„Diese Musik ist dafür gemacht, der Gemeinschaft zu dienen“: STELLA JONES über Gospel

Pünktlich zur Jahreswende ist es wieder so weit: Der Advent steht vor der Tür, Weihnachten ist in den Startlöchern, Silvester auch schon auf der Zielgeraden und das neue, kommende Jahr ist auch nicht mehr weit. Was noch auf dem Programm steht und vom österreichischen Publikum seit vielen Jahren heiß ersehnt wird: Gospel. Die Musikrichtung erfreut sich schon seit mehr als zwanzig Jahren großer Beliebtheit und eine, die als fixe Konstante jedes Jahr dazugehört, ist Stella Jones.

Die umtriebige Sängerin und ehemalige Eurovision Song Contest-Teilnehmerin aus dem Jahr 1995, die auch als Vocal Couch u.a. aktiv ist, im ausführlichen Interview über ein Genre, welches vor allem in schwierigen Zeiten Kraft spendet, von Hollywood zeitweilig filmisch aufgriffen wird und sich auch nicht davor scheut, als Inszenierung wahrgenommen zu werden.

subtext.at: Stella, bist du eine nostalgische Person?
Stella Jones: Eine nostalgische Person? Nee, nicht wirklich. (überlegt) Nö. So alt bin ich doch noch gar nicht (lacht).

subtext.at: Um Gospel richtig wertschätzen zu können, muss man demnach nicht nostalgisch veranlagt sein?
Stella Jones: Nö. Musik ist etwas, was wir alle verstehen. Jedes Kind, jedes Kleinkind, unterhält sich erst mal mit Wortlauten, bevor es die Materie versteht. Wir unterhalten uns alle musikalisch und unsere Sprache ist ja auch Musik. Wir haben sie nur etwas intellektualisiert, damit wir uns zurechtfinden. Musik ist aber dem Ganzen enthoben.

© Stelluna

subtext.at: Kannst du dich an deinen ersten Gospel-Auftritt erinnern?
Stella Jones: Meine erste Gospe-Experience werde ich nie vergessen. Ich komme ja vom Jazz, Funk, Soul, R’n’B und bin relativ spät und durch einen Zufall zum Gospel gekommen. Unser erstes Konzert in Süditalien, 45 Grad mindestens, wir in unserer Robe. Ich dachte mir nur: „Wow!“ Es war super.

subtext.at: Eine körperliche wie seelische Erfahrung.
Stella Jones: Genau. Es war eine Gruppe von Donna Brown, die in Berlin sehr bekannt ist, mit der ich damals unterwegs war und mit der wir auch nach Wien gekommen sind. In der Votivkirche hat mich der damalige Veranstalter, der hier immer noch Gospel macht, vor 19 Jahren angesprochen, ob ich nicht meine eigene Gospelgruppe in Wien machen möchte. „Wir können es ja mal versuchen“, habe ich zu ihm gemeint (lacht). Wir haben mit einer riesigen Band begonnen, mit Drums und allem, aber das ging natürlich gar nicht wegen dem Hall in der Kirche. Alle paar Sekunden kam die Musik zu den Leuten (lacht).

subtext.at: Was ist aus deiner Sicht das Wesen des Gospel?
Stella Jones: Gospel ist aus meiner Sicht aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt. Einerseits ist diese Musikrichtung eine sehr emotionale. Emotionen wie Freude, Wut, Trauer, überschwängliche Begeisterung, Liebe, all diese Komponenten werden lautstark, manchmal auch fast überzogen, in Wortgesang und auch in Darstellung auf die Bühne gebracht und performed. Diese Songs erzählen Geschichten aus dem Leben. Der Rhythmus, die Fröhlichkeit und die Freude sind natürlich ansteckend für andere Leute. Es ist immer ein ganz anderes Erlebnis, wenn man Gospel erleben oder auch selber Gospel performen darf.

