Sebastian Sturm: „Ich bin experimentierfreudiger geworden“

Geht es um deutsche Reggae-Artists, denkt man wohl zuerst an Gentleman. Dahinter tummeln sich aber allerhand talentierte Artists, die auf eine bewegte Historie zurückblicken können. Einer davon ist Sebastian Sturm. Der Aachener mit indonesisch-deutschen Wurzeln ist seit einem Jahrzehnt im Roots-Reggae unterwegs und tourt noch immer regelmäßig quer durch Europa.

Im Rahmen des ersten „Irie Vibes“-Konzertes in Wels hat sich der sympathische Künstler für ein Interview über Roots, verschiedene Backing Bands und „nerdmäßige“ Zugänge zum Reggae Zeit genommen.

subtext.at: Wenn du mal an 2011 zurückdenkst – da hattest du mit „Get up & Get Going“ mitten im Reggae-Boom eine neue Platte am Start. Festivals wie Chiemsee Reggae Summer waren riesengroß – mittlerweile gibt es das in dieser Form nicht mehr. Hattest du beim nächsten Album, „A Grand Day Out“, das 2013 erschienen ist, auch das Gefühl, dass Flaute herrschte?
Sebastian Sturm: Klar kriegt man das mit, wenn man 10 Jahre lang im Reggae unterwegs war. Ich bin ja 2006 eingestiegen – da war noch der Reggae-Boom zu spüren. Gentleman hatte „Journey to Jah“ draußen, Patrice hatte sein Hitalbum. Reggae war damals in aller Munde, ja. Reggae-Parties waren auch gut besucht. Die Ups habe ich genauso wie die Downs mitbekommen. Aber wenn man sich für eine Subkultur entscheidet, muss man mit denen auch leben.

subtext.at: Stichwort „Reggae als Subkultur“ – dieser Meinung war auch Gentleman im Jahr 2008 im Interview. Läuft das in dieser „Subkultur“ immer in solchen Wellen ab, eben weil sie auch in sich selbst abgeschottet bleibt?
Sebastian Sturm: Ich denke schon, ja. Es braucht immer wieder mal einen Radiohit – also ja, etwas kommerzielleren Reggae. Damit auch die Masse wieder mehr Lust auf Reggae haben, einfach weil sie den Song cool finden und sich dann das Album kaufen. Und darüber dann entdecken sie auch andere Künstler in derselben Welle. Aber ich glaube ja, dass Roots-Reggae zum Beispiel, solange es Bands wie uns gibt, die eben diesen alten, handgemachten Reggae-Stil weiter betreiben, auch weiter seine Daseinsberechtigung hat.

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subtext.at: Du hast gerade den „kommerziellen Reggae“ angesprochen. Muss kommerzieller Reggae immer Roots Reggae – mit dem klassischen One-Drop-Riddim – sein? Oder kann das mittlerweile ssauch wieder ein Dancehall-Song sein?
Sebastian Sturm: Auf alle Fälle, ja. Ich glaube, dass in unserer Zeit ist es eher angesagt, dass sich Hip-Hop-Artists auch auf Reggae-Beats wiederfinden. Auch um sich anders geben zu können. Da sind die auch auf jeden Fall besser auf Dancehall-Beats aufgehoben als auf einem swingendem Roots-Riddim.

subtext.at: Steht man dann als Roots-Artists auch auf verlorenem Posten – gerade wenns um Features auf Dances, Dubplates und Co geht?
Sebastian Sturm: Naja, es gibt schon DJs, die das ganze Repertoire spielen. Bis zehn Uhr am Abend dann halt Roots, und zur Primetime werden natürlich dann die Dancehall-Bretter gespielt. Dann zum Rausschmiss dann natürlich auch nochmal Bob Marley. Das hat sich so eingebürgert. Roots-DJs, die auch zur Primetime das spielen, sind rar geworden. Ich würde es mir aber wünschen, das wäre für mich die beste Party (lacht).

subtext.at: Gehen wir mal zurück zu „One Moment in Peace“, das 2006 erschienen ist. Im Rückblick – wie hat sich dein Zugang zu Roots im Generellen und zu dieser Platte im Speziellen verändert?
Sebastian Sturm: Schwierige Frage. Ich glaube, auf der „One Moment in Peace“ war ich auf jeden Fall noch auf dem Trip, es so zu machen, wie es früher Bob Marley gemacht hat. Was die Studioarbeit angeht zumindest. Bob Marley war die Messlatte – und dann haben wir uns selber so doofe Regeln auferlegt, welche Instrumente üblich sind und verwendet werden können und welche nicht. Da waren wir jedenfalls noch viel fanatischer, was den Sound anging (lacht). Mit „Get up & get Going“ fingen dann eher schon die Experimente an. Fast so, als ob man mit „One Moment in Peace“ sein „Studium“ abgeschlossen hat und danach anfängt, darauf aufzubauen.  Und dann seinen eigenen Stil zu finden.

subtext.at: Also „One Moment in Peace“ als Basis für all das, was folgte?
Sebastian Sturm: Ja. Ich muss ja auch sagen, wenn ich Songs covere, dass ich sehr viel schneller über die Musik lerne, als anders.

subtext.at: Bist du auch perfektionistischer geworden im Laufe der Jahre, oder ist da eher die Routine eingekehrt?
Sebastian Sturm: Perfektionistisch war ich zur „One Moment in Peace“. Da war ich sehr nerdmäßig unterwegs. Mittlerweile habe ich mit der Exile Airline-Band gute Partner gefunden. Der Leadgitarrist kann viel besser Gitarre spielen als ich selbst, der Bassist ist viel besser, und ich habe meine Chords und Melodien eingebracht. Da wird dann zusammen in einem Topf gerührt.

