OUM: „Spiritualität ist absolut notwendig“

In ihrer Heimat wird sie als Diva angesehen und auch stolz als „Soul Of Morocco“ bezeichnet. Im Gespräch mit subtext.at scheinen bei Oum El Ghaït Benessahraoui allerdings keine Allüren an der Tagesordnung zu stehen. Ganz im Gegenteil. Vor ihrem Auftritt im Wiener Konzerthaus wirkt die 39-Jährige alles andere als unnahbar und unzugänglich. Ihr Stil ist zwar manchmal sehr exzentrisch, ihr Wesen aber warm, mitteilungsfreudig und einladend.

Ihre Musik ist ebenfalls nicht klar einzuordnen und so bunt wie die Märkte in Marrakesch. Soul, Jazz, Gospel, Weltmusik oder kubanische wie marokkanische Klänge werden aufgegriffen und sich zu Nütze gemacht. Wichtig sei, dass sich sämtliche Stile miteinander in Balance befinden, fügt Oum hinzu. Ein Interview über Spiritualität in modernen Zeiten, wie man in der Wüste um sein täglich Brot kämpft und Architektur.

subtext.at: Oum, wenn ich dich so ansehe, dann habe ich das Gefühl, dass ich es mit einer Frau zu tun habe, für die Spiritualität einigermaßen wichtig ist.
Oum: (lächelt) Ist das dein Eindruck von mir?

subtext.at: In der Tat, ja.
Oum: Ich würde mich schon als spirituellen Menschen bezeichnen, aber ich fürchte mich auch vor dem Wort, weil es in einigen Fällen für religiösen Fanatismus missbraucht wird. Wenn es darum geht, eine Verbundenheit zu den Leuten zu spüren, zu der Umgebung, zur Natur, zum Universellen, zu den Dingen des Lebens, die mysteriös sind, dann würde ich definitiv zustimmen.

subtext.at: Diese Frage ist ja auch einfach zu stellen, aber meist schwierig zu beantworten.
Oum: Absolut.

subtext.at: Spiritualität zu leben in einer modernen Welt, ist das überhaupt machbar?
Oum: Es ist absolut notwendig. Wir brauchen das. Wenn jemand von uns heutzutage eine spirituelle Erfahrung macht, egal, ob es sich um eine schlechte oder eine gute handelt, dann sollte man es wahrnehmen. Niemand fühlt so etwas die ganze Zeit, deswegen unbedingt den Augenblick genießen. Selbst jemand, der sich als spirituell bezeichnet, wird nicht jeden Tag und jede Stunde Spiritualität leben können. Wenn wir von dieser Magie, wie ich sie gern bezeichne, berührt werden, sollten wir sie respektieren, sie wertschätzen und anerkennen. Es ist eine Chance, ein Segen in diesen Zeiten, in denen ökonomische Ziele an erster Stelle stehen.

subtext.at: Bei dir klingt das alles so leicht. Du scheinst förmlich vor Ideen und Einfällen zu sprudeln.
Oum: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte nie darauf gewartet, dass mich die Kreativität einholt. Manchmal, wenn ich ein neues Projekt in Angriff nehme, dann sage ich mir „OK, let’s go for it“. Ich habe schon einiges gemacht, warum sollte es nicht jetzt auch mit Ideen und Einfällen klappen (lacht)? Sicher, Kreativität kommt nicht immer dann, wenn man es erwartet. Manchmal geschieht es, aber die meiste Zeit über eben nicht. Ich fühle mich manchmal wie ein Kanal, der keine Nachrichten, sondern bestimmte Vibes übermittelt. Wörter, Melodien oder bestimmte Fragen, die einem auf der Seele brennen. Du fühlst es, wenn es soweit ist. Es ist, als wärst du nicht du selbst. Man ist wie ein Gefäß, in dem Dinge hinein und wieder hinausströmen. Die besten Momente ergeben sich dann, wenn man sie nicht erzwingt. Sie entstehen ganz natürlich.(überlegt) Es ist nicht meine Schuld, sondern die meines Landes (lacht).

subtext.at: Forcieren kann man diese Augenblicke demnach nicht?
Oum: Genau. That’s why you have to be cool to the universe (lacht).

