Present Shock: der Strudel der Gegenwart. Ein Fluch?

Mit seinem neuen Buch „Present Shock – Wenn alles jetzt passiert“ hat sich der New Yorker Douglas Rushkoff einiges vorgenommen. Facebook, Twitter, Instagram – wie beeinflusst die Beschleunigung unseres Alltags unser Leben und unsere Wahrnehmung? Unterteilt in fünf handliche Kapitel, versucht Rushkoff uns einen Einblick in die Dynamik unserer Zeit zu geben.

„Unsere Gesellschaft konzentriert sich auf den gegenwärtigen Moment. Wir erleben alles im Live-Ticker, in Echtzeit, always-on.“

Diese ersten beiden Sätze sind der Ausgangspunkt. Wir können nicht mehr auf die Straße gehen, ohne mit Medien in all ihren Formen konfrontiert zu werden. Wie sich das auswirkt, worin diese Entwicklungen ihren Ursprung nahmen, wo sie in der Gesellschaft zu verorten seien – all das setzt Rushkoff kritisch und in verständlicher Sprache in einen Zusammenhang.

Wie hängen der Boom von Freestyle-Sportarten und der vermeintliche Niedergang der Erzählkultur zusammen? Im ersten Kapitel, mit dem klingenden Titel Narrativer Kollaps, wird anhand einer scharfen Analyse von Fernsehserien wie den Simpsons die Veränderung der Erzählung beschrieben und wie sie mit gesellschaftlichen Entwicklungen zusammenhängt. Der Sinn von Erzählungen ist laut Rushkoff die Möglichkeit der Realitätsbewältigung, wir können anhand von Mustern und Szenarien unseren Alltag besser begreifen und bekommen oben drauf noch Wertvorstellungen vermittelt. Was passiert, wenn sich diese Szenarien verändern, sich verkürzen, keine Zeit mehr bleibt, um eine Geschichte mit Anfang, Hauptteil und Schluss zu erzählen?
Prototypisch für ein solches Format wäre Family Guy, wie gemacht für den kleinen Konsum zwischendrin, Gags stehen meist in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt, verzögern vielmehr das Voranschreiten der Handlung. Perfekt für YouTube, jeder Gag kann einzeln angesehen werden und die eigentliche Handlung spielt nur eine untergeordnete Rolle. Als Ersatz für den fehlenden Inhalt bekommt man einen Teller voll mit Anspielungen und satirischen Verweisen serviert. Für viele ein Anzeichen für den Verfall der Erzählung, für Rushkoff stellt es eine Übung in Echtzeit dar. Um die vielen Anspielungen zu verstehen, muss der Konsument in der Lage sein, bestimmte Muster innerhalb kürzester Zeit zu erkennen. Werbung, Religionen, kommerzialisierte Kunst und andere Fernsehformate – Grenzen für diese Parodien gibt es nicht.
In dieser Fixierung auf das „Jetzt“ liege auch der Ursprung der Freestyle-Sportarten, wie Snowboarden oder Skateboarden. Es werden keine zeitaufwendigen Hierarchien benötigt (etwa ein Trainer mit Trainingsplan beim Fußball) um den Sport überhaupt ausüben zu können, sondern es geht dabei um Improvisation und Gefühl. Jede Straße, jede Stufe kann für einen Skateboarder eine Chance darstellen, wie für den Snowboarder das Fahren abseits der öffentlichen Pisten.

Großteils wertungsfrei legt Rushkoff Zusammenhänge frei und zeigt damit auf, was wir alle erleben, aber nicht Worte fassen können. Wie oben kurz dargestellt argumentiert er einfallsreich und spannt einen Bogen über die technologischen Innovationen seit der industriellen Revolution bis jetzt. Fast schon im Plauderton berichtet er von seinen Beobachtungen und seinen Schlüssen, wissenschaftlicher Jargon wird meist gemieden und nur eingesetzt, wenn es gar nicht anders geht.

Douglas Rushkoff wurde vielen bereits in den frühen 1990er ein Begriff, als er sich noch zur Cyberpunk-Szene rechnete. Inzwischen berät er die UNO in Fragen der Netzkultur und verfasst Kommentare für CNN. Er lebt und arbeitet in New York.

Erschienen 2014 bei orange-press/ Freiburg. Aus dem Amerikanischen von Gesine Schröder und Andy Hahnemann.

 

Schreibt seit längerem, macht noch länger Musik. Mal erfolgreich, mal weniger - und versucht das Beste aus dem doch irgendwie dörflichen Innsbruck zu machen.