GAYLE TUFTS: „Der American Dream ist immer noch da, aber er hat schon gelitten“

Sie ist Komikerin, Buchautorin und die wohl prominenteste Vertreterin der „denglischen“ Sprache: Gayle Tufts. Die Amerikanerin mit dem großen Entertainment-Lacher, die seit jeher in Deutschland sesshaft ist, widmet ihr aktuelles Programm dem berühmten amerikanischen Traum.

Vom Tellerwäscher zum Millionär, ist das überhaupt noch möglich in der heutigen Zeit? Degradiert sich Amerika gerade unter der Führung von Präsident Donald Trump nicht mal wieder selbst? Ein Interview über Geschlechterrollen, Scheinanglizismen und den Mythos der Superhelden, der nicht tot zu kriegen ist.

subtext.at: Gayle, immer weniger Amerikaner halten laut Umfragen den Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär für möglich. Verliert die USA den Glauben an den American Dream?
Gayle Tufts: Das Problem bei dieser Geschichte ist, dass es keine Teller mehr gibt, die es zu waschen gilt (lacht). Alles ist heutzutage aus Plastik und wird sofort weggeworfen. Es ist erschreckend. Ich bin sehr viel Deutsch geworden.(überlegt kurz) Warum müssen diese Bananen hier auf dem Tisch in Plastik gewickelt sein? Anyway. Es ist ja schon einige Jahre so. Alles ist heutzutage „to go“, alles ist zum Wegwerfen. Ich glaube auch, dass bei den Menschen diese Wegwerfmentalität auch stark im Kommen ist. (überlegt) Was ist heutzutage echt? Ein Reality-TV-Star wird Präsident? Wer weiß, ob die Generation von morgen es finanziell besser haben wird als wir. Ich bleibe trotzdem optimistisch. Der American Dream ist immer noch da, aber er hat schon gelitten.

subtext.at: Laut den Promobildern scheinst du weiterhin an diesen Traum zu glauben. Du verkörperst die „Miss Liberty“, mimst die „Superwoman“ oder schmückst dich eben mit der amerikanischen Flagge…
Gayle Tufts: Ich komme aus Massachusetts, einer Arbeiterklasse, nicht ganz wie in Detroit, aber ganz nah dran. Ein großer Einwandererstaat eben. Iren, Polen, Italiener haben dort gelebt. Mein Vater war Barkeeper, meine Mutter Kassiererin im Supermarkt. Ich komme nicht aus einer Kultur von Schauspieler-Familien. Ich bin die erste Person aus meiner Familie, die an die Uni gegangen ist, mit Stipendium, und dann hart gearbeitet und sich mit Nebenjobs über Wasser gehalten hat. Das ist doch ein American Dream oder? Dass ich in Europa eine Karriere aufbauen konnte, ist super. Neulich habe ich eine ehemalige Mitbewohnerin nach 30 Jahren wiedergesehen (lacht). Sie ist zu einer Art Desperate Housewife geworden, in einer amerikanischen Vorstadt, und sie sagte zu mir: „Can you make a living doing that?“ Ich bin dankbar dafür, weil es nicht selbstverständlich ist. Ein bisschen Traum steckt also schon drin. Man muss es in sich drin haben.

subtext.at: Die Amerikaner hatten schon immer eine Sehnsucht nach Helden, die alles für sie ordnen. Wenn man die Popkultur betrachtet und speziell das Kino, scheint sich dieser Trend auch in Europa noch zu verstärken.
Gayle Tufts: Superhelden garantieren eben einfache Lösungen für komplexe Probleme. Das ist so. Meistens ist es ein er, der zack, alles besser macht und ein bisschen herumballert. Wir wissen wohl alle, dass es nicht so ist, aber ich gucke die Filme auch manchmal an. Ich mag Iron Man, weil ich mag Robert Downey Jr. sinfach so gern habe (lacht).

subtext.at: Hast du ihn schon einmal getroffen?
Gayle Tufts: Nein, oh Gott! Ich mag Iron Man, Spider-Man, weil die Humor haben. Selbstreflektierenden Humor. Wir müssen unsere eigenen Superhelden sein. Wir kennen alle diese Tage, an denen uns etwas schwer fällt. Dann sag dir: „OK, ich wupp das heute, es wird gemacht“. Wenn es ganz, ganz dunkel wird, bei einem Todesfall oder etwas, kommt man, Gott sei Dank, auch irgendwie durch – weil man muss. Niemand kann das tun, da muss man selbst durch. Bei einer Trennung zum Beispiel. (überlegt) Was ich an Superhelden auch mag, dass sie nicht perfekt sind. Superman hat Heimweh, ist wie E.T., kann nicht zurück. Spider-Man hat seinen Onkel brutal verloren und Batman hat beide Eltern. Sie haben alle Traumata, die sie abarbeiten. Diese Menschlichkeit, diese Imperfektion, sagt mir besonders zu.