subtext.at: Welche früheste Erinnerung bringst du mit Gospel in Erinnerung?
Stella Jones: Meine frühesten Erinnerung an Gospel begann im Jahr 1999. Mit Gospel bin ich nicht groß geworden, ich komme von der weltlichen Seite. Ich komme, wie vorher bereits erwähnt, aus einer Jazz-Familie und habe als Roots eben Jazz, Blues, Funk, Soul und die ganze Pop-Abteilung mitbekommen, die auch dazugehört. Im Gospel war das ja früher verpönt, also die weltliche Musik, weil Pop und Jazz beispielsweise dem Gospel genau konträr gegenübergestellt waren. Es waren nur bestimmte Leute dazu aufgerufen, diese Musik zu performen. In den 50ern und 60ern hat sich dann alles verändert, es kamen die Einflüsse von weltlichen Musikern hinzu. Als die ganz großen Stars wie Ray Charles oder Aretha Franklin Gospel gesungen haben, wurden sie schief angeguckt, weil sie aus der weltlichen musikalischen Linie stammen. Sie waren es, die angefangen haben, ihre eigenen Einflüsse mit dem Gospel zu vermischen und sie haben zu einem großen Teil den Gospel zu dem gemacht, was er heute ist. Mich verbindet mit Gospel genau die umgekehrte Geschichte. Ich habe damals die wunderbare Möglichkeit bekommen, mit auf Tournee zu gehen und war dann ein halbes Jahr mit den Golden Gospel Singers aus Berlin, unter der Leitung von eben Donna Brown, auf Tournee. Das war eine sehr lehrreiche, lustige, fröhliche aber auch sehr anstrengende Zeit, weil wir jeden Tag gefahren sind und die Konzerte in ganz Europa zerstreut waren. Das erste Konzerte, in Süditalien werde ich nie vergessen. Am nächsten Tag ging es noch vor Sonnenaufgang nach Österreich für ein weiteres Konzert. So ging es jeden Tag, ein halbes Jahr lang, was relativ anstrengend war. Ich habe wahnsinnig viel gelernt und auch die Roots des Gospel kennengelernt, denn alle Sänger in dieser Gruppe waren richtige Gospel-Sänger – außer mir. Die sind mit dieser Tradition groß geworden und echte Amerikaner, die damals erst seit ein paar Jahren in Europa gelebt haben.

© Stelluna

subtext.at: Was macht ein Lied zu einem außergewöhnlichen und zeitlosen Gospel-Song?
Stella Jones: Im Gospel sind die Emotionen sehr stark betont und der traditionelle christliche Text ist eingebaut. Diese Songs erzählen Geschichten, welche die Menschen wirklich erlebt haben, als sie noch entweder als Sklaven gearbeitet haben oder eben auch später sich den Herausforderungen des Alltags stellen mussten.

subtext.at: Rhythmus im Blut, wird man damit geboren oder erlernt man es, in dem man damit aufwächst?
Stella Jones: Wir alle haben sozusagen Rhythmus im Blut, wir sind ja den Rhythmen des Lebens unterworfen. Unser Atem, der uns mit frischen Ideen und frischer Luft belebt, unser Körper, unser Herzschlag oder der Rhythmus der Gezeiten. Der Rhythmus, der beginnt ja schon in der Früh, wenn wir aufwachen, da beginnt der neue Zyklus, Zirkel, ein neuer Circle. Jeder Tag hat diesen Rhythmus. Es gibt einen Höhepunkt und es gibt dann eine Abflachung bis hin zum Abend. Das sind alles kleine Rhythmen und diese Rhythmen sind Zyklen, die sich über so große Zeiträume erstrecken, dass wir schon seit Dekaden versuchen, uns diese Rhythmen geläufig und untertan zu machen (lacht). Damit wir auch eine gewisse Art von Sicherheit in diesen Rhythmen finden. Das drückt sich auch in der Musik aus. Wir sind alle musikalische Wesen, erlernen eine Sprache, damit wir uns mit anderen Lebewesen, mit anderen Menschen unterhalten können, um es abstrakt zu formulieren. Wenn man mehrere Sprachen spricht, merkt man, wie Worte miteinander verwandt sind. Ich beschäftige mich mit dem Thema auch schon seit meiner Kindheit, weil ich auch verschiedene Sprachen spreche. Wir sind alle sprachlich miteinander verwandt (lacht)! Der Rhythmus ist uns angeboren, wir werden in den Rhythmus hineingeboren. Circle, Zyklen oder Lebenskreis, wie immer man das jetzt sehen möchte. Wenn Gott will, dürfen wir ein langes Leben leben (lacht). Irgendwann fallen wir aus diesem Cycle auch wieder heraus. Innerhalb dieser Rhythmen haben wir die Möglichkeit, uns auszudrücken. Manche machen das bewusster und manche Leute haben ihren Fokus auf andere Dinge gelenkt.

