Billy Talent: Afraid of Heights

Billy Talent sind wieder zurück. Dreizehn Jahre nach ihrem Debutwerk „Billy Talent“ ist mit „Afraid of Heights“ Album Nummer Fünf unterwegs. Ausverkaufte Tourtermine zeigen: der musikalische Weg stimmt. Doch tut er das wirklich? 

Mit Billy Talent ist es ja so eine Sache. Die einen lieben sie als Alternative-Rocker, die anderen kriegen schon beim bloßen Erwähnen des Bandnamens kolikartige Beschwerden. Ich geb zu: Billy Talent 1, 2 und 3 sind bei mir auf Heavy Rotation gelaufen, Dead Silence dann schon weniger. Mag vielleicht daran liegen, dass der Weg immer weiter weg vom Punk und hin zum Alternative beschritten wurde. Grundsätzlich ja legitim – mit „Afraid of Heights“ gehen Billy Talent diesen Weg halbwegs konsequent weiter. So viel mal vorab

Bei „Big Red Gun“ als Opener hegt man sogar noch Hoffnungen, Billy Talent mögen sich an die Ursprünge zurück erinnern. Pop-Punk, aber von der guten Sorte. Die namensgebende Single „Afraid of Heights“ bringt dabei auch das mit, was man von Billy Talent erwartet. Ben Kowalewicz‘ Stimme ist unverkennbar wie eh und je, die Songs jetzt nicht massiv anspruchsvoll aufgebaut – und ganz klar wird darauf abgezielt, in möglichst vielen verschiedenen Konzerthallen verschiedenster Größen zu funktionieren. Das tut die Single auch.

Dann das erste Mal Schmerz. „Ghost Ship of Cannibal Rats“, mit einem Synthie-Intro, oder zumindest einem Klanggebilde, das sich so anhört. Ja, bei Billy Talent. 2016 darf man das, was man 2003 noch verpönt gewesen wäre. Hier driftet man schon ganz schön weit in den Alternative-Rock hinein, man könnte, um eine Floskel zu bemühen, davon sprechen, dass Billy Talent „erwachsener“ geworden wären. Zur Verteidigung: das wars dann aber auch mit Synthies in dem Song. Danach drückt das für Billy-Talent-Verhältnisse nämlich ziemlich ordentlich in den Boxen.

„Drücken“ tut der nächste Song auch, allerdings in der Magengegend. „Louder Than the DJ“ ist dann wohl als der Song gedacht gewesen, der auf heutigen Highschool-Parties laufen soll. Der Songaufbau erinnert stark an Mainstream-Pop – mit ein bisserl Gitarrensolo darf man das dann wohl schon als Rock bezeichnen. In diesem Moment stell ich mir grade vor, wie das live klingen wird – und komme relativ schnell zu dem Entschluss, dass dieses Lied wohl der ideale Zeitpunkt im Rahmen eines Konzertes ist, um der Bier-Bar den einen oder anderen Besuch abzustatten.

Danach mal eine Pause – nach diesem musikalischen Klein(t)od horche ich mal „Cut the Curtains“ vom ersten Album – und werde schlagartig daran erinnert, warum ich die Band mal richtig gut gefunden habe. Aber gut, geben wir „Afraid of Heights“ noch eine Chance. Weiter gehts mit „The Crutch“, das im Vergleich zum Vorgänger auch wieder besser hörbar ist. Schlechter wäre ja auch wirklich eine Herausforderung gewesen. Kann man als solide Alternative-Rock-Nummer stehen lassen – eine Nummer, deren Stil von Newcomern wohl oft kopiert werden wird. Mit „Rabbit down the Hole“ hat man dann auch einen ruhigeren Track auf das Album gepackt – live könnte man sich das als Acoustic-Nummer mehr als gut vorstellen. Die Kurve nach dem „Louder Than the DJ“-Trauma scheint grade noch mal genommen geworden zu sein. Eine Kurve, wo die Ausfahrt in Richtung „Time-Bomb Ticking Away“, dem nächsten Track, sehr gut erwischt wurde. Endlich geht da mal die Post ab, endlich ist diese unterschwellige Aggressivität, die die frühen Werke ausgezeichnet hat, zumindest in Nuancen wieder erkennbar.  „Leave Them All Behind“ könnte sowas wie der musikalische Stempel auf dem Album sein. Billy Talent verabschieden sich hier endgültig von der jugendlichen Leichtsinnigkeit – fast schon autobiographisch kommt der Song daher. Schade für Fans der ersten Stunde, ok für neu dazugekommene. Eine Tendenz, die auch „Horses & Chariots“ nicht umzukehren vermag.

Mit „This is Our War“ wird dann auch der moralische Aspekt der Platte bedient. Die Message, die Billy Talent verbreiten, ist auch heutzutage noch unterstützenswert – oder ist es die mehr denn je? „Where is the compassion in the world today?“ – eine Frage, die man nicht nur auf dieser Platte berechtigterweise stellen sollte. Mit „February Winds“ entlassen die vier Kanadier, dieses Mal mit Jordan Hastings (Alexisonfire) an den Drums, der den Standard-Schlagzeuger Aaron Solowoniuk aufgrund dessen akuten Multiple-Sklerose-Schubes während der Produktionsphase ersetzte, aus dem Hörerlebnis. Wobei, nicht ganz. Am Schluss gibts mit einer langsameren Version von „Afraid of Heights“ noch mal einen Aufguss.

Fazit: nicht so gut wie erhofft, aber auch nicht so schlimm wie erwartet. Billy Talent liefern mit „Afraid of Heights“ ein solides Album ab, das mit „Louder Than the DJ“ nur einmal Brechreiz verursacht. Live sind die Herren nach wie vor begehrt as hell – der Tourstopp im Linzer Posthof am 25. November war binnen kürzester Zeit ausverkauft! Am 26. November beehren die Herren den Gasometer Wien (Restkarten) und am 27. November das Grazer Orpheum (soldout).

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Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.