subtext.at: Wenn diese Figuren alle ein Trauma haben, hat dann deine Superwoman auch eines, welches zu bewältigen gilt?
Gayle Tufts: Sie ist eine Frau (lacht)! You know, ich möchte nicht wie Alice Schwarzer klingen, sage ich manchmal in der Show, denn just because you have a vagina, doesn’t make you vernünftiger, intelligenter oder zu einem besseren Menschen. Margaret Thatcher, Marine Le Pen und Frauke Petry sind perfekte Gegenbeispiele. Ab und zu könnte es einfacher sein. Da denkt man an Sexismus. Ich sehe das Glas mehr halb voll und nicht halb leer, aber a little bit schwingt es manchmal mit. Es ist tricky als Performer. Die Konkurrenz mit mir selbst habe ich hinter mir gelassen, Wechseljahre sei Dank (lacht). Ich muss so aussehen, muss blond sein, muss perfekt Deutsch reden, you know. Irgendwann akzeptierst du dich selbst. Meine Superwoman ist eine, die sich selbst akzeptiert. So, wie sie ist.

subtext.at: Du willst „The power of showbiz“ auf der Bühne verbreiten. Was hat es damit auf sich?
Gayle Tufts: Ich bin ein großer Fan von Shows und ich liebe es, Bands live zu sehen. (überlegt) Ich habe Adele gesehen, letztes Jahr, es hat mir so viel gegeben… Ich habe wirklich nicht erwartet, dass es so gut wird.

subtext.at: Was hat dir so gut gefallen?
Gayle Tufts: Diese Jahrhundertstimme auf der einen Seite, dann die tollen Musiker, eine moderne, fast theatralische Produktion, super Visuals von guten Leuten, mit denen sie arbeitet, und dann sagt sie „Lets go down to the pub and have a beer“. Bei Adele ist diese Menschlichkeit zu spüren. Ich liebe es, wenn ich beflügelt herauskomme aus einem Konzert oder von einem Event. In New York habe ich gerade 2 Musicals gesehen, die großartig waren. Eines handelte über 9/11 und das andere über einen Teenage-Selbstmord. Es ist wie ein Musiktheater. Diese Performer können toll singen, schauspielern und tanzen und du denkst dir nur „Wow“. Teinen „Triple threat“ nennen wir das. Ich mag das. Bisschen Glitzer, bisschen Glamour, aber immer combined mit Menschlichkeit. Wenn es nur glatt ist, bin ich nicht interessiert. Pink hat zum Beisiel eine wahnsinnige Show, aber man weiß irgendwie, sie hat Spaß dabei. Sie ist nicht Helene Fischer, die zu perfekt wirkt. Nur glatt, obwohl ich Helene auch getroffen habe und sie wirklich supernett ist. Ich würde gerne Regie führen bei einer Show von Helene Fischer. Ich möchte bei ihr Hinter die Kulissen blicken.

subtext.at: Manchmal ist es wohl besser, einfach nichts zu sagen, um gewisse Personenkreise nicht gegen sich aufzurütteln.
Gayle Tufts: Das ist eben ein ganz anderes Business.

subtext.at: The future is female – richtig oder falsch?
Gayle Tufts: Ich würde das hoffen (seufzt). Im Moment aber, wenn ich gucke diese Machtspiele zwischen Putin und Trump und Erdoğan. Good God, sind wir nicht viel weitergekommen? Die Weiblichkeit in uns allen kann uns bestimmt da weiterhelfen. Jede Mutter weiß das. Wenn wir alle ein bisschen weniger egozentrisch wären… Was leider im Moment mit unseren Smartphones und den ganzen Selfies schwierig ist. It’s all about communication to me. Vielleicht können wir Brücken bauen. Diese Hoffnung habe ich. Die Diskussion über Gender, was ist männlich, was weiblich – doch was ist menschlich? Vielleicht können wir das Testosteron ein wenig runterdrehen und ein bisschen mehr Östrogen reinbringen (lacht).

subtext.at: Frauen schuften heutzutage auf dem Bau und auf See, erklimmen Berge, forschen und predigen genau so wie Männer. Sie finden ihren Platz in Berufen, die als typisch männlich gelten. 
Gayle Tufts: Hut ab vor Frauen, die Beruf und Familie unter einen Hut bekommen. Wir müssen akzeptieren, dass Männer auch in den unterschiedlichsten Rollen bestehen können. Gute, männliche Lehrer finde ich zum Beispiel sehr wichtig! Auch in Kindergärten. Ich habe in New York als Kindergärtnernin gearbeitet, als Nebenjob, da habe ich zwei wunderbare Männer kennengelernt. Das ist für Kids wichtig, wo der Papa nicht da ist oder eben nur am Wochenende. Die Kinder sollen mir unterschiedlichen Männerrollen vertrauen gemacht werden. Wir sind alle dran, bestimmte Dinge neu zu definieren. Having a job wie ein Mann, für mich kann das nicht das Ziel sein. Dieser Stress und diese Karrieregeilheit gehören zu den Dingen, die man zu diskutieren hätte. Die nächste big discussion ist dann der Kapitalismus (lacht). Sleep ist das neue Ding. Wir schlafen nicht genug und das affektiert dann alles andere. Jetzt werden dann Schlafkurse angeboten (lacht).