subtext.at: War dein Fokus immer so aufs Leben gerichtet?
Stella Jones: Nachdem ich in eine musikalische Familie hineingeboren wurde, war mein Fokus von Anfang an auf die Musik, auf den Rhythmus der Musik gerichtet. Wir merken aber auch bei anderen Menschen, dass ein Medium in ihnen wirkt. Musik macht etwas mit Menschen. Man kann es sehen. Gilt für Menschen, Pflanzen, also da gibt es wunderschöne Versuche. Auf meine Haustiere hatte mein Klavierspiel auch immer eine Wirkung. Meine Mama und meine Oma haben mir stets gesagt, dass alles beseelt ist in der Natur und diesen Rhythmen unterworfen ist. Ich müsste mir keine Sorgen machen. Nichts passiert zufällig.

Soloalbum von Stella Jones

subtext.at: Kannst du ein Beispiel nennen?
Stella Jones: Es gab einen Selbstversuch, da habe ich als Kind mit Blümchen im Garten gesprochen. Ich habe zu den Blumen gesagt, sie seien ja gar nicht schön und sie dann für einige Zeit stehen lassen. Als ich zurückgekommen bin, waren sie zu, die Blüten waren verschlossen. Bei all den anderen Blumen, mit denen ich nicht gesprochen habe, hat sich nichts getan. Ich habe mich dann entschuldigt und die Blümchen wieder stehen lassen. Als ich erneut zurückgekommen bin, waren sie wieder offen. Für mich als Kind war das ein Zeichen (lacht). Ein Wunder. Bei meiner Mama, die einen grünen Daumen hatte, hat deswegen auch was geblüht an Stellen, wo man eigentlich nichts pflanzen hätte können. Auch wenn Tiere und Pflanzen nicht unsere Sprache sprechen, verstehen sie dennoch unsere Frequenz. Unsere Sprache ist ja auch Musik. Ich bin da ziemlich carefree manchen Dingen gegenüber, die da propagiert werden. Ein Störfaktor kann nicht alles zum Einsturz bringen. Im Moment wird da ja geschüttelt und gerüttelt, schon seit Jahrzehnten. (überlegt) Es wird ja seit einiger Zeit versucht, unsere eigene Musik zu verdunkeln, wenn ich das lyrisch so sagen darf, aber ich mache mir da wenig Sorgen. Ich kenne so viele Leute, die versucht haben, anderen Leuten Schaden zuzufügen, durch Schimpf & Schande, um dann einzusehen, dass man gewisse Dinge nicht verändern kann und die Dunkelheit in ihnen selber steckt. Ich hoffe, viele Menschen sehen das. Jetzt leben wir ja auch in turbulenten Zeiten, was auch mit diesen Zyklen zu tun, wenn man sich damit beschäftigt und nicht nur mit Musik. Musik ist Mathematik und Mathematik ist ganz eng verbunden mit den Naturgesetzen, denen wir unterworfen sind. Wir können nicht alles machen, was wir wollen, sondern wir müssen uns den Zyklen hingeben und mit ihnen leben. Man braucht keine 80 Jahre Psychotherapie, das sage ich als Vocal Coach und Stage Coach, wo man im Kopf rumhängt, weil das hilft auch nicht, denn der Schlüssel ist das Herz. Im Herzen sind wir alle miteinander verbunden. Das ist eine Weisheit, die über uns hinausgeht. Das klingt jetzt sehr lyrisch und lieblich, aber die Wahrheit ist ganz einfach und sichtbar für jeden, der sie sehen will. Und für jeden hörbar. Wir unterliegen alle dem Rhythmus und wir bekommen ja auch durch den Rhythmus unserer Mama im Bauch gewisse Dinge mit. Wenn wir dann auf die Welt kommen, leben wir diesen Rhythmus – ob es uns bewusst ist oder nicht (lacht).

