Der österreichische Weg und Spionage

„Wenn etwas Seltsames passiert, wenn etwas nicht erklärt werden kann und wenn diplomatische Verwicklungen und Spionage im Spiel sind, dann heißt es immer, das sei der österreichische Weg“, meint Emil Bobi im Interview mit wien.ORF.at. Sein Buch „Die Schattenstadt“ schildert, wie und warum Wien in der Zwischen-und Nachkriegszeit zu einem Zentrum für Geheimdienste wurde.

Mehr als 7.000 Geheimagent_innen sind laut Schätzung des Spionageforschers Siegfried Beer in Wien aktiv. Sie haben Scheinpositionen in Botschaften, internationalen Konzernen und Organisationen inne. Ihre tatsächlichen Tätigkeiten liegen in der Beschaffung und Übermittlung geheimer Informationen. Dabei muss es sich nicht um konkrete, von vorneherein festgelegte Mitteilungen handeln: „Wer sich bedroht fühlt, über die Bedrohung aber nichts Genaues weiß, für den kann alles von Bedeutung sein“ schreibt Bobi. Der investigative Journalist (profil, „Der Friedensnobelpreis. Ein Abriss“) lässt ehemalige Polizisten wie Alfred Rupf (emeritierter Chef der Wiener Flughafenpolizei), Politiker wie Karl Blecha und Helmut Zilk, Historiker sowie den Kabarettisten Alfred Dorfer, Kulturwissenschaftler_innen und Psychotherapeuten zu Wort. Lawrence Martin-Bittman, Ex-Geheimagent, und Alfred Dorfer haben Gastbeiträge für „Die Schattenstadt“ verfasst.

Martin-Bittman: „Warum war Österreich für kommunistische Geheimdienste so wichtig?“
„[…] Viele österreichische Regierungsbeamte haben ihren Lebensstandard verbessert, indem sie für einen oder auch mehrere Ost-oder West-Geheimdienste gearbeitet haben[…]. In offenen, demokratischen Gesellschaften zu arbeiten machte es ihnen [den Spionen, Anm.] viel leichter, besonders in Österreich“, so Martin-Bittman.
Die österreichische Staatspolizei sei laut Bobi Spionage gegenüber offiziell achtsam, Taten würde keine folgen. Der Journalist berichtet von Kooperationen; von Agenten, die kurzfristig außer Land gebracht werden und von Fragen, welche die Polizei vermeiden möchte.

Ein Urteil des Obersten Gerichtshof 1956 besagt, dass Spionage in Österreich nur unter der Bedingung, dass sie sich direkt gegen den Staat selbst richte, strafbar sei. Der ehemalige Innenminister Karl Blecha habe dies laut Bobi als Urteil über das Fremdenverkehrswesen aufgefasst: Spion_innen dürfen einreisen, aber sich hierzulande weder umbringen noch Gesetze verletzen.

Die wesentlicheren Motive, warum Wien bei Agent_innen beliebt sei, liegen Bobi nach allerdings bis auf dieses Urteil weniger in der Rechtslage als vielmehr in der geografischen Lage, der Neutralität, Lebensqualität und vor allem in der Kultur inklusive Wiener Schmäh.

Hinter der Kaffeehausgemütlichkeit
Die Kultur des Tratschens und der Geheimnisse habe ihren Ursprung nicht in Kaffeehäusern, sondern bereits auf dem Marktplatz der Vormoderne – einer Zeit, in der stets Fremdsprachen auf der Straße zu hören waren und in der die Bevölkerung erkannt hat, dass Dinge nur dann verhandelbar seien, wenn sie nicht schon klar sind.
In der Gegenwart sei auch der Wiener Schmäh für das Spionagezentrum entscheidend. Bobi bezieht sich dabei auf den Bericht „Wiener Schmäh. Zur Entstehung, Tradierung und Aktualität einer lokalspezifischen Kommunikationskompetenz“ von Sabine Müller und Vrääth Öhner. Der Wiener Schmäh sei eine Methode, Fremde zu erkunden, deren Geheimnisse herauszufinden, Identitäten einzuordnen und die eigene darzustellen. Dazu sei es nicht notwendig, dass sich die Beteiligten kennen.

