Blonder Engel: „Das neue Album ist viel tiefer als die bisherigen Werke“
Zehn Jahre „Blonder Engel“ – der Linzer Liedermacher feiert mit dem „Blonden Album“ sein Jubiläum. Zehn Jahre, in denen er sechs Alben veröffentlicht hat, und sein Publikum permanent zum Lachen bringt. Gemeinsam mit der Hedwig Haselrieder-Kombo steht natürlich auch eine ausgedehnte Tour dazu an – und nachdem ich mit dem Blonden Engel schon die Schulbank in der Linzer Innenstadt drücken durfte, haben wir ihn natürlich vorab um ein paar Statements gebeten.
subtext.at: Zu Beginn: Kannst du mir sagen, was der Blonde Engel unter dem Begriff „Humor“ im Generellen versteht?
Blonder Engel: Humor kann so vieles sein. Den Begriff jetzt in jeder Facette fassen zu wollen, würde wohl den Rahmen dieses Interviews sprengen. Für mich ist Humor aber in erster Linie eine Art „Blick aufs Leben“, gewisser Maßen ein Wahrnehmungsmodus, der es dir oft erlaubt Dinge mehrschichtiger wahrzunehmen. Gelingt aber (leider auch mir) nicht immer.
subtext.at: Du hast vor zwei Jahren einmal in einem Interview gemeint, dass du deinen Schaffensprozess in drei Kategorien einteilst: Prä-Nespresso, Prä-ORF und Post-ORF. Provokant gefragt: was unterscheidet den Blonden Engel vor dem Kaffee und den nach der ORF-Ausstrahlung?
Blonder Engel: Bekanntheit und Routine. Ersteres liegt glaube ich auf der Hand, letzteres würde ich gerne ein bisserl ausführen: ich versuche auch heute noch so unbefangen wie in den ersten Tagen an mein Schaffen heranzugehen, habe mir aber natürlich im Laufe der Jahre verschiedene Routinen zurechtgelegt. Einerseits abseits der Bühne, wo sie auch am wichtigsten sind. Wie gehe ich diesen Song an? Wie organisiere ich diese Tour? Worauf achten beim neuen Album? In solchen Fragen ist es natürlich super, wenn man schon Erfahrungen gesammelt und sich verschiedene Strategien zurechtgelegt hat. Andererseits gibt es natürlich auch auf der Bühne Routinen, die manchmal sogar gefährlich werden und dich in einen Trott verfallen lassen können. Ich versuche die Bühnensituation immer wie einen Balanceakt auf dem Drahtseil zu betrachten, wo ich der Akrobat bin, der sich hinauslehnt und wagt. In meinem Fall sind das so Sachen wie die Textimprovisationen, spontanes Neuerfinden der Zwischenmoderationen oder einfach die Weigerung, ein fixes Programm zu spielen, sondern die jeweiligen Songs an den Abend anzupassen. Die Routine ist dann gewissermaßen das Fangnetz. Dinge, die ich schon oft probiert habe, von denen ich weiß, dass sie funktionieren, auf die ich zurückgreifen, in die ich mich quasi fallen lassen kann, wenn beim Balanceakt mal was schiefgeht.
subtext.at: Du bist sehr offen mit deiner gesundheitlichen Situation umgegangen – damals wirklich eine bewusste Entscheidung, relativ gleich damit hinauszugehen, oder ob des Perücken-Wechselns auch ein bisserl praktisch? Retrospektiv gesehen: war „unfrisiert“ dann eigentlich eine noch bessere Pointe als Plattentitel als damals ohnehin schon?
Blonder Engel: Der öffentliche Umgang mit meiner Krankheit war für mich eine logische Konsequenz. Erstens ist Krebs oder Krankheit generell nichts wofür man sich schämen muss. Zweitens hab ich mir einfach gedacht, dass es vielleicht ein bisserl komisch anmutet, wenn der blonde Engel auf einmal nach einer längeren Bühnenpause unkommentiert mit einer Glatze auf der Bühne sitzt. Freilich hätte ich mir eine echte Perücke checken und mich dann während dem Konzert permanent anscheißen können, ob die hoffentlich eh nicht verrutscht und keiner was merkt. Nein. Da hab ich mich lieber für die Flucht nach vorn entschieden und bin auch dafür belohnt worden, weil meine Fans sehr positiv, herzlich und respektvoll mit dem Thema umgegangen sind. Und ja – ich hab’s mir damals zwar nicht gewünscht/erhofft, aber mit „UNFRISIERT“ als Plattentitel hab ich anscheinend prophetische Weitsicht bewiesen.
subtext.at: Gibt es für dich eine Grenze, wo der Humor nicht hin dürfte, bzw. ein Thema, über das sich der Blonde Engel niemals lustig machen könnte?
