PLACEBO: Veni, vidi, vici

Von reduzierter, akustischer Songwriterei zum anwachsenden Opulenzrock in nur wenigen Schritten: Mit „MTV Unplugged“ markieren die erneut zum Duo geschrumpften Placebo jüngst den letzten Fleck in ihrer tadellosen Diskographie. Eine gelungene Gratwanderung zwischen kommerziellem Appeal und dem Drang, Altbekanntes in einem neuen Gewand vorzustellen.

Auch bei Ablegung der Fanbrille gilt, dass in den vergangenen beiden Dekaden diese Band alles erreicht hat, was man sich als Gruppe praktisch nur erträumen kann. Bis tief in die 90er Jahre waren Placebo als androgyn-provozierende Glamrocker auszumachen. Sie haben das Genre nicht erfunden, aber der Sparte neues Leben eingeflößt. Mittlerweile ist die Gruppe um Brian Molko zu einer festen Alternative-Größe herangewachsen. Den Mainstream machen Placebo stets erträglicher. Mit der letzten Veröffentlichung „Loud Like Love“ klag zudem alles freundlicher, wärmer und friedlicher als man es bislang gewohnt war. Obwohl sie schon des Öfteren in ihrer Karriere rein akustische Auftritte gespielt haben, sind Placebo auch endlich im sanften Schoß von MTV gelandet und Brian Molko und Stefan Olsdal dürfen sich und ihre Andersartigkeit gebührend feiern.

Placebo

Dieses Unplugged-Konzert, aufgenommen im August 2015 in den London Studios, gibt sich wieder finsterer, verletzlicher als zuletzt, gleichzeitig von einer opulenten Seite. Eine Konzentration auf das Wesentliche findet nicht zwingend statt, stattdessen werden die Feinheiten der jeweiligen Songs herausgearbeitet und mittels Orchester oder exotischen Instrumenten, wie dem Kanun aus dem Orient in „Post Blue“, ausgeschmückt.

Feingliedrige Lieder aus dem Backkatalog werden einfallsreich umarrangiert. Das vom Verlust erzählende Sinead O’Conner-Cover „Jackie“ ist als Opener des Abends eher unglücklich gewählt. Erst der stampfende Beat von „For What It’s Worth“ gibt wirklich den Ton vor. Den eigenen Ansprüchen werden die Interpretationen von Songs wie dem mediokren „Too Many Friends“, „Every You Every Me“ mit der dänischen Songwriterin Majke Voss Romme oder „Protect Me From What I Want“ mit Joan Wasser aka Joan As Police Woman nicht immer gerecht, aber das Bemühen ist allen Beteiligten stets anzuhören.

Die Stürme des Lebens, vorgetragen in Songs wie dem wunderbar elegischen „Meds“ oder dem treibenden „Song To Say Goodbye“, kanalisiert die Band nun in einem intimen Rahmen, obwohl Intimität nicht durchgehend vorherrscht. Dieses Unplugged erinnert uns (und wohl die Band auch) an Dinge, die ein paar Jahre zurückliegen und manchmal noch ferner erscheinen. Brian Molko ist zwar selten so sehr in sich versunken wie hier, doch die Streicher-Schichten, die inzwischen zu jedem ambitionierten Künstler gehören, der ein MTV Unplugged aufnimmt oder die Entschleunigung von manchen Liedern tut dem Material nicht immer einen Gefallen. Berührt ist man, beeindruckt aber nicht wirklich. Es gibt ja weiß Gott Schlimmeres. Dennoch: Hat man sich erst mal auf die Musik eingelassen, zieht sie einen sanft in jene Abgründe, für die wir meist nicht die richtigen Worte finden, um sie selbst zu beschreiben.

https://www.youtube.com/watch?v=Z4_w_GO1s0I

Das Gewinnspiel ist beendet.

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Placebo im subtext.at-Interview
„Loud Like Love“-Rezension auf subtext.at

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