: Generell wird alles totdiskutiert (lacht).
Simon: Das stimmt.
subtext.at: Weil euer aktuelles Album „In Love“ heißt – ist Liebe für euch ein illusorischer Begriff oder gibt es sie wirklich?
Simon: Liebe gibt es wirklich, aber ich glaube, dass es diese illusorische Liebe auch gibt. Viele Arten von Liebe, die im Fernsehen, im Kino oder auch in Musik vorgegaukelt wird, existieren nicht. Manchmal schreibt man selbst über diese illusorische Liebe, weil man das sich auch selbst ersehnt. Liebe an sich gibt es aber definitiv.
subtext.at: Weiß man manchmal über andere mehr als über sich selbst? Manchmal denkt man sich ja in Personen hinein, um Songs schreiben zu können.
Simon: Es gibt ja autobiographische Texte und solche, in denen man etwas konstruiert. Aber es kommt ja immer von einem selbst heraus, es ist ja nie etwas Fremdes.
subtext.at: Es gibt Künstler, die nichts von sich selber erzählen, die Leute aber trotzdem oder gerade deswegen darauf abfahren.
Simon: Das ist nicht unser Ansatz, bei uns ist es nicht so.
subtext.at: Seid ihr melancholische Menschen?
Simon: Manchmal (lacht).
Marcel: Von mir würde das keiner behaupten, aber ich bin es (lacht). (lange Pause) Ich bin einer, aber die Leute, die mich kennen, würden auf den ersten Blick sagen: „Nein, der ist kein melancholischer Mensch.“
subtext.at: Warum würden sie das sagen?
Marcel: Weil ich nach außen oft fröhlich bin – und erst im stillen Kämmerlein nachdenklich (lacht). Ich bin ein Zweifler…
subtext.at: Mit Paris assoziiert ihr die Liebe. Was bringt ihr mit Wien in Verbindung?
Simon: Punschkrapfen!
Marcel: Mein Vater hat vierzehn Jahre hier in Baden gewohnt, deswegen bin ich eigentlich ein halber Wiener (spricht mit Dialekt & lacht). Es ist ziemlich geil, hier zu sein. Als Siebenjähriger hat mich so etwas wie der Stephansdom überhaupt nicht interessiert – heute gehe ich herum und fotografiere den ganzen Kram (lacht). Punschkrapfen lieben wir natürlich auch!
Simon: Wien bringen wir auch mit großartiger Architektur in Verbindung und mit tollen Künstlern, sowohl die musikalische Fraktion als auch was die bildende Kunst angeht.
Marcel: Da scheiden sich ja die Geister, aber ich mag den Schmäh hier auch (lächelt). Ein arrogantes Volk, aber das finde ich auch gut (grinst gemein).
subtext.at: Im Internet habe ich ein treffendes Zitat über Eva gefunden: „Die Beste Sängerin unter der Sonne ist sie wohl nicht, trotzdem finde ich ihre Stimme schön.“ Was sagt ihr dazu?
Simon: Was mich schon immer bei Eva fasziniert hat, ist die Ehrlichkeit, die in ihrer Stimme liegt. Gibt ja ganz viele Sänger, die versuchen, ihre Stimme in ein bestimmtes Gewand zu stecken, beispielsweise bei deutschem Soul. Hat dann meistens einen komischen Unterton. Gibt nur wenige Sängerinnen in Deutschland, die solch eine wahrhaftige Stimme haben.
Marcel: Wenn Juli-Songs in Castingshows vorgetragen werden, hört sich das total falsch an, weil die mit Soulstimme auf Mariah Carey machen und der Song dafür aber nicht gemacht ist. Deutsche Lieder werden oft wie Amisongs gesungen, was sich ganz schrecklich anhört. Daran sieht man eigentlich, wie gut Eva die Songs eigentlich performt. Das ist gar nicht so einfach.
Links & Webtips:
www.juli.tv
http://de.wikipedia.org/wiki/Juli_(Band)
http://www.facebook.com/julimusik
Foto: Universal Music // Sven Schier