Szene Open Air 2014 – Reloaded

Der zweite Tag, bedeckter Himmel, und irgendwie scheinen die Knochen nach der gestrigen Ekstase mit „The Bloody Beetroots“ noch einzeln wehzutun. Doch Festivals sind ja bekanntlich nicht dazu da, dass man schlappmacht. So auch nicht am Szene Open Air 2014, wo um 12 Uhr schon die ersten Bands starteten.

„From Scratch“ nennen sich die vier wagemutigen Musiker, die bereits um 12 Uhr die Mainstage erklammen. Naturgemäß noch vor einer überschaubaren Menge, ließen es sich die Jungs trotz einer kurzen Spieldauer von nur 20 Minuten nicht nehmen, ordentlich Gas zu geben. Punkrock, so wie er sein soll, ohne Allüren, ein paar Chords und ordentlich reinhauend. Thumbs up für diesen gelungenen Weckruf!

James Hersey betrat danach die Bühne. Deutlich erkennbar am Erscheinungsbild und am Alter der Personen in der ersten (und zu diesem Zeitpunkt leider noch immer fast einzigen) Reihe. Er spielte in seinem Set Nummern seines im September erscheinenden neuen Albums, was für einige Verwunderung unter den Fans sorgte. Auch „Roxanne“, eine Coverversion von „The Police“ aus dem Jahr 1978, dürfte hier eher nur vom Hörensagen ein Begriff sein. Was aber seine Performance nicht schmälern soll. Der Wiener verfügt nämlich über mehr als annehmbare Singer/Songwriterqualitäten! Und spätestens, als Klassiker wie „Juliet“ erklangen und die Zuschauer etwas mehr wurden, war der Gig noch zu einem guten Konzert geworden.

Unerwartet schwer hatten es danach Moop Mama. Die Münchner Urban Brass-Kapelle gab zwar eine gewohnt energiegeladene Liveshow zum Besten, doch der Funke wollte auf das unerwartet träge Szene-Publikum noch nicht so recht überspringen. Zumindest die ersten paar Songs lang. Danach kam es beinahe so vor, als ob ein Schalter umgelegt wurde. In der zweiten Halbzeit ging es dann auch im Publikum deutlich intensiver zugange. Vielleicht sind auch die letzten Müden am Campingplatz a.k.a. „The Dirt“ endlich aufgewacht. Also so wie man es von Moop Mama gewohnt ist. Und eine zweite Halbzeit, die richtig Lust auf die im Herbst und Winter stattfindende Tour durch hiesige Konzerthallen macht.

Aja, fast hätte ich hier auf die andere, kleinere Bühne vergessen. Da standen zum Beispiel die „Drescher“ auf der Bühne. Was da geschah, ist nur schwer in Worte zu fassen. Wiener Schmäh trifft Trashmetal, oder besser gesagt, Dreschmetal. Headbangpotenzial mit einem gewissen Augenzwinkern. Das dafür gut. Und gerne wieder!  Die Bezeichnung „in die Instrumente dreschen“ hat hier ein Synonym gefunden, das sich auch zu dieser Zeit ein größeres Publikum verdient gehabt hätte.

Danach wurde es polarisierend. „Eskimo Callboy“ aus dem wunderschönen Städtchen Castrop-Rauxel standen auf der Bühne, begleitet von einem Seven-Nation-Army-Intro. Die machen angeblich Progressive Metal, und gaben bereits zu Beginn an, dass sie von einigen nicht gemocht werden. Moshpits bildeten sich im schattigen Teil vor der Bühne tatsächlich. Progressive Metal ist das sicher nicht. Eher eine Mischung aus Core, Pop, Electro und Rock. Dass zwischendurch Ansagen gemacht werden, die vielleicht nicht ganz ernst gemeint, aber dennoch nicht witzig sind („Wasser gibts nur gegen Titten“) tat der guten Stimmung aber dennoch keinen Abbruch. Nicht jedermanns Sache, die Sache von über sechzehnjährigen Progressive Metal Fans sicher auch nicht, aber für einen Festivalnachmittag ganz ok.

