„Hört ihr die Signale noch?“

 „Proletarier aller Länder vereinigt euch“, lautete die Parole, die Ende des 19. Jahrhunderts auch die Donaumetropole Wien erreichte. Die Österreichische HochschülerInnenschaft lud zum Museumsbesuch in den Karl-Marx-Hof und ich folgte den Signalen, die das ÖH-Volk sendete, um mir eine Geschichtsauffrischung in Sachen Zwischenkriegszeit, Sozialismus und Klassenkampf zu gönnen.

Der sehenswerte Waschsalon Nr. 2 im Karl-Marx-Hof beherbergt derzeit die Ausstellung „das Rote Wien“, ergänzt wird diese durch die Architekturausstellung „Hubert Gessner. Architekt der Arbeiterbewegung“. Gezeigt werden, neben zahlreichen Utensilien und Originaldokumenten der roten Arbeiterbewegung der 20er und 30er Jahre, die präzise recherchierte Entstehung und Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie. Wenngleich man sich über viel Text und Fakten im wahrsten Sinne des Wortes hinwegkämpfen muss, so vermittelt die Ausstellung einem vor allem das Gefühl, welches die unsichere, aber politisch aufregende Zwischenkriegszeit prägte. Das „rote Wien“ von damals erfasste nahezu jeden Lebensbereich des Arbeiters, die Partei begleitete ihn durch Fabrik, Heim und Freizeit und machte selbst vor der Erziehung des arbeitenden Nachwuchses nicht halt. „Wer Sportplätze baut, hilft Spitäler ersparen“, war die Losung Julius Tandlers, der damit die Idee des geistig und körperlich kerngesunden, stählernen Arbeiters auf den Punkt brachte. Die Ertüchtigung des Arbeiters zielte vor allem auf den zu erwartenden Klassenkampf, den Big Bang, die Revolution ab, im Zuge derer sich das Proletariat von den Fesseln des Kapitals lösen sollte. Die österreichische Sozialdemokratie war jedoch, wider der propagierten Einigkeit, stets in einen dogmatischen, revolutionären und einen Reform-orientierten Flügel gespalten. Die Gründung des paramilitärischen, Republikanischen Schutzbundes und die Verabschiedung des austromarxistischen Linzer Programms führten zu heftigen Konflikten mit dem christlich sozialen Lager und deren Heimwehren. Bürgerkrieg, Diktatur der christlich-sozialen Partei im austrofaschistischen Ständestaat und Verbot der sozialdemokratischen Partei waren die Folgen.

Im Februar 1934 stand der Karl-Marx-Hof im Mittelpunkt der Kämpfe zwischen Heimwehr und Schutzbund. Arbeiter verbarrikadierten sich im Gemeindebau und verteidigten ihre sozialistische Hochburg gegen die Gewehrkugeln der Bourgeoisie. Die auf Einheit gedrillte Arbeiterschaft von damals widerspricht in meinen Augen der humanistischen Errungenschaft der Freiheit des Individuums, wenngleich dem in den Fängen der Ökonomie sitzenden Arbeiter, nur durch Solidarisierung und Einigkeit etwas Großes gelingen konnte. Die Massenaufmärsche der Zwischenkriegszeit erinnern stark an kommunistische Parteitage und spielen mit der selben Symbolik, die auch der „nationale Sozialismus“ zu verwenden wusste. Das nicht mehr ganz so rote Wien von heute blickt wohl einerseits stolz, andererseits etwas wehmütig auf eine Zeit zurück, in der sich Tausende für die sozialistische Sache begeistern konnten. Der Kampf und Wille zur Reform war stets tragendes Element der Roten, wofür es sich heute noch zu kämpfen lohnt und wohin die Sozialdemokratie heute „marschiert“, unterliegt hingegen halsbrecherischen Debatten.

Hubert Gessner, dem Architekten der Arbeiterbewegung, wird durch eine Sonderausstellung gehuldigt. Der Schüler Otto Wagners avancierte in den 10er und 20er Jahren zum gefeierten Star der sozialistischen Architektur. Neben zahlreichen Fabriksgebäuden und öffentlichen Einrichtungen entwarf Gessner mehrere Wohnhausanlagen, die dem Arbeiter, von Bad bis Kino, alles bieten sollten. Die Stadt in der Stadt war das Idealmodell sozialistischer Wohnbaupolitik. Der schrullig nostalgische Waschsalon Nr. 2 , in dem bis heute gewaschen wird, offenbart eine Zeit, in der das Kollektiv als höchstes Gut der Arbeiterschaft gesehen wurde. Wenngleich das ehemals so stolze Rot heute etwas blass geworden ist, so bleibt doch immer noch die Nostalgie. Man wird doch wohl noch träumen dürfen.

Die Dauerausstellung „das rote Wien“ ist im Waschsalon Nr. 2 des Karl-Marx-Hofes zu sehen.
„Hubert Gessner. Architekt der Arbeiterbewegung“ wird noch bis 29.4. 2012 gezeigt.

Foto: Ingo Pertramer / das rote Wien