Aufdeckungsjournalismus?
„Die Schattenstadt“ erzählt Zeitgeschichte, die ihren Beginn in der Vormoderne und ihren Aufschwung in der Zwischen-und Nachkriegszeit hatte. Einerseits werden Ereignisse aufgedeckt, die der/die Lesende als Missstände betrachten könnte, andererseits bleibt nach der Lektüre nicht der Eindruck, dass Spionage eine Gefahr für Österreich sei. Selbst das repräsentativ-demokratische System scheint sich mit ihr arrangiert zu haben: Lesende erfahren, wie der Bundespräsident Heinz Fischer und die ehemalige Justiz-Ministerin Beatrix Karl bisher mit Spionage umgegangen sind, dass und inwiefern Politiker wie Helmut Zilk direkt beteiligt waren. Dabei fehle es nicht an Informationen: Der Grünen-Abgeordnete Peter Pilz (Siehe Presse-Artikel) meint, dass Ministerien die Informationen über die Identität und Standorte der Spion_innen hätten. Notwendig sei hingegen eine bessere Abwehr.

Informationen und Heiterkeit
Bobis Buch ist nicht nur informativ und sachlich gehalten. Durch die Verbindungen zu Wiener Kultur und Schmäh, zu Tiefenpsychologie und durch den Beitrag Dorfers sind auflockernde und heiternde Stellen dabei. Teile davon erinnern mehr an einen Roman als an Journalismus: Hier wird vieles detailliert beschrieben, um das ein oder andere stilistische Mittel ergänzt und manchmal gewertet. „[…] Es ist ein Ansporn, das Heute zu meistern, weil das Heute ist das Gestern von morgen und gestern war ja alles besser […]“, schreibt Dorfer ironisch.

Schwach ist das Werk jedoch im Aufbau. Der Wiener Schmäh kommt dem/der Leser_in bereits zu Beginn unter, Emil Bobi bezieht sich mehrmals auf das kulturwissenschaftliche Werk Müllers und Öhners, ohne es gleich an dieser Stelle ausführlicher einzubauen. Das Kapitel zu diesem findet sich erst im hinteren Teil des Buches. Eine chronologische Reihung erfolgt ebenfalls kaum: Ein Kapitel bezieht sich auf Roland Girtler, der erklärt, dass es Spionage gebe, seit Menschen denken. Sie sei das zweitälteste Gewerbe der Menschheit. In „Die Schattenstadt“ ist dieser Teil in der Mitte platziert. Ähnlich verhält es sich mit dem roten Faden: Vor einer Beschreibung der Spionagesituation folgt eine zum Wesen der Wiener_innen, das Buch endet nicht mit einem Ausblick oder einer Zusammenfassung, sondern mit Scheinwelten, Herrn Karl und Wiener Schmäh. Dies erschwert die Lektüre, dennoch bleiben Einblicke in die Spionage und Eindrücke zum Umgang mit Geheimdiensten seitens Politiker_innen, Polizist_innen usw. hängen.

„Die Schattenstadt“ ist 2014 im Verlag ecoWin erschienen und umfasst 204 Seiten. Die Printausgabe ist um 21,95 €, das E-Book um 17,99 € zu erhalten

Bild: Andreas Hofer/Ecowin

Katharina ist Sozialwissenschaftlerin und Redakteurin. Sie beschäftigt sich vor allem mit gesellschaftlichen (z.B. frauenpolitischen) und kulturellen (z.B. Film, Theater, Literatur) Themen. Zum Ausgleich schreibt sie in ihrer Freizeit gerne literarische Texte: https://wortfetzereien.wordpress.com/