„Die Wahrheit“: Zwar kein neues Thema, aber auch keine verstaubte Umsetzung
„Die Wahrheit“ handelt- wie Zellers eigener Untertitel ausdrückt- von den Vorteilen, sie zu verschweigen und den Nachteilen, sie zu sagen. Dabei bewegt sich das Stück überzeugend sowie nahe am Leben des Individuums und an dem der heutigen Gesellschaft.
Alice (Lisa Schrammel) und Michel (Matthias Hack) haben seit einem halben Jahr eine Affäre. Sie treffen sich zwar regelmäßig, aber hauptsächlich nur in Pausen zwischen Terminen und anderen Verpflichtungen. Dem Wunsch Alices, ein ganzes Wochenende gemeinsam zu verbringen, könnte eher nachgegangen werden, wenn beide nicht verheiratet wären. Erschwerend hinzu kommt, dass Alices Ehemann Paul (Stefan Lasko) der beste Freund von Michel ist.
Als Alice plant, Paul gegenüber ihre Affäre mit Michel zuzugeben, will Michel sie davon abbringen – sei es nicht Liebe, ihn vor der Wahrheit zu verschonen oder solle man zumindest nicht auf einen besseren Zeitpunkt warten, nachdem Paul gerade seine Arbeitsstelle verloren hat? Schließlich scheint aber auch Michels Ehefrau Laurence (Lisa Fuchs) etwas zu ahnen…
Die Inszenierung (Ioan C.Toma) schafft es dabei, nicht moralisierend zu sein: Diejenigen, die betrogen werden, verheimlichen auch umgekehrt Dinge oder täuschen bewusst Ahnungslosigkeit vor, um das Gegenüber von selbst zur Wahrheit zu bewegen. Hinzu kommt ein gewisser Rollentausch, als Michel auf Paul wütend ist, da ihm dieser als Freund nicht gesagt habe, eine Vermutung von seiner und Alices Affäre zu haben, wohingegen Paul nach Michels Geständnis relativ ruhig bleibt. Auch Laurence scheint nach außen nicht so verletzt zu sein, wie man als Zuseher/in vielleicht vermuten würde: Es kommt zur Versöhnung, als ihr Michel verspricht, ab sofort diskreter zu sein und sie in Situationen anzulügen, in denen sie die Wahrheit schmerzen würde. Denn: „Wenn die Leute von heute auf morgen aufhören würden, sich zu belügen, gäbe es kein einziges Paar mehr auf Erden. Und in gewisser Hinsicht wäre das das Ende der Zivilisation“. Die sich durch das Stück ziehende Doppelmoral kommt auch wunderbar zur Geltung, als Laurence ihrerseits schließlich sämtliche Details zu Michels Affäre erfragt: Im Allgemeinen sei sie zwar nicht für das offene Ansprechen diesbezüglich, aber nun wisse sie ja bereits von der Affäre.
In einem Interview mit dem Autor Florian Zeller (1979 in Paris geboren) wird „Die Wahrheit“ den Boulevardstücken zugeordnet. Zeller selbst möge diese Bezeichnung und sehe Leichtigkeit eher als eine psychische Eigenschaft statt als eine Sache des Willens an. Wenngleich die behandelten Themen- Gegensatz standesgemäßes Äußeres und unstandesgemäße Affäre, sämtliche sich daraus ergebende Verstrickungen- dem Boulevard- Bereich entsprechen und bei „Die Wahrheit“ viel gelacht werden kann, hat das Stück dennoch Tiefgang aufzuweisen: Man denke an gesellschaftliche Konventionen, nach denen in bestimmten Situationen gelogen werden soll und sei es nur, um bei einem Bewerbungsgespräch einen besseren Eindruck von sich selbst zu hinterlassen oder um jemanden nicht zu kränken, wenn einem ein Geschenk in Wahrheit gar nicht gefallen hat. Laut Allan und Barbara Pease lügen wir genau aus den beiden Gründen, einen Vorteil zu erlangen oder um Schmerzen zu vermeiden.
Diese Widersprüche werden unter anderem in Zellers bitterem und melancholischem Blick auf Liebesbeziehungen widergespiegelt. Das von Magdalena Gut gestaltete Bühnenbild fügt sich stets in das Geschehen ein: Von dem Wort „Verité“ (französisch für die Wahrheit) leuchten nie zeitgleich alle Buchstaben auf, im Trockenen sitzen- oder im Fall der Duschszene eher stehen- musste in diesem Stück (wortwörtlich) keiner der Schauspieler/innen. Die Musik (Armin Lehner) traf vor allem bei einer Szene mit übergroßem Bett und Luftballons mit dem Text den richtigen (Stimmungs-)Ton.
Gelungen ist auch das offene Ende: Man weiß als Zuseher/in nicht mehr genau, wer, wann, wo und schon gar nicht weshalb oder weshalb nicht gelogen hat. In Wahrheit hätte ein geschlossenes Ende doch dem Inhalt des Stückes widersprochen.
Dieses wurde 2011 in Frankreich uraufgeführt und kann auf jeden Fall wahrheitsgemäß im Linzer Phönix- Theater weiterempfohlen werden.
Foto: Christian Herzenberger