Blonder Engel: Es gibt schon Sachen, die ich nicht machen würde, aber nicht weil ich das Gefühl habe, dass ich das nicht dürfe, sondern vielmehr weil’s mir nicht liegt. Zum Beispiel Politik: Freilich informiere ich mich über politisches Geschehen, habe meine politische Meinung uns natürlich auch den ein oder anderen gesellschaftspolitischen Seitenhieb in meinen Liedern. Ich würde jetzt aber nie ein ganzes Politsatireprogramm fahren, weil ich das nicht so gut bringe, wie andere Kollegen, die in diesem Bereich Maßstab für mich sind. Drum fokussiere ich mich dann bei der Themenauswahl auf anderes. Mal kommt ein bisserl was kritischeres dabei raus, mal was harmloseres. Generell finde ich dass Satire und Kunst keine Grenzen gesetzt werden dürfen, dass sich die Künstler aber immer ihres Handelns und der möglichen Konsequenzen bewusst sein sollten.
subtext.at: Zehn Jahre später bist du ja nicht nur „Geschichtenerzähler“, sondern auch mit sechs Alben am Start. Hand aufs Herz: hättest du damals, im Gymnasium, geglaubt, zehn Jahre nach der Matura erfolgreicher denn je als Blonder Engel unterwegs zu sein?
Blonder Engel: Du weißt ja, dass ich schon in der Schule immer den Rockstar-Bubentraum geträumt habe. Natürlich immer mit ein bisserl Augenzwinkern, aber auch immer mit der Hoffnung, dass sich das „against all odds“ vielleicht doch irgendwie ausgeht. Nun: Stadien fülle ich heute (noch) keine, aber ich kann zumindest von meiner Musik leben und das nicht unbedingt schlecht. Ist schon mal ein guter Anfang und ich hab ja noch Zeit (lacht).
subtext.at: Würdest du den Approach zu „Das Blonde Album“ eher perfektionistisch oder Aus-dem-Bauch-heraus beschreiben? „Das Blonde Album“ wird unter dem Motto „Erstmals richtig ausproduziert, erstmals beyond Kleinkunst, aber dennoch meinen schmähtandlerischen Wurzeln treu bleibend.“ angepriesen. Anders gefragt: ist der Blonde Engel mit dem zehnjährigen Jubiläums-Album erwachsen geworden?
Blonder Engel: Ja und nein. Also mit dem blonden Album kommt jetzt auf keinen Fall die Katharsis. Ich habe weiterhin vor auf dem schmalen Grat zwischen „gscheit und gscheit bled“ zu wandeln. Aber ich wollte mit der Scheibe einmal zeigen, dass man meine Songs auch aus diesem Kleinkunst-Ding rausheben und „musikalischer“ inszenieren, sprich produzieren kann. Bei den vorherigen Platten war es immer mein oberstes Credo, den Live-Charakter nicht zu verlieren. Da haben wir beispielsweise lediglich mit den Instrumenten gearbeitet, die mir/uns auch auf der Bühne zur Verfügung stehen. Beim blonden Album gilt jetzt erstmals: gib dem Song was er braucht. Da wurde zunächst mal auf die Live-Realisierbarkeit gepfiffen. Wenn ich den Song jetzt in einem Oberkrainer-Arrangement höre, dann geb ich ihm auch eins. Wenn der Song als Rocknummer taugt, kriegt er auch eine zweite oder sogar dritte Gitarre und eine Orgel. Dafür habe ich dann auch mit 28 Musiker-KollegInnen, die ich im Laufe der Jahre kennen und schätzen gelernt habe, zusammengearbeitet, die es geschafft haben diese musikalischen Vorstellungen nicht nur zu erfüllen, sondern auch zu übertreffen. Herausgekommen ist eine 24 Titel (einerseits neues Material, andererseits bekanntes, aber eben überarbeitetes) starke Doppel-CD, die jetzt eben total viele unterschiedliche Stile vereint und musikalisch viel tiefer geht als meine bisherigen Werke. Natürlich ist es aber immer noch ein Blonder Engel-Album, das die gewohnt humorvolle, ironische Note und die typischen Texte nicht vermissen lässt.
subtext.at: Musiker sind ja oftmals ihre schärfsten eigenen Kritiker. Gibt es Tracks in deiner Discographie, wo du dich heute fragst, was dir denn damals für ein Blödsinn eingefallen ist?