„Wir sind immer interessiert, Dinge auf die Bühne zu bringen, um den Leuten eine Freude zu machen.“ Stella Jones

subtext.at: Wünscht man sich Werte, die der Gospel vermittelt, manchmal auch in unsere Gesellschaft zurück? Wärme, Verständnis, Gemeinschaftsgedanken, die Bereitschaft, zuzuhören…
Stella Jones: Ja, wenn man diese Paradigmen mit dem Gospel verbindet. Der Gospel geht aber noch so viel weiter. Da ist ja noch ein ganzer Schlapf an Geschichte, erlebter Geschichte, die verschiedene Volksgruppen bis heute immer noch als Wert, als Abzeichen vor sich her tragen. Die Kirche hat sich auch dieses Abzeichen des Leids, diesen Mantel des Leids umgehängt und geht damit natürlich auch fischen. Der Papst mit seiner Fischkappe (lacht). Es gibt so viele Zusammenhänge, die man alle sehen kann. Es gibt keine Geheimnisse auf dieser Welt. Natürlich kann man das auch politisieren und auch einsetzen. Ich tue das weniger. Ich war zwar getauft, aber ich hab dann nach meinem Song Contest-Auftritt ziemlich schnell diesen Verein verlassen. Und ich mein das genau so, es ist ein Verein. Mit den Statuten konnte ich mich nicht mehr mit identifizieren beziehungsweise habe ich vorher auch ich gewusst, welche Statuten eigentlich galten (lacht). Nach dem Song Contest, als ich dann eine breitere Masse von Leuten mit meiner Musik ansprechen durfte, kam dann natürlich auch gleich die Kirche und hat die Hand aufgehalten. (überlegt) Unsere Welt ist eine gemachte Welt und in diesem Konglomerat des gemachten gib es Werte, die gemacht sind und gewisse Zusammenhänge des Verständnisses, die auch gemacht wurden, nach denen wir uns orientieren. Wenn man sie ablegt, muss man erst mal hinterfragen, ob das wirklich so ist. Die Natürlichkeit liegt ganz woanders. Wen ich jemandem weh tue, wird er mir auch weh tun. Und es kommt alles zurück. Heutzutage glauben viele, weil sie sich hinter Medien, Firewalls oder elektronischen Geräten verstecken können, dass sie nicht gefunden werden. Im Umkehrschluss heißt das aber, sie werden viel leichter gefunden, weil sie sich diesen Medien bedienen. Es kommt immer darauf an, welches Verständnis man selbst mitbringt.

© Stelluna

subtext.at: Befinden wir uns, was diese Werte anbelangt, in einem Umbruch?
Stella Jones: Werte sind für uns wichtig. Der Rhythmus gibt uns einen Wert, einen Lebenswert. Wir betreten auch neue Bühnen und Erfindungen, die lange zurückgehalten wurden, werden jetzt veröffentlicht, was spannend und wunderbar ist. Immer, wenn neue Paradigmen auf uns im Kollektiv heranströmen, passiert gerade ziemlich heftig, dann sind Werte wieder gefragt, denn sonst würden wir versuchen, Leute auszubeuten wie wenige Leute, die am Drücker sitzen. Deswegen bröckelt es ja auch an anderen Stellen. Das ist natürlich nicht der Weg, auch für diese Leute nicht. Wenn man immer nur gewinnt, ist es auch langweilig. Man muss sich auch mal wieder reiben, damit man dazulernen kann. Wir Menschen lernen durch die Reibung, und es kommt da energetisch noch ganz viel auf uns zu. Musikalisch seh-, hör- und spürbar. Alte Kulturen haben keine Schwierigkeiten, Werte zu leben und auch standfest zu sein. Warum sollen sie ihre Werte und Rhythmen verschieben, nur weil es anders besser sei? Ist einem das wert, sich selber zu verleugnen, sich selber zu verneinen? Kinder, die sind noch in ihrer Wertigkeit, was wunderschön ist. Kinder haben diese Ursprünglichkeit, sie sie fühlen lassen, sehen lassen und ich bin im Herzen genau so. Viele Musiker sind auch so. Wir sind große Kinder, die Musik spielen (lacht). Wir kommen wieder zurück zum Ursprung. Für manche Leute ein harter Schlag, weil Dinge zusammenbrechen, in die man so viel investiert hat.