Im Zelt nebenan geigten danach „The Weight“ auf. Die Band aus Wien bot eine Mischung aus Hard Rock und Classic Rock. Extrem tanzbar, extrem gut durchgedacht, extrem gut auf der Bühne vorgetragen. So muss eine Rockband sein, die auch Emotionen auf der Bühne zulässt. Auch wenn es im Zelt unerträglich heiß war, eines der Highlights des Festivaltages.

Apropos Highlight. Diesen Begriff ohne den Namen Judith Holofernes zu erwähnen, würde fast schon Blasphemie gleichkommen. Die Wir Sind Helden-Frontfrau ist zur Zeit mit ihrem ersten Soloalbum „Ein leichtes Schwert“ unterwegs, und bewies am Szene Open Air 2014, dass sie nichts von alten Stärken verloren hat. Judith gab sich betont locker, ließ sich auch von kleinen Mädchen, die auf Leftboy warten und die ersten Reihen okkupierten, nicht beirren, und lieferte ein großartiges Konzert ab. Inklusive Würdigungen an Elvis Costello, sichtlich guter Laune und Spaß an der Musik, den sie nie verloren zu haben scheint. Auch wenn „Denkmal“ verständlicherweise nicht gespielt wurde.

Left Boy war Headliner Nummer 1 am Freitagabend. Zuallererst läuft da mal Andrea Bergs (ja, genau die, die aber Leftboy-Fans eh nix zu sagen scheint) „1000 mal berührt“ als Intro. Danach betritt James Hersey als MC die Bühne. Gemeinsam mit DJ und einem zweiten MC werden drei Tracks als „Warmup“ gespielt“. Aufgrund der Regel, dass man nach drei Songs keine Fotos der Künstler mehr anfertigen darf, durften daher auch keine Fotos von ihm aus dem Fotograben gemacht werden. Was folgte, war eine perfekt durchchoreografierte Show, die die Fans zufrieden stellte. Zumindest, wenn man den Eindrücken Glauben schenken kann. Ein bisschen „make some noise“ und „are you still there“ reicht also scheinbar aus, um ausgelassene Stimmung zu erzeugen. Wenn noch ein paar Basslines drinnen sind, umso besser. Eurythmics-Covering ist dabei auch inklusive. Ob allerdings „Sweet Dreams“ jedem im Publikum noch etwas sagt, sei dahingestellt. „Call me maybe“ schon eher, der Staubwolke im Publikum nach zu urteilen. Oasis‘ „Wonderwall“ wird auch noch verbraten. Und weils so schön ist, gibts noch ein „We Will Rock You“ von Queen obendrauf. Damit man auch das ganze Who is Who der Musikgeschichte durch hätte. Zur Ehrenrettung sei allerdings gesagt, dass Leftboys eigene Nummern genauso gut ankamen. Show geglückt, Publikum zufrieden, Mission accomplished. Polarisierend aber auf jeden Fall. Aber spätestens bei „Get it right“ dürften wieder alle versöhnt werden. Andrea Bocelli und Sarah Brightmans „Time To Say Goodbye“ muss vor dem letzten Song aber schon noch gespielt werden – warum auch nicht? Nichtsdestotrotz scheint Left Boy „Born to suceed“ zu sein.

Ein erinnerungswürdiges Konzert boten danach „Satellite Stories“ im Zelt. Sie gelten nicht umsonst als „Partyband“ und bewiesen, dass Finnland auch andere Exporte zu bieten hat als Metal und Hardrock-Bands. Das Quartett überzeugte auch viele Besucher, die zuvor bei Left Boy gewesen waren, und haben sicher noch einige Fans mehr dazu gewonnen!

Wie es richtig geht, bewies danach Marteria. Der Bereich vor der Bühne war erstmals an diesem Abend bis zum FOH gut gefüllt. Das ganze Konzert lang war danach Ekstase pur angesagt – inklusive bengalischer Feuer im Publikum. Natürlich durfte auch ein Auftritt seines Alter Ego Marsimoto nicht fehlen, wo die Stimmung danach einen noch größeren Höhepunkt erreichte. Und auch seltsame Gerüche in der Luft lagen. Ein würdiger Headliner-Slot, nachdem im Anschluss Camo & Krooked mit „Zeitgeist“ den Festivaltag nicht so ganz ruhig ausklingen ließen.

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.