Blonder Engel: Diese Tracks gibt es, ja. Sie liegen aber größtenteils Gott sei Dank in einer Schublade und sind nur mir bekannt und über sie wird der Mantel des Schweigens ausgebreitet. Darüber hinaus gibt es aber Lieder, die ich heute vielleicht nicht mehr so schreiben würde, weil ich mittlerweile einfach einen anderen Blick auf die Thematik habe, bzw. andere Ansprüche an mich stelle. Außerdem gibt es Nummern, die besser altern als andere. Ein gutes Beispiel aus dem blonden Album für so einen Song ist „Da Sechser bringt di retour“, eine Nummer, die ich bereits 2012 geschrieben habe. Die taugt mir mit jedem Mal spielen immer mehr, was vielleicht daran liegt, weil man bei manchen Songs einfach ein Zeiterl braucht, bis man heraußen hat, wie man sie bringen muss damit sie am besten funktionieren.
subtext.at: Seit etwa der Hälfte deiner Karriere bist du (oft) mit der Hedwig Haselrieder Kombo unterwegs. Darf man sich das als ernste, professionelle Truppe vorstellen, oder regiert da noch immer mitunter auch das Chaos?
Blonder Engel: Beides. Die Hedwig Haselrieder Kombo rekrutiert sich aus mittlerweile vier (ab dem Posthof-Konzert hab ich einen zweiten Gitarristen mit auf der Bühne) sehr erfahrenen, vielseitigen und versierten Musikern, die meine Ideen und Vorgaben gekonnt umsetzen. Das heißt jetzt aber nicht, dass es nicht auch ab und an chaotisch zu geht, was zwar manchmal Nerven raubend sein kann, aber prinzipiell ja nicht per se schlecht ist, denn gerade wenn es auf der Bühne „frei“ wird, sprich in Richtung Improvisation und Schlagfertigkeit geht, zehren wir von genau diesen chaotischen Momenten. Und es ist für einen Frontmann auch irrsinnig erleichternd zu wissen, dass deine Band Situationen handeln kann, in denen es drunter und drüber geht.
subtext.at: Hast du während deiner zehn Jahre mal das Gefühl gehabt, einen gelungenen Song schreiben zu „müssen“? Wie geht der Blonde Engel mit künstlerischen Sinnkrisen um?
Blonder Engel: Ich glaube dieses Gefühl hat jeder Künstler irgendwann mal. Schließlich werden wir alle an unseren Erfolgen gemessen. Und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass mich das nicht auch beschäftigt. Ich versuche nur, mich nicht davon beherrschen zu lassen. „Kreatiefs“ kommen und gehen. Mal hab ich Monate, wo ich nicht eine einzige brauchbare Zeile schreibe, dann gibt es wieder Wochen, da hau ich vier Songs am Stück raus. Und als Storyteller hab ich ja Gott sei Dank diesen Charts-Druck nicht, weil sich viele meiner Songs schlicht per Länge, Thematik oder Struktur für den Radioeinsatz disqualifizieren. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich mich nicht freue, wenn ich eine Nummer von mir im Radio höre oder dass mir das nicht taugen würde, eine (wie’s in einem Lied von mir heißt) „Chartstürmer-Hit-Nummer-Eins“ zu schreiben, es ist lediglich nicht mein primärer Anspruch oder mein übergeordnetes Ziel. Wenns mal passiert, passiert’s, wenn nicht, nicht. Hits kannst du nicht planen, sonst hätte ja jeder einen (lacht).
subtext.at: Zum Abschluss: unser Gymnasialprofessor, der für den Namen „Blonder Engel“ verantwortlich ist, hat sich in den Ruhestand verabschiedet. Eine Message an ihn?
Blonder Engel: Da muss ich jetzt ganz ehrlich sagen, dass ich nicht wirklich weiß, worauf du anspielst, weil der Name auf jemand anderen zurück geht. Aber ich will das jetzt gar nicht auflösen, weil das vom Standpunkt „Künstler-Mythos“ her eh super ist, wenn mehrere origin-stories kursieren…
Die zehnjährige Jubiläumstour führt den Blonden Engel auch wieder durch Österreich. Live zu sehen hier:
20.10. Album Release, Posthof Linz (sold out!)
2.11. Orpheum, Graz
4.11. Stadtsaal, Waidhofen/Thaya
10.11. Altes Kino, Ebersberg
23.11. ArgeKultur, Salzburg
24.11. Stadtsaal, Wien
Mehr Infos unter blonderengel.net/