Foto: Hanna Moon

Living in a day dream: „Harry’s House” von HARRY STYLES

Manchmal reicht schon eine hervorragende Single aus („Sign Of The Times“), eine Handvoll guter bis sehr guter Songs vom Nachfolgealbum und ein extravagantes Äußeres, um gestandene Musikjournalisten in Verzückung zu bringen. Mit „Harry’s House“, dem dritten Longplayer von Harry Styles, versetzt der Brite nun alle Kritiker vollkommen in Ekstase. Zurecht?

Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich meist eine andere. Hier sind es gar mehrere, die aufgeschlossen werden, weil der Vorgänger „Fine Line“ solch einen guten Job gemacht hat. „Harry’s House“ vereint nun alle bekannten Trademarks des 28-Jährigen und denkt das von Erfolg gekrönte Rezept so weit, bis die Welt Kopf steht. Ein Album wie ein warmer, kuschelig anschmiegsamer Häkelpulli, der fair und ökologisch produziert wurde.

© Hanna Moon

Ein Auslöser wahrhaftiger Nostalgieströme ist schon der ungewöhnlich betitelte Opener. „Music For A Sushi Restaurant“ tönt so groove-lastig und funky, dass selbst gestandene Musiker wie Prince (früher) oder aktuell Janelle Monáe bestimmt selbst gerne einen Lokalaugenschein vornehmen würden. Mit dem nachfolgenden „Late Night Talking“ stellt Styles dann gleich die schwächste Pop-Nummer an zweiter Stelle. Auweia. Was sich aber nach mehreren Durchgängen bestätigt: Es soll der einzige Fehltritt bleiben, denn sonst hat er als Bauleiter eine äußerst geschmackvolle Bude konstruiert und eingerichtet.

Tagträumend legt der erste Mann, der im Kleid auf dem Cover der Vogue Geschlechterkonstruktionen hinter sich gelassen hat, flexibles Songwriting an den Tag. Die Sicherheit, mit der Styles die einzelnen Musik-Variablen kombiniert, ohne sich nach „Fine Line“ zu wiederholen, zeugt von Könnerschaft. „Harry’s House“ ist die perfekte Platte zum Runterkommen. Morgens, mittags, abends. Er und sein Team um Kid Harpoon und Tyler Johnson ziehen gefühlt alle Register, um das authentische Softrock, Radiopop und R’n’B-Feeling der 70er und 80er in der Gegenwart neu aufleben zu lassen. Nichts klingt bemüht oder verbissen, wenn die Platte mit ordentlich Gusto im Bauch ihre Stärken ausspielt. Selbst bei der Laufkundschaft dürfte das weiterhin prächtig ankommen.

Ohne nennenswerte Brüche fließen Lieder wie „Daylight“ (mit polterndem Rock-Teil), das unwiderstehliche „Little Freak“ oder das sphärische „Satellite“ ineinander und drücken sanft auf den Herzmuskel. Bedachtsam und homogen reiht sich Ohrwurm an Ohrwurm wie eine glänzende Perlenkette aneinander, die sich der Popstar anschließend um seinen Hals legen kann. Auch wenn Styles bei Songs wie dem besonnenen „Matilda“ oder dem nostalgischen „Cinema“ nicht mit der Tür ins Haus fällt, so überzeugen sie letztendlich doch. Wer will nicht bei all den Problemen, die in der Welt gerade vorherrschen, gedankenversunken über triviales wie „Grapejuice“ sinnieren?

Der introspektive Ton, die Wendung nach innen, die Hommagen an Musiker wie Nippon-Star Haruomi Hosono oder Singer/Songwriterinnen-Legende Jonni Mitchell und die lebhafte, ansteckende Verspieltheit („As It Was“ als bestes Exemple) des Materials, bilden zusammen mit Styles als glitzerndes Globalisierungs-Aushängeschild das Fundament, auf dem auch in Zukunft weiter vortrefflich aufgebaut werden kann.

TRACKLIST „HARRY’S HOUSE“
01 Music For A Sushi Restaurant
02 Late Night Talking
03 Grapejuice
04 As It Was
05 Daylight
06 Little Freak
07 Matilda
08 Cinema
09 Daydreaming
10 Keep Driving
11 Satellite
12 Boyfriends
13 Love Of My Life

mehr infos

hstyles.co.uk
instagram.com/harrystyles

Instigator. Mind reader. Fortuneteller. Everday hero. Charmer. Writer. Editor. Music lover. Film enthusiast. Aesthete.