Get Even: Atmosphärisches Gruselabenteuer

Der polnische Entwickler Farm 51, unter anderem bekannt durch Necrovision, liefert mit Get Even sein erstes großes Spiel ab. Die Mischung aus Horror, Adventure, Shooter und Krimi kann vor allem atmosphärisch überzeugen. Beim Level-Design und dem Gameplay merkt man dem kleinen Studio dann aber doch die fehlende Reife an. Ein hochgradig atmosphärischer Trip, der nichts für schwache Nerven ist und diesem Redakteur ein paar weiße Haare mehr beschert hat.

Mit Necrovision konnte Farm 51 bereits zeigen, dass eine dichte Atmosphäre eine ihrer Stärken ist. Auch Get Even ist ein Titel geworden, der einen tief in seine Welt zieht und einem die Nackenhaare aufstellt. Die mysteriöse und krimiartige Geschichte rund um den Ex-Marine Cole Black, Konzernmachenschaften und einen gestörten Psychiater treibt einen voran. Mit manchmal simplen und manchmal ausgefallenen Methoden und einer eindrucksvollen Soundkulisse wird eine dichte Stimmung erzeugt. Wo der Titel beim Gameplay noch viel Abwechslung bietet scheitert Farm 51 beim Leveldesign welches am Ende des Tages den Sprung in die 90er Wertung zu nichte macht.

 

Get Even
Publisher: Namco Bandai
Entwickler: Farm 51
Plattformen: PC, PS4, Xbox One
Testplattform: PS4
Metacritic-Score: 72%
Preis: 29,99 €

 

Wer sind wir und was ist hier los?

Als Ex-Marine und ehemaliger Söldner Cole Black wachen wir benommen in einer Irrenanstalt auf – wieso wir hier gelandet sind, ist uns nicht klar. Starke Erinnerungslücken plagen uns und nur fetzenhaft kommen einem vereinzelte Bilder in den Kopf. Ein Mädchen, eine Bombe, ein Waffenproduzent, Diebstahl und Söldner, die uns ans Leder wollen. Mehr wollen wir gar nicht verraten, denn die hoch spannende, mysteriöse und wechselhafte Geschichte von Get Even ist ganz klar das Highlight des Spiels und für sich alleine ein Kaufgrund. Nach und nach springen wir mittels Bilder in die Vergangenheit und setzten so das Puzzle rund um Coles Vergangenheit und die Anstaltn in der wir uns befindenn zusammen.

Erzählt wird sie vor allem durch Gespräche, dem Lesen von in der Welt verstreuten Texten, Tonbandaufzeichnungen und Bilder. Und so wandern wir mit einer stets gezückten Waffe angespannt durch die Gänge der Anstalt, durch Firmengebäude, Bunker, Wälder und andere verlassene Orte, immer auf der Suche nach der nächsten Antwort, dem nächsten Fetzen an Erinnerung. Immer wieder müssen wir auch Entscheidungen treffen. Ob wir schleichen oder unsere Waffen benutzen, bleibt uns selbst überlassen und hat einen Einfluss auf die Handlung. Die geheimnisvolle Off-Stimme ermahnt und immer wieder, möglichst friedlich vorzugehen, um die Erinnerungen nicht zu stören, reißt uns manchmal sogar vorzeitig aus der Erinnerung, wenn wir zu gewalttätig agieren. Immer wieder können wir aber auch zur Ruhe kommen, wenn wir in traumartigen Sequenzen, frei von Gefahr, durch Coles Gehirn spazieren, großartige Sequenzen die durch schlichten Tiefgang beeindrucken.

Immer wieder erleben wir persönliche Szenen aus der Vergangenheit

 

Das Lesen von Texten ist ein bedeutender Teil von Get Even

 

Töten oder nicht

Von Beginn weg laufen wir im Spiel wie bei unserem früheren Arbeitgeber durch die Gegend. Mit wahlweise schallgedämpfter Pistole, Maschinengewehr oder der um Ecken schießenden Corner Gun. Bis auf ein paar wenige Stellen innerhalb des Irrenhauses, in denen keine friedliche Lösung möglich ist, müssen wir dieses Equipment nie verwenden. Je nachdem wie gewalttätig wir sind, ändert sich der Verlauf der Geschichte, denn mit jedem tödlichen Schuss zerstören wir jene Erinnerung, in welcher wir uns gerade befinden. Leider aber ist das oftmals nicht möglich. Zumindest auf dem höheren Schwierigkeitsgrad reagieren die Gegner so schnell, dass man um Waffengewalt nicht herum kommt. Es hätte dem Spiel gut getan auf die Shooter-Elemente zu verzichten.

Generell sind manche der Entscheidungen sehr plump. Speziell am Anfang dürfen wir hin und wieder entscheiden, ob wir zum Beispiel eine Tür in der Anstalt öffnen oder nicht. Welche Konsequenzen dies hat, lässt sich im Vorfeld nicht sagen, also drückt man im Zweifelsfall einfach den Knopf. Wenn dann dadurch ein Patient freigelassen wird und seine Kollegen tötet, lässt das einen absolut kalt. Wie sollte man auch Empfindungen über den Tod eines Charakters entwickeln, den man nicht kennt? Das hätte man sich sparen können. Generell sind die Patienten zwar in ihrer Verrücktheit abwechslungsreich, aber sie sind dem Spieler schlicht egal. Was mit ihnen passiert bleibt irrelevant.