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subtext.at: Also ist die Backing Band kein klassischer Zulieferer von Riddims, die alles auf den Leadsänger zuschneiden?
Sebastian Sturm: Nein, auf keinen Fall. Ich bin auch froh, dass ich nicht so eine Band habe. Eigentlich bin ich ja Gründungsmitglied von Exile Airline – dadurch, dass ich aber schon vorher unter dem Namen Sebastian Sturm aufgetreten bin und der auch zu einem Branding geworden ist – gerade in Frankreich. Als die Promoter gehört haben, dass Sebastian Sturm jetzt als Band unterwegs ist und auch anders heißen soll, haben die buchstäblich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Aber die Band funktioniert bewusst auch als Band. Ich habe auch in der Produktion von „Get up & Get Going“ Leute gefunden, mit denen ich auf Augenhöhe arbeiten kann. Auch wenn ich der einzige bin, der das Instrument nicht studiert hat. Unser Keyboarder Joonas hat Arrangement studiert – und wenn ich dann mit was ankomme, dann können wir auch verschiedene Optionen daraus machen. Das war früher nicht möglich.

subtext.at: Mit „Exile Airline“ macht es also wieder eher Spaß im Vergleich zum vorangegangenen „nerdmäßigen“ Zugang?
Sebastian Sturm: Ganz sicher, ja. Den Spaß haben wir uns zurückerobert. Das habe ich auch gebraucht. Ich war fünf Jahre lang mit der „Jin Jin Band“ unterwegs – einer der ältesten Roots-Bands in Aachen. Zum Teil waren die auch zehn Jahre älter, und nachdem die damals einen neuen Sänger gesucht haben, hat sich das damals eher so ergeben.

subtext.at: Also ein Zufallsprojekt?
Sebastian Sturm: Ja, das Schicksal hat da sicher mitgespielt. In den Jahren habe ich auch Einiges von denen gelernt, das Touren war auch sehr spaßig (lacht). Wir haben zwei Platten produziert – und bei der zweiten habe ich gemerkt, dass ich, wenn ich das angesprochene „Experimentiellere“ machen möchte, ich mir andere Leute suchen muss.

subtext.at: Kommen wir zum Inhaltlichen. Inwieweit bist du da experimentierfreudiger geworden, auch abseits der klassischen „Peace, Love, Unity“-Roots-Themen?
Sebastian Sturm: Ich habe immer mal wieder diese klassischen Themen eingebracht, weil das halt einfach der Kern von Roots ist. Das hat auch mich zum Reggae gebracht. Aber ich habe schon damals, mit dem ersten Album, dass meine Lyrics nicht nur voll von „Jah Rastafari“ sind (lacht). Das beruht aber auch auf meinem Respekt dieser Kultur gegenüber. Ich bin ein totaler Fan davon, aber ich wusste damals natürlich nicht, wie man „Rastafari“ lebt. Klar habe ich Dokus gesehen und die wenigen Bücher, die es gibt, gelesen. Aber mehr als diesen Wissensstand hatte ich nicht. Cool war, dass wir zum Mischen von „A Grand Day out“ nach Jamaika geflogen sind – das war schon ein besonders Gefühl dann.

subtext.at: Uwe Banton (ein anderer deutscher Roots-Artist, Anm,) hat mal zu mir gemeint, dass Reggae weniger Musik als eine Lebenseinstellung ist. Für dich auch?
Sebastian Sturm: Da mag er auf jeden Fall Recht haben. Nachdem ich jetzt auf Jamaika war und gesehen habe, wie die Dinge dort laufen, ist da auf jeden Fall was dran, ja. Wir europäischen Reggae-Fans und Musiker können uns das glaube ich ja gar nicht komplett vorstellen – wir interpretieren und nehmen uns die Themen raus, die uns zusagen. Aber letztendlich ist das Leben dort so völlig anders, dass man das gar nicht alles eins zu eins durchziehen kann. Ich habe in Frankreich einige Reggae-Freaks kennen gelernt – die haben auch die Dreads, den Selassie-Button auf der Brust, und waren auch noch nie auf Jamaika. Was aber auch völlig ok ist.

subtext.at: Du bist schon seit zehn Jahren on stage – dein absolut beschissenster Moment?
Sebastian Sturm: (überlegt lange). Da gab es viele, von Technikproblemen bis Anreisestrapazen. So beschissene Dinge sind eher die Autopannen, wo du es nicht mehr zum Konzert schaffst und den ganzen Tag im Stau steckst. Und wenn Veranstalter keine Gagen auszahlen und sich als richtige Drecksäcke herausstellen, das gibts natürlich auch. Aber solche Leute gibt es überall.

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Fotos: Christoph Thorwartl

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.