THE EVIL WITHIN 2: Zweimal durch die Hölle gehen
Rutschpartien auf Glatteis, ohne Auffangnetz, dafür mit doppelten Böden. In The Evil Within 2 darf der geneigte Survival Horror-Fan erneut in die Rolle von Detective Sebastian Castellanos schlüpfen, um in die düstere STEM-Welt einzutauchen. Ist die Fortsetzung nun ein wahrer Alptraum, der einen nicht mehr los lässt und nachhaltig verfolgt oder bloß eine trübe Schauergeschichte, die nichts taugt für schlaflose Nächte?
Die Story knüpft da an, wo Teil 1 zu Ende ging. Nach den Geschehnissen in der Nervenheilanstalt Beacon Memorial Hospital, plagen Sebastian drei Jahre später Schuldgefühle und Gewissensbisse. Seine Tochter Lily ist bei einem mysteriösen Brand ums Leben gekommen. Retten konnte er sie nicht, weswegen er sich mit Alkohol ablenkt. Seine Frau Myra hat ihn daraufhin verlassen und so fristet er ein elendes Dasein bis zu dem Zeitpunkt, als ihn Ex-Kollegin Juli Kidman aufsucht. Lily ist in dem Feuer nicht verbrannt, sie befindet sich in der Gewalt der Organisation Mobius, die erneut eine neue STEM-Maschine ins Leben gerufen hat – eine Anlage, die dazu in der Lage ist, verschiedene Gehirne miteinander zu verbinden und alternative Realität für den Benutzer zu generieren. Lily ist der Kern des Ganzen und nun bekommt Sebastian eine zweite Chance, um Vergangenes wieder gut zu machen und sich selbst zu verzeihen. Kann er seine Tochter diesmal retten und aus den Fängen von Mobius befreien?
The Evil Within 2
Publisher: Bethesda
Entwickler: Tango Gameworks
Plattformen: PS4, Xbox One, PC
Testplattform: PS4
Metacritic-Score: 81 %
Willkommen in Union
Der allmähliche Verlust der Bodenhaftung ist das, was The Evil Within bereits im ersten Teil besonders auszeichnete und für wahre Gänsehautmomente sorgte. Auch im zweiten Teil der Saga, die eine Themenpalette von Okkultismus zur Psychoanalyse spannt, spielt Shinji Mikami, der ruhmreiche Erfinder und Produzent von Resident Evil, sein perfides Spiel mit dem Irrealen und dem Realen. Es wird derart gekonnt zelebriert, dass bald schon nicht mehr eindeutig zu unterscheiden ist, wo der Traum für Castellanos aufhört und wo die Wirklichkeit anfängt. Diesmal kreist das Hauptthema um Selbsterkenntnis und Erlösung. Nur wenn sich der zerrüttete Ermittler selbst verzeihen und seine Schuldgefühle überwinden kann, wird er seinen Frieden finden.
Sein vs. Schein
Unermüdlich kippt The Evil Within 2 von Wirklichkeit in Alptraum, projiziert neue Bilder und Situationen innerhalb der fiktiven STEM-Stadt Union und hält sich dabei an keinerlei immerhin einmal selbst aufgestellte Regel. Es sind nicht die Zombies, bizarren Kreaturen und Antagonisten, die das Game besonders machen, es ist die andauernde Selbst-Infrage-Stellung von The Evil Within, die es so kurzweilig gestalten. Sprunghaft treibt es Hauptfigur Sebastian auf der Suche nach seiner doch nicht verstorbenen Tochter Lily bis zu 20 Stunden (je nach Schwierigkeitsgrad und den Nebenmissionen) durch das STEM-Labyrinth aus Traumata, Psychosen und verdrängten Erinnerungen. Wilde Zeit- und Ortswechsel, Sprünge zwischen vormals unbekannten Ebenen sowie Blicke in Abgründe und Realitäten inklusive. Als Spieler kann man sich den Gegebenheiten anpassen oder sein eigenes Ding drehen. Soll heißen: Entweder hält man sich die Feinde mittels Kanone, Gewehr oder Armbrust vom Leib oder man läuft vor ihnen weg, versteckt sich so gut es geht und vermeidet den Kampf. Es bleibt einem selbst überlassen, für welche Situation man sich entscheidet. Munition gibt es, je nach Schwierigkeitsgrad, viel oder wenig und man kann sie auch selbst herstellen, wenn man genug Mittel zur Verfügung und genug Items eingesammelt hat.