Ob wir die Corner Gun je verwenden bleibt uns überlassen

 

Angst, sehr viel Angst

Obwohl der Titel nicht zu den klassischen Horrorspielen gehört ist, Get Even einer der nervenaufreibendsten Titel der letzten Jahre. Die dunkle und atmosphärisch perfekte Lichtstimmung, gepaart mit einer der besten Soundkulissen die ich je erlebt habe, lässt den eigenen Puls konstant immer wieder hochschnellen. Mit einfachen Mitteln hat man im Hintergrund stets Töne oder Gesänge im Ohr, welche die aktuelle Situation noch unangenehmer, bedrückender machen, auf eine gute Art und Weise. Ein beklemmendes Gefühl ist ständiger Begleiter des Spielers. Mit zittriger Hand am Controller und vorgehaltener Pistole wird jede Kante, jeder Raumwechsel zur Überwindung. Eindrucksvoll wie man ohne Monster und Jump Scares so unglaubliche Anspannung erzeugen kann. Wir sind beim Test nicht nur einmal zusammengezuckt, wenn beim Schleichen durch die dunklen Gänge ein Patient im Hintergrund ein Kinderlied anstimmt. Get Even spielt nicht mit tatsächlichen Ereignissen, nein es spielt mit der Angst des Spielers, dass ständig etwas passieren könnte. Nichts für schwache Nerven.

Lauert etwas in diesem Garten?

 

Das Smartphone, dein bester Freund

Wie im echten Leben ist auch in Get Even das Smartphone unser wichtigster Begleiter im Spiel. Ob Karte, Infrarotlicht, Wärmebildkamera oder Scanner, jedes Tool ist für das Lösen der immer wieder vorhandenen Rätsel notwendig. Diese machen neben dem Erkunden der meistens recht linearen Levelareale und dem Erleben der Geschichte den Hauptteil des Spiels aus. Oftmals kompliziert stellen sie den Spieler aber nie vor unlösbare Schwierigkeiten. Länger als fünf Minuten waren wir nie beschäftigt, bis wir das Ergebnis hatten. Ein nettes Feature, das sich mit der Videokamera aus Outlast bzw. mit Tools eines Sam Fisher vergleichen lässt.

Ob als Karte inklusive Sichtwinkel oder…

 

als Wärmebildkamera, das Smartphone ist ein zentrales Tool

 

Diesen Raum kenne ich doch schon

Kommen wir zur einzigen richtigen Schwäche des Spieles. Während Geschichte, Gameplay, Sound und Atmosphäre auf vollster Linie überzeugen können, schwächelt Get Even stark beim Leveldesign. Egal ob in der Anstalt, in einem Bunker oder einer verlassenen Schule, alles sieht gleich aus. Immer wieder werden die gleichen Versatzstücke zusammengesetzt. Ständig hat man das Gefühl, diesen Raum schon zu kennen. Die Atmosphäre und auch die Orientierung wird dadurch beeinträchtigt. Auch bei den Texturen an sich leistet sich Get Even in der von uns getesteten PS4 Version immer wieder starke Schnitzer.

 

Gelungen oder nicht ? – Fazit

Pro:

  • Sehr spannende Geschichte
  • Großartige Atmosphäre
  • Entscheidungen
  • Gewalt- und gewaltfreier Spielstil möglich
  • Perfekte Musikuntermalung
  • Spannende Gadgets
  • Roter Faden
  • Sehr gutes Preis/Leistungsverhältnis

Contra:

  • Instalteninsasen bleiben blass
  • Ständig wiederholende Versatzstücke beim Level Design
  • Schwammiges Waffengefühl
  • Teilweise unmöglich Entscheidungen zu bewerten

Get Even ist ein Überraschungshit geworden. Eines der atmosphärisch dichtesten Spiele der letzten Jahre. Ein Horror-Shooter-Adventure Krimi ohne plumpe Schockmomente. Die Geschichte fesselt den Spieler an den Bildschirm und regt zu selbstständigem Denken an. Die außergewöhnlich gute Soundkulisse hält den Blutdruck und den Puls konstant hoch, ohne zu aufdringlich oder künstlich zu wirken. Wer also ein Spiel mit einer spannenden Geschichte und einer angenehmen Spieldauer, wir brauchten 7 Stunden für einen Durchlauf, sucht darf sich Get Even nicht entgehen lassen. Ein Geheimtipp der trotz seiner schwächen im Level-Design absolut empfehlenswert ist! Ein Geheimtipp, der, ohne sich selbst als Horrorspiel zu bezeichnen, eines der angsteinflösendsten Spiele der letzten Zeit ist.

Wertung der Redaktion: 85 %

Musikliebhaber, Festivalreisender, Konzertsüchtig, Vinylnerd, Photograph, Konzertveranstalter, Linz-Liebhaber