subtext.at: An allen Hoch- und Fachschulen auf der ganzen Welt, mit Ausnahme von Afrika, sind Frauen in der Überzahl und viele Berufe, in denen früher nur Männer tätig waren, werden heute eben von Frauen ausgeübt, aber umgekehrt ist dies kaum der Fall. Die arbeitende Mutter ist heute die Norm, doch der Vater, der daheimbleibt, ist immer noch eine schlagzeilenträchtige Anomalie.
Gayle Tufts: Ja, genau. Diese Gedanken müsse wir ändern. Eine Krankenschwester gibt es, aber Krankenbruder sagt man nicht. Das ist etwas, was wir auch brauchen.

subtext.at: Thema Erziehung. Mädchen, die rebellisch wie Jungs sind, das finden wir gut, so wie bei Pippi Langstrumpf. Jungs, die wie Mädchen sind, die mit Puppen spielen, tja, nein, eher nicht so gerne. Wenn Mädchen Jungssachen machen, dann finden wir das schon irgendwie einen Tacken besser als andersrum, nicht?
Gayle Tufts: Ist das immer noch so?

subtext.at: Laut den Studien, die ich gefunden habe, schon.
Gayle Tufts: Ich würde kein Problem damit haben. Ich habe keine Kinder, aber die Kinder in meiner Nähe, ich hoffe für sie, dass sie eine Welt haben, wo solche Dinge erlaubt sind. Spielen mit Puppen oder Backen. Wichtig ist nur, dass du weißt, deine Eltern haben dich lieb. Das war bei mir der Fall und das bringt mich jetzt durchs Leben. Man hat diese Geborgenheit und Liebe. Gott, ich klinge wie eine Oma (lacht).

subtext.at: Thema Marketing. In der Werbung sind Männersachen in der Regel hart, feurig, eckig, kalorienreich und billig.
Gayle Tufts: (lacht).

subtext.at: Frauensachen sind hingegen weich, soft, rund, kalorienarm und teuer.
Gayle Tufts: Ja, klar, bekomme ich auch mit. Obwohl es wechselt jetzt. Es gibt Make-up für Männer und so… Ach, ich weiß nicht. Ich sehe die Kluft mehr. Entweder die Dinge sind wahnsinnig teuer oder wahnsinnig billig. Die neue Louis Vuitton-Tasche, designt von Jeff Koons, sieht so aus, als würdest du sie im Primark bekommen. Ich glaube, er macht das bewusst (lacht). Es sieht sehr billig aus, kostet aber bestimmt um die 20000 Euro. Sicher ist sie trotzdem ausverkauft. In New York gibt es auch die selben Shops wie hier. H&M, Pull&Bear, Zara. Kaum ein Unterschied mehr. Kette, Kette, Kette. (überlegt) Wenn Victoria Beckham für ein schönes Kleid 9000 Euro möchte, dann bin ich raus, sorry. I’m out (lacht).

subtext.at: Zu guter Letzt möchte ich noch anmerken, dass ich großer Fan von deinem Denglisch bin. Überall ist er zu hören oder zu lesen, der Mix aus Deutsch und Englisch. Bemerkst du selber, wie wir die deutsche Sprache im Alltag an die englische anpassen? Das Outfit ist stylisch, der Flug wurde gecancelt, den Song habe ich downgeloadet…
Gayle Tufts: Ich wünschte, ich würde Tantiemen dafür bekommen (lacht)!

subtext.at: In Frankreich soll es eine Sprachbehörde geben, die sorgsam darauf achtet, dass die französische Sprache sich kaum verändert.
Gayle Tufts: Mit Behörden geht mir schon zu weit. Manche Wörter sind doch gar kein Wort. Handy ist der Klassiker. Oder Smoking. Wir sagen Tuxedo. Oder ein Beamer, was bei uns für einen BMW steht. (überlegt) Als ich angefangen habe, habe ich kein Wort Deutsch gesprochen. Ich war mit einer Tanzcompany hier und dachte, ich bleibe für 2 Jahre. Wie das Leben so spielt… Damals waren nicht so viele witzige Frauen. Jahre später sollten Anke Engelke, Barbara Schöneberger, Ina Müller, Carolin Kebekus gab es nicht. Für mich war das wie eine Marktlücke. Why not try to be die deutsche Beth Middler? Ich war nicht geduldig genug, um zu Warten, bis mein Deutsch gut genug ist. Ich würde immer noch warten.

subtext.at: Perfektion wird sowieso nachgesagt, langweilig zu sein.
Gayle Tufts: Perfektion is overrated. War auch lange bevor es das Internet gab, da haben die Leute nicht so viel Englisch gesprochen. Bei meinem Denglisch versuche ich, die zwei Sprachen zusammenzubringen und das Beste heraus zu machen. Nicht einfach wild „Motherfucker“ sagen. Wenn ich die Deutschen zum Nachdenken bringe, wohoo (lacht).

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Foto: Robert Recker

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