Das Team von Bethseda und Tango Games hat keinen reinen Abklatsch von Teil 1 produziert, sondern einige Neuerungen beim Gameplay vorgenommen, die zwar lobenswert sind, dennoch nicht vollends aufgehen. Wofür man die Entwickler manchmal selbst in den STEM ziehen möchte, ist die hakelige Steuerung, die vor allem in Bosskämpfen frustrieren kann. Mal spielt die Kamera nicht mit, dann sind es Polygonen und unsichtbare Wände, die stören. Beim Gegnerdesign hat man sich hingegen zum großen Teil kreativ ausgetobt. Ob Geistergeschöpf Anima, das Fotoapparat-Monster Obscura, der machthungrige Pater Theodore oder ganz besonders der sadistische Fotograf Stefano Valentini überzeugen in ihrer Darstellung. Was den Gore-Faktor angeht, steht die Fortsetzung dem ersten Teil um nichts nach – wenn die explizite Gewaltdarstellung das Original nicht an manchen Stellen visuell sogar übertrifft. An Splatter-Momenten mangelt es keineswegs. Das Blut wird in äußerst kreativer und komponierter Form und, ja sogar in Zeitlupe, vergossen. Literweise. Die Zwischensequenzen sind ebenfalls fabehaft aufbereitet und besonders in der ersten Hälfte und im letzten Drittel hervorzuheben.
Horror-Potpourri
Es ist ein Vergnügen und eine Qual zugleich, in der totalen Desorientierung der STEM-Welt aufzugehen. Grenzen sind hinfällig, Sebastian verfängt sich in Realitätsschleifen, das Erwachen wird zum Erwachen in immer noch einem weiteren Alptraum. Der Boden unter den Füßen wird einem entzogen und ein Zerfall tut sich auf, Wege öffnen sich ins Nichts, als eigentlich alles in Ordnung scheint, und plötzlich ist das Dämonenwesen wieder da. Als Gamer wird man konstant in die Irre geführt – und hat seinen Spaß dabei. Es gilt auf der Hut zu sein, denn schon hinter der nächsten Tür oder dem nächsten Vorhang könnte das endgültige Ende lauern.
Die Evil Within-Reihe versteht sich als eine Art Potpourri aus Survival Horror-Games. Man nehme Titel wie „Resident Evil“, „Silent Hill“ oder „Alan Wake“, versiehe das Ganze mit Horror-Anleihen aus dem asiatischen Raum („The Ring“, „The Grudge“), addiere noch eine Metaebene, bekannt aus Filmen wie „Inception“, „Shutter Island“ oder „Matrix“ hinzu und fertig ist das kurvenreiche Kaleidoskop.
Fazit
Pro
- Charaktere mit Ecken und Kanten
- kreative, surreale Spielewelten
- dramatische Inszenierung
- lineares Geschehen und offene Erkundungen im Wechsel
- hervorragende musikalische Untermalung
Contra
- Kleinstadt Union wirkt wenig bedrohlich
- KI der Gegner könnte besser ausgearbeitet sein
- teilweise grafische Schwächen
- Rätsel sehr leicht lösbar
- The Evil Within insgesamt stringenter erzählt als Teil 2
Die Ineinander-Verschränkungen von Traumwelt und realer Welt in The Evil Within 2 sorgen trotz kleiner Makel und manchen erzählerischen Längen im Mittelteil zuverlässig für kurzweilige Survival-Unterhaltung in Horror-Manier. Fans des ersten Teils werden die Neuerungen verschmerzen, denn die Atmosphäre stimmt. Novizen sei dringend geraten, in die düstere Mystery-Welt des STEM einzutauchen.