Das Grauen des Nichts

Welche Auswirkungen hat es auf Menschen, wenn Vernunft und Motive fehlen, wenn ehemals Sinnstiftendes dem Nichts nicht mehr entgegentreten kann? „Das Grauen“, Aktionskunst von FUCKHEAD, raum.null und Stirn Prumzer, ist ein düsteres Szenario mit ebensolchem Ende.

Reisende treffen abseits der Zivilisation auf den Handelsagenten Kurtz. Kurtz war Humanist, er glaubte an die bestmögliche Persönlichkeitsentfaltung, an die Wirtschaft und an gesellschaftliche Werte. Er erzählt von einem zerfleischten Kind und seiner Trauer über dessen Tod. Mittlerweile ist Kurtz jedoch zum Nihilisten geworden, menschliche Handlungen haben ihren Sinn verloren. Seine und die Handlungen der Reisenden sind davon nicht ausgenommen…

Die Performance begegnet diesem Nichts mit Videos, Stroboskop – und UV-Licht, Nebel und brachialen Klängen. Vom Meeresrauschen zur Aufforderung „Nicht anfassen“ zu Beginn bis hin zu viel elektronischer Musik –Die Klänge sind je nach dem Dargestellten abwechselnd düster oder ausgelassene Partymusik. Der lockeren, unkontrollierten Stimmung mit exzessivem Bier trinken und ausschütten folgen gewalttätige Handlungen. Spaß ist in „Das Grauen“ nie das, was er vorgibt zu sein. Nichts scheint mehr Freude zu machen als anderes, die Bewegungen wirken mechanisiert, erinnern manchmal an Roboter.

Drei Hauptperformer teilen sich die Bühne mit verschiedenen Utensilien wie Holzbrettern, einer großen Kartonschere, einem Seil und schwarzer Farbe. Anfangs in Urlaubskleidung inklusive Badeschlapfen, die meiste Zeit der Perfomance über barfuß und nackt bis auf weiße, transparente Unterhosen – Der Körper ist zentrales Medium dieser Aktionskunst: Zwei Männer bringen den Performern immer wieder neue Requisiten wie Puppen und ein Bild, das in einer Szene als Kulisse dient. Didi Bruckmayr und Co. werden angepinselt, bekommen Fetzen und Plastikkörperteile, werden mit Sand bestreut. Weiße, hochgeschlossene Masken erinnern an Mitglieder des Ku-Klux-Klans. Kurtz steht in aufrichtiger Pose, als würde er eine Rede halten, ein Darsteller säubert ihn mit einem Tuch und gibt ihm so den letzten Feinschliff. Der Performer auf der anderen Seite dürfte in Kurtz eine Führungsfigur sehen, er hält seine Hand, leckt diese sogar ab. Kurtz bekommt Essen und Geschirr serviert, ein Tisch wird sorgfältig gedeckt.

Das Bühnenbild wechselt mit der jeweiligen Szene. Das Publikum bekommt viel Stroboskoplicht, teils rotes Licht und Nebel, ein Spiel mit harmonisierenden, düsteren Farben und Projektionen auf einer Leinwand geboten. Sich bewegende Totenköpfe, Spiralen, Farbkombinationen aus Rot und Schwarz – Stirn Prumzer (Christopher Sturmer, Johannes Maile) hat eine zur Darstellung und Musik adäquate, schräge Untermalung kreiert.

Der dritte Teil der Trilogie des Romans „Heart of darkness“ (Joseph Conrad, 1899) ist wie seine Vorgänger für den/die ein oder andere_n Besucher_in verstörend; Aktionskunst, die auf Körpereinsatz, Lichttechnik, eine Kombination verschiedener Medien wie Videos, Musik, aber diesmal auch begrenzt auf Sprache setzt. Kurtz erzählt eine Geschichte, erläutert in bestem Englisch wirtschaftliche Themen und menschliche Handlungen. Im weiteren Verlauf des Stückes ist eine aufgenommene Stimme zu hören. Ihre Gedanken sind pessimistisch. Menschen könnten sich nicht ändern; es schwingt mit, dass dies vielleicht schlicht hinzunehmen sei.

Obwohl Gesellschaftskritik eine durchgehende Komponente in „Das Grauen“ ausmacht, ist es bis auf einzelne Szenen schwierig, das Gesehene einzuordnen. Was möchte das Stück als Gesamtes aussagen? Was ergeben all diese einzelnen Szenen, die teils schon alleine für sich stehen könnten? Täuscht der manchmal extreme Einsatz von Stroboskoplicht über inhaltliche Herausforderungen hinweg? Der Performance lässt sich verglichen mit dem ersten Teil weniger gut folgen. Manche Szenen sind langatmig: Jeder einzelne Darsteller wird der Reihe nach mit Farbe eingeschmiert, sie erhalten