Bis zum Bundeskanzler – und noch viel weiter

„Bundeskanzler ist für mich auch nur ein Zwischenziel“ – so die Aussage von Heinz-Christian Strache auf die Frage, ob er nach der nächsten Nationalratswahl regieren möchte. Das Problem dabei: dieses Zwischenziel wird er erreichen. Über die Groteske der derzeitigen österreichischen Politlandschaft.

Die Ausgangslage für europäische Regierungen, und hier vor allem die österreichische, ist denkbar ungünstig: das Triple-A-Rating von Standard & Poors entzogen, die ORF-Journalisten protestieren gegen die Besetzung des ORF-Büroleiterpostens, und die Zukunftsaussichten sind alles andere als positiv. Noch schlimmer muss es derzeit Werner Faymann gehen: Sparpaket ausverhandeln, eher peinliche als staatsmännische Aussagen im ZIB2-Interview mit Armin Wolf (Stichwort „Ich mische mich da nicht ein, der Generaldirektor sucht sich sein Personal selbst aus“), und zu allem Überfluss scheint ihm ÖVP-Vorsitzender Spindelegger auch noch fremdzugehen.

Und noch dazu scheint Spindelegger nicht mit irgendjemandem zu flirten, sondern mit FPÖ-Frontmann HC Strache. Man sei sich schon „sehr nahe gekommen“, wenn es um das Sparpaket geht – so Strache. Beide wollen die „Leistungsträger“ schützen, und Vermögenssteuern sind für beide in etwa vergleichbar damit, wie es legale Abtreibungen für amerikanische Präsidentschaftskandidaten wie dem Republikaner Rick Santorum sind. Eigentlich ist die Situation grotesk.

Grotesk deswegen, weil Strache gegen „Sozialschmarotzer“ vorgehen möchte und es laut eigenen Angaben „nicht sein kann, dass ein Mindestsicherungsbezieher gleich viel Geld zur Verfügung hat wie ein fleißiger Arbeitnehmer“.  Abgesehen davon, dass in diesem Fall eher der Lohn der unteren Einkommensschicht zu niedrig ist als die Mindestsicherung zu hoch (die Vertreter der Wirtschaftskammer mögen mich für diese Aussage geißeln), ist es grotesk, gerade in diesem Fall eben NICHT für vermögensbezogene, oder zumindest substanzbezogene Steuern wie etwa eine Erbschaftssteuer, einzutreten. Will man an der Substanz nicht ansetzen, muss man dies nämlich wo anders tun – bei Transferleistungen und Einkommen. Und hier fängt die Groteske erst an.

Die Groteske besteht nämlich im Verhalten der Wähler – zumindest wenn man Umfragen glauben darf. Viele Wähler sind hier nämlich einem grundsätzlichen Irrtum unterlaufen, der sich in folgenden Punkten manifestiert:

  • Leistungsträger ist nicht gleich Leistungsträger. Die viel zitierte Billa-Kassierin mag zwar viel leisten, zählt aber aus FP- und VP-Sicht nicht unbedingt zu den „Leistungsträgern“ – die beginnen erst in höheren Einkommensschichten jenseits der 3500 Euro brutto. Einsparungen bei Transferleistungen und Einkommen treffen nämlich vor allem untere und mittlere Einkommen – die Kassierin merkt 50 Euro Gehaltsunterschied eher als der gut verdienente Regionalleiter, dessen Haus und Anlagen in Ermangelung von Erbschafts- und Vermögenssteuern weiter unbelastet bleiben (wie im Übrigen auch der Grundbesitz von Bauern). Meinen FP und VP also den „kleinen Mann“, kann der Durchschnittsangestellte kaum gemeint sein.
  • Die viel zitierten Ausländer, „die unser Sozialsystem ausnutzen“ tun in Wirklichkeit das genaue Gegenteil – sie zahlen statistisch gesehen mehr in das Sozialsystem ein, als sie durch Leistungen wieder herausbekommen. Auch dieses Neid-Argument geht also ins Leere.
  • Man will bei „Subventionen und Förderungen“ einsparen. Klingt gut und nicht den Einzelnen betreffend, ist es aber nicht. Abgesehen davon, dass hier nicht nur Kulturvereine, Migrantenvereine und andere „Einrichtungen“, wie es Strache ausdrückt,  betroffen wären, sondern auch andere Förderungen wie Forschung, Entwicklung und Infrastruktur. In Zeiten der Wirtschaftskrise eigentlich ein absolutes No-Go, in Ermangelung eines finanziellen Spielraumes schafft man sich so nur zusätzliche Probleme. Auch hier wird also reine Neid-Politik und das Ausspielen anderer Gruppen betrieben, wo eher der „kleine Mann“ durch den Wegfall von Forschung, Innovation und damit Arbeitsplätzen draufzahlt.

Und trotzdem bekommt Strache immer mehr Zulauf, egal, was er sagt. Und das liegt vor allem an einem: der Unzufriedenheit und das Debakel im derzeitigen Öffentlichkeitsauftritt der Regierung. Niko Pelinka, Laura Rudas, Werner Faymann auf der roten Seite, Maria Fekter – „Österreich ist ein stabiles Triple A-Land“ – auf der anderen Seite, sie alle manifestieren derzeit das politische Establishment, das nicht merkt, dass der Politikverdruss – und damit der Hang zur FP – immer stärker wird. Laut Umfragen liegt die FP bei 26%, vor der ÖVP mit 25%, knapp hinter der SPÖ mit 29%. Geht man von vorangegangenen Wahlen aus, deklarieren sich bei Umfragen weniger Personen zur FP als in der Wahlzelle – es ist also keinesfalls ausgeschlossen, dass Strache die Nummer 1 wird und eine Neuauflage der Regierung von 2000-2006 folgt. Allerdings mit umgekehrten Vorzeichen – Strache wird Kanzler sein. Die SP hat sich das dann selbst zuzuschreiben – und Niko Pelinka kann es sich im ORF gemütlich machen, Werner Faymann weiter lächeln, und Laura Rudas sich weiter in Interviews blamieren. Sie haben Strache in die komfortable Situation gebracht, machen zu können, was er will – die Wähler laufen ihm zu. Und das ist das eigentlich Groteske.

Foto: Peter Binter, Lizenz CC-BY-SA-2.0-DE 

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.