© Stelluna

subtext.at: Was bietet einem der Gospel, was nicht in zeitgenössischer Musik zu finden ist?
Stella Jones: Das, was man im Gospel finden kann, lässt sich auch in allen anderen Musikstilen finden. Manchmal brauche ich Rockmusik, ich liebe Rockmusik, da kann mir der Gospel jetzt nicht viel geben. Manchmal möchte ich Popmusik, manchmal möchte ich Klassik und manchmal eben Gospel. Das hängt davon ab, in welcher Schwingung ich gerade selber bin. Manchmal brauche ich etwas zum Rauslassen, manchmal etwas, was mich eher beruhigt. Was den Gospel ausmacht, ist der Mut der Begeisterung und einfach zu sich zu stehen, egal was von außen kommt. Dieses Gottvertrauen, dieses Selbstvertrauen leben zu können, ist die Musikrichtung des Gospels. Das beobachte ich bei sehr gläubigen Menschen, die ihr Herz und ihre Gedanken an eine gewisse Kraft oder Macht hängen. Texte, die sich mit dem Herz und mit der Seele auseinandersetzen, mit den metaphysischen Dingen, die da vorherrschen. Der Gospel ist ganz eindeutig die Aufarbeitung dieser Themen. Das macht den Gospel so reich, wenn man Kraft braucht, sich klein fühlt, Zuspruch nötig hat oder ein Schulterklopfen braucht. Da ist der Gospel perfekt, weil der Gospel einen enthebt bei Emotionen, die einen manchmal niederschmettern können oder könnten. Gospel wirkt dahingegen sehr erhebend und spricht Mut zu. Wenn man ein Gospel-Konzert besucht, ist man ein anderer Mensch, wenn man wieder hinausgeht. Dieses Gefühl habe ich bei Pop- und Rock-Konzerten jetzt nicht so sehr. Der Gospel verändert von innen heraus. (überlegt) Als meine Mama vor zwei Jahren gegangen ist, das musste auch so sein, weil sie schon sehr krank war, hat mir der Gospel sehr viel Halt gegeben und sehr viel Mut zugesprochen. Bei jedem Gospel-Konzert singe ich auch ein Lied für sie. Das sage ich auch, offen und ehrlich. Ich habe keine Schwierigkeiten, mit dem Tod umzugehen, weil ich um diese Rhythmen weiß. Ich habe Vitrinen voll von Menschen, die sich bei mir bedanken. Da merke ich dann wirklich, dass der Gospel besonders ist für die Menschen. Diese Musik ist nicht dafür gemacht, persönlich Profit darauszuschlagen. Diese Musik ist dafür gemacht, der Gemeinschaft zu dienen. Eine dienende Geschichte, eine dienende Musik. Das ist auch das, was ich selber empfinde. Ich diene den Menschen und bin sozusagen ein Sprachrohr für höhere Frequenzen. Ich gebe es den Leuten so gerne und es ist mir egal, ob ich dafür Geld kriege oder nicht, weil es in mir schlummert.

subtext.at: Kann Gospel ohne religiösen Hintergrund funktionieren und sollte man sich als Gospel-Interpret neuen Einflüssen öffnen?
Stella Jones: Ja, weil Gospel von den Spirituals herkommt und die kommen wiederum von den Worksongs, die mit Religion nicht unbedingt etwas zu tun haben. Das ist ein Riesenfeld. Die Eroberer, die Königshäuser, die aus verschiedenen europäischen Ländern kamen, diese Geschichten werden ja jetzt wieder aufgerollt. Das, was in den letzten zwei Wochen mit Königshäusern passiert ist… In Amerika beginnt das, seit Trump da ist. Am Land hat man immer gesagt: „Die Könige machen eh ihr Ding“. Politisch sind wir auch absolut solchen Rhythmen unterworfen. Die Kirche, auch Aufgrund der religiösen Texte miteingefloßen sind, hat auch Gutes bewirkt. Sehr viel Gutes. Sagen wir es so. Jemandem Hoffnung zu vermitteln in fast einer aussichtslosen Lage, halte ich für eine gute Sache. Warum soll ich mich in Leid suhlen und wälzen, wenn ich doch Mut und Hoffnung haben könnte? Die Spirituals waren jetzt nicht unbedingt auf diese Texte gestützt. Wir alle sind Spirits, wir haben alle einen Kopf und wir kommen mit einem gewissen Geist auf die Welt. Wir wollen uns ausdrücken, wachsen, uns vervielfältigen und lernen. Die Worksongs waren die der Sklaven, die keine andere Möglichkeit hatten, als sich durch Musik auszudrücken. So konnten sie in diesen harten Bedingungen überleben. Später kamen dann die Spirituals und der kirchliche Einfluss hinzu. Nicht jeder Sklave wurde schlecht behandelt, die meisten natürlich schon. Sie wurden den Familien entrissen, es war auch sehr perfide gemacht. Aus jeder Volksgruppe wurde einer oder zwei genommen, damit sich die mit den anderen Volksgruppen nicht unterhalten konnten. Sie sollten sich untereinander nicht verständigen können, es gibt Milliarden Sprachen, die Musik hat sie aber wieder vereint. Die Musik und der Lebensrhythmus ist im Süden ein bisschen stärker erlebbar als im kälteren Norden. Das ist so. Das hat mit dem Klima und den kulturellen Gegebenheiten zu tun. Wenn es heiß ist, geht man hinaus und wenn es kalt ist wie jetzt gerade, dann zieht man sich zurück. So ist halt die Mentalität. Das ist alles natürlich, muss man nicht bekämpfen. Wir sind eben so. (überlegt) Ich finde es wunderbar, wenn der Gospel mit anderen Stilen vermischt ist. Dadurch habe ich sehr viel gelernt. Jeder sollte sich öffnen. Es ist die Zeit des Wissens angebrochen und jeder sollte sich möglichst viel Wissen verschaffen, um im Herzen zu entscheiden, ob man diesen Weg gehen möchte oder nicht. Deswegen finde ich es wunderbar, wenn andere Backgrounds mitwirken und mitschwingen. Generell sollte man als Musiker immer offen sein. Rollläden auf, nicht zu, und hinaus in die Welt.

subtext.at: Helfen Kinofilme wie „Sister’s Act“ oder „The Preacher’s Wife“, den Spirit aufrechtzuerhalten?
Stella Jones: Das ist für mich auch eine Zweiteilung. Kinofilme sind dafür gemacht, um die Menschen auf einen gewissen Pfad zu bringen, gedanklich, emotional und wie auch dann in den Auswirkungen. (überlegt) Der Spirit ist sowieso da, wir alle haben den Spirit, einen Geist. Wir sind geistige Wesen in einem menschlichen Körper, sagen wir es mal so (lacht). Wir sind erwacht. Bei uns geht in der Früh die Birne an und wir hüpfen aus dem Bett. Dann ist die Birne an, egal, was andere Leute sagen. Am Abend müssen wir uns dann wieder hinlegen, weil der Spirit auch mal Ruhe braucht von den Alltagsgegeständlichkeiten. „Sister Act“ und „The Preacher’s Wife“ sind super, um ein Bild in die Köpfe der Menschen einzubrennen. Wir gucken uns die Filme an und bekommen die Emotionen, die Bilder und die Musik gleich mitgeliefert. „Sister Act“ ist erhebend und lustig, obwohl es eigentlich eine tragische Story ist. Es ist lustig aufbereitet und spannend, da ist halt alles drinnen, was Hollywood zu bieten hat. Bei „The Preacher’s Wife“ ist es halt mehr auf der emotionalen Ebene und man drück auf die Tränendrüse, wenn ich das mal so sagen darf (lacht). Natürlich Whitney Houston, die für mich eine der besten Sängerinnen der Welt war und eigentlich immer noch ist, weil es unerreicht ist, was sie alles gemacht hat. Unerreicht, wie sie mit ihrer Stimme umgegangen ist, welche Stile sie beherrscht hat und alle, alle, alle, auch die jungen Sängerinnen wie Ariana Grande, kopieren sie. (überlegt) Kinofilme helfen, die amerikanische Kultur über die Grenzen berühmt zu machen und zu zeigen, wer im Filmgeschäft die Nummer eins, Hollywood, ist. Die Musik ist aber super, muss ich echt sagen.

subtext.at: Die Roben, die Kleider, die ganze Ausstattung… Ist eine Rolle, in die man hineinschlüpft? Ist es eine Art Inszenierung?
Stella Jones: Diese Frage ist super, eine sehr interessante Frage. Ja, klar! Es ist alles eine Inszenierung, das ganze Leben ist eine Inszenierung (lacht)! Es ist wunderbar, wenn man versteht, weshalb manche Gruppen eine bestimmte Farbe auf der Bühne tragen, auch wenn es bei uns mit rot der Show dient, weil wir früher einen blauen Hintergrund hatten. Blaue Roben, blauer Hintergrund und wir sind verschwunden (lacht). Rot und blau deswegen, genau konträr und auch königlich. Wenn man „Das letzte Abendmahl“ betrachtet, dann sind Jesus und Maria auch konträr gekleidet. Diese Inszenierung zieht sich durch unser ganzes Leben. Roben, vor allem, kommen von der Kirche und die Ausstattung ist unbedingt in diesen Kontext zu setzen. Es ist eine Inszenierung, die hängen bleibt. Wir setzen ein Statement, welches gut für die Show ist. Super Frage, wobei alle Fragen super sind (lacht)!

subtext.at: Du hast mit vielen nationalen und internationalen Größen zusammengearbeitet wie Conchita, Falco, Andreas Gabalier, Helene Fisher, Lisa Stansfield oder Simply Red. Lernst du noch Dinge über die Kunst des Songwritings, des Singens oder der Musik dazu?
Stella Jones: Ja, unbedingt! Das ist ja gerade das Spannende. Jeder Künstler hat etwas Eigenes, jeder hat eigene Herangehensweisen, obwohl die Message gleich zu sein scheint. Das macht die Musik so spannend. Als Musiker muss man, egal ob als Sängerin, als Frontfrau auf der Bühne, auf eine Platte, im Background oder mit meinem Gospelchor, jedes Mal muss ich mich ganz neu einstellen. Ich hatte aufgrund meiner Familienstruktur so viele Einflüsse, dass ich mich überall zugehörig gefühlt habe. Als Kind habe ich schon so viele Sprachen gesprochen und so viele Orte gesehen, weil meine Eltern mit mir so viel herumgereist sind, dass ich schon früher viel Lebenserfahrung hatte und auch früher Erwachsen werden musste. Das war nicht so mein Ding mit Kindern, denn ich war lieber unter Erwachsenen. Ein Grund, weshalb ich mir mein kindliches Herz bis heute bewahrt habe und so lebe, weil ich das als Kind nicht hatte. (überlegt) Es gilt auch für Konzerte, jedes Konzert ist anders, nie gleich. Ich mache seit zwanzig Jahren Gospel und es gibt keine Konzerte, die sich gleichen. Der Spirit ist immer anders von den Leuten her, die zum Konzert kommen. Die Trigger, wo das Publikum anspringt und wo nicht, hängt auch mit der Gemeinschaft zusammen. Wenn das Publikum mit offenem Herzen zum Konzert kommt, springt der Funke sofort rüber. Manchmal sind aber auch kranke Leute im Publikum, die müssen erst mal ihre Trauer ausdrücken und die ersten drei Songs über weinen. Dann können sie erst aufmachen. Deswegen ist Trauer auch so wichtig. Gefühle wegzurationalisieren, auch bei den Männern, ist nicht gesund und halte ich für falsch. Da blüht dann die ganze Psycho- und Pharmaindustrie. Wir begegnen uns einfach immer neu. Ich hatte aber auch schon Downfalls und wurde übers Ohr gehauen, auch privat, aber den Preis bin ich bereit zu zahlen, weil ich lebe besser damit. In meiner Familie darf jeder so sein, wie er ist und das ist bei den Künstlern genau so. Wie gesagt, ich lerne jeden Tag dazu (lächelt).

© Elena Shirin

subtext.at: Du pendelst zwischen Wien und Berlin. Wie äußern sich die Umstände? Die Gemeinsamkeiten?
Stella Jones: Ich pendle auch in Österreich ganz viel, weil ich muss. Als Musikerin kommt der Ort nicht zu einem selber nach Hause, man muss immer zu neuen Orten fahren. Die Gemeinsamkeiten zwischen Wien und Berlin sind bei mir auch familiär verankert. Ich bin geboren in Berlin, meine Mama ist Wienerin gewesen und wir sind dann von Berlin über den Umweg in Salzburg nach Wien gezogen. Die Ursprünge meiner Karriere verdanke ich den Leuten aus Wien. Seit 1998 gab es wieder in Berlin Aktivitäten wie die Hauptrolle in „Rent“ und ganz viele andere Sachen und jetzt ist es wieder so, dass ich mit großen Volks-Rock’n’Roller Andreas Gabalier unterwegs bin. Sein Produzent, der erste Gitarrist auf der Bühne, ist auch Berliner und der hat mich engagiert (lacht). Es ist ewig spannend. Berlin und Wien gehören für mich irgendwie zusammen. Es sind im Osten und im Westen zwei Schnittstellen, nur ist Wien doppelt so klein wie Berlin. Es ist ein Melting Pot, wo ganz viele Kulturen aufeinandertreffen. Tolle Leute, alle miteinander. Meine Mutter hat noch eine andere Geschichte erfahren, sie wurde getrieben – wie meine Großeltern. Wenn man zum Beispiel Kreuzberg in Berlin besucht, dann weiß man, was Multikulti bedeutet. Die haben auch keine Berührungsängste. Wir achten in Österreich vielleicht ein bisschen mehr auf den körperlichen Abstand, aber da oben ist das ein Gewusel und Gedränge, dort ist das ganz normal. Ich kenne viele Berliner, die in Wien leben und umgekehrt Viele Künstler sind in Berlin, da ist die Auswahl einfach größer aber auch die Konkurrenz. Es sind auch viele Amerikaner in Berlin, muss ja vorhanden sein. Das ist toll, weil ich mir dann auch viele Amis zu Gospel-Tourneen hole. (überlegt) Berlin erinnert mich noch ein bisschen mehr an New York, wird auch immer mehr so. Die Österreicher, wenn man sie reden hört, meckern immer gern, die Berliner genau so, aber ich liebe Österreich. Ich bin ja Österreicherin, hätte mir aber einen anderen Pass aussuchen können, weil ich als Amerikanerin in Berlin geboren wurde, aber das stand überhaupt nicht zur Debatte. Die Leute sind herzlich und ich mag das auch, wenn sie mal standhaft sind und ihre Meinung sagen. Das hat eine wunderbare Qualität. Meine Mama hat immer gesagt „Berwien“ und ich hab das auch irgendwann mal übernommen.

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