subtext.at: Verstanden. Wie bewerkstelligst du den manchmal doch schmalen Grad zwischen Modernität und Tradition? In deinem ganzen Auftreten scheint dies ein Thema zu sein.
Oum: Meine Musik spiegelt in erster Linie mich selbst wieder. Ich bin eine Person, die im Einklang mit sich selbst ist. Das war nicht immer der Fall. Es ist nicht immer alles rosig und schön, aber ich weiß inzwischen, wer ich bin. Ich habe viele Facetten und das ist völlig in Ordnung. Sie sollen auch in der Musik ihren Platz finden. Man kann nicht einfach sagen „OK, ich bin ein Rock’n’Roll-Mädchen im 21. Jahrhundert und fertig“. Ich denke nicht, dass es auf diese Weise funktionieren kann. Es muss ehrlich und aufrichtig sein. Ich hatte das Glück, in Marokko aufzuwachsen, einem sehr bunt gefärbten Land. Die Kultur ist sehr breit gefächert und beinhaltet viele Gewürze, wenn man es so ausdrücken möchte. Sicher, Marokko ist nicht der einzige Ort auf der Welt, wo das zutrifft, aber bei uns kann man das förmlich schmecken. Selbst als gebürtiger Marokkaner, der noch nie außerhalb und in einem anderen Land war, kann man Ecken und Orte im eigenen Land finden, um eine andere Kultur kennenzulernen. (überlegt) Die Tradition wurde vor langer Zeit zu einem zeitgenössischem Gut. Tradition ist nicht etwas, was irgendwo eingekerkert und verschlossen ist, sondern Tradition kann sich auch vorwärts bewegen…

subtext.at: Und sich entwickeln?
Oum: Richtig. Tradition ist das, was du daraus machst. (überlegt kurz) Manche Leute meinen, dass Tradition alt ist, aber Tradition ist nicht nur alt, denn wenn die jüngere Generation sich nur einen Teil davon herauspickt und es anders interpretiert, entsteht etwas Neues. Ich sehe es als Segen und Bereicherung.

subtext.at: Wusstest du schon immer, wo du im Leben stehst, wer du bist und was du erreichen möchtest?
Oum: Nein, ganz und gar nicht. Leute und vor allem Journalisten haben mich stets gefragt, welche Musik ich denn mache und welchem Genre ich mich zugehörig fühle. Das war wirklich schwer für mich, weil ich als afrikanisches Mädchen aus Marokko eine Antwort finden musste. Wenn ich keine Antwort für sie finde, dann ist das so, als ob ich gar nicht existiere, als ob es mich gar nicht gibt. Eines Tages, obwohl ich nicht verpflichtet bin, ihnen eine Antwort zu geben, war ich selbstbewusst genug, um mit dem Thema umzugehen. Ich empfinde es als Reichtum, dass ich musikalisch viele verschiedene Stile vereinen kann. Jeder hat seine Meinung, doch irgendwann hörst du am Ende auf dich selbst.

subtext.at: Dein aktuelles Album hört auf den Namen „Zarabi“. Kannst du genauer erklären, was es damit auf sich hat und auf welcher Tradition dieser Titel eigentlich beruht?
Oum: Das Wort heißt übersetzt „Teppiche“. Es kommt aus dem marokkanischen Dialekt. Zarbia ist Singular, Zarabi heißt es im Plural. Den Namen habe ich gewählt, um einige Frauen im Kontext des Albums bekannter zu machen. Diese Frauen leben in einem Dorf namens M’hamid El Ghizlane in der Wüste Marokkos. Es sind Frauen, die Teppiche weben und herstellen aus alter, gebrauchter Kleidung. Du bringst ihnen, was du nicht mehr brauchst und sie fertigen einen für dich an. Ich habe ihnen Sachen von meinem Mann, meinem Sohn und mir gebracht und sie haben einen wundervollen, bunten Teppich für uns angefertigt. Du kannst ihnen zwar sagen, wie du ihn in etwa haben magst, aber es ist besser, ihnen dabei freie Hand zu lassen. Sie können sich frei entfalten und am Ende, nach einer Woche etwa, hältst du ein wahres Kunstwerk in den Händen. Mir war es wichtig, sie zu erwähnen, weil ich ihnen helfen möchte. Sie sollen leichter Arbeit finden. In dieser Region ist es besonders hart, weil die Wüste so wenig hergibt. Es regnet nie, es gibt keine Landwirtschaft und die Leute sind sehr arm. Für Frauen ist es noch schwieriger. (überlegt kurz) Mir gefällt vor allem die Symbolik dahinter, weil es am Ende ein Werk ist, dass Erinnerungen vereint, von unterschiedlichen Leuten, mit unterschiedlichen Geschichten und Hintergründen. Viele kleine, unterschiedliche Teile ergeben ein großes, wunderbares Ganzes. Mit der Musik verhält es sich nicht anders. Wir zeigen unser Innerstes, geben unsere Eindrücke und Gefühle preis und am Ende entsteht eine Einheit, ein Song, ein Album. (überlegt) Wir haben das Album in der dortigen Wüste aufgenommen und auch das Shooting für das Artwork dort gehabt. Meine Fotografin war vor Ort, der ich sehr vertraue, um Bilder von mir anzufertigen.

subtext.at: Die Bilder sprechen eindeutig für sich und sich wirklich gelungen.
Oum: Definitiv. Sie wurden auch in unterschiedlichen Magazinen abgedruckt und von vielen Seiten gelobt. Auf der Bühne trage ich auch Kleider, die von den Frauen in der Wüste getragen werden. Es ist Stoff, der um den Körper gewickelt wird, er ist nicht maßgeschneidert. Man fühlt sich frei. Nach der Tour zum vorletzten Album habe ich all meine Bühnenkleider diesen Frauen in der Wüste gegeben, um sie für dieses Album als Haarschmuck benutzen zu können. Somit habe ich mir etwas Neues aus vergangen Souvenirs anfertigen lassen.

subtext.at: Selten habe ich so etwas gesehen. Wie viel hat der Haarschmuck denn gewogen?
Oum: Um die 7kg (lacht). Eine Woche lang habe ich diese Fäden im Haar gehabt und man kann sich vorstellen, dass es alles andere als leicht war, besonders beim Schlafen. Man musste erst die Haare auf eine Seite drehen und dann den ganzen Körper bewegen, um nicht einzuknicken (lacht).

subtext.at: Du bist also eine Frau, die nicht nur innerlich Stärke zeigt sondern auch äußerlich.
Oum: Wenn du es so siehst und empfindest, dann freut mich das (lächelt).

subtext.at: Ich habe auch gelesen, dass du eine studierte Architektin sein sollst. Stimmt das?
Oum: Das ist wahr, ja.subtext.at: Gibt es aus deiner Sicht Gemeinsamkeiten zwischen Musik und Architektur?
Oum: Gewiss, die gibt es. Architektur öffnet deinen Geist und macht dich empfindsamer, mit deinen Sinnen zu denken. Irgendwo habe ich das gelesen, es ist nicht von mir, aber ich empfinde es genau so. Es ist die Wahrheit. Die Architektur öffnet deinen Geist für den Raum. Du schaust auf die Details, du hast vielleicht eine perfektionistische Ader, stellst dir viele Fragen, wie man den Raum am besten gestalten könnte. Deine Neugierde und deine Kreativität werden entfacht und geweckt. Diese Dinge sind auch für die Musik wichtig. Es ist spannend, wie sie entsteht und wie das Zusammenspiel zwischen den Musikern, der Umgebung und den Instrumenten am Ende aussieht. (überlegt) Eigentlich hätte ich Architektin werden sollen, aber am Ende bin ich doch für Sängerin entschieden (lacht).

subtext.at: Das eine muss das andere ja nicht ausschließen. Vielleicht kannst du in Zukunft beides bewerkstelligen.
Oum: Vielleicht, ja. Als ich mit der Musik begonnen habe, habe ich mir gesagt, dass ich zumindest einen Fuß in der Architektur drin behalten möchte. Ich habe mich damals dagegen gewährt, in Büros zu gehen und für Firmen zu arbeiten, weil ich mich nicht auf dieses eine Feld fixieren lassen wollte, aber ich war beim allerersten Architektur-Magazin aus Marokko beteiligt. Artikel habe ich verfasst und mit berühmten Leuten aus der Szene gesprochen. (überlegt) Es gibt studierte Leute, die Designer geworden sind oder Schauspieler. Man kann sich auf viele Arten ausdrücken. Ich mag es nicht, nur auf einen Bereich reduziert zu werden. Ich suche immer nach Alternativen und ja, gehe damit wohl auf Risiken ein.

subtext.at: Es heißt ja nicht umsonst „No risk, no fun“.
Oum: Allerdings (lacht).

subtext.at: Du bist für mich eine charismatische Person, die eine besondere Wärme ausstrahlt.
Oum: Vielen Dank. Manchmal sagen das die Leute zu mir, ja.

subtext.at: Hast du aus deiner Sicht auch ein Faible für Mode?
Oum: Ich weiß nicht, denn ich verfolge keine Magazine und Trends, die in der „Vogue“ stattfinden. (überlegt) Ich bewundere Leute, die in dieser Branche arbeiten und Stile kreieren. Mode muss auch immer etwas mit der eigenen Persönlichkeit zu tun haben, weil es sonst wie eine Maskerade wirkt. Wenn ich ein Shooting habe, dann wähle ich die Sujets aus, die Kleidung, den Designer. Ich liebe es, mich für den jeweiligen Moment zu kleiden – wie immer dieser Moment denn aussehen mag. Modisch besitze ich auch viele Facetten (lacht). Man verlangt heutzutage stets, sich auf einen Stil festzulegen, aber ich bin der Meinung, dass viele Stile auch dazu beitragen können, deinen eigenen zu erschaffen. Hauptsache ist, man fühlt sich wohl. Ich fühle mich auch in normaler Kleidung wohl und ich fühle mich in den Bühnenoutfits wohl, die ich trage. Es ist wichtig, sich selbst zu vertrauen und es einfach zu tun. Stell nicht viele Fragen, mach es einfach. Dir gefällt dieses Teil? Zieh es an. Du musst dich niemandem erklären. Just do it (lacht).

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Foto: Lamia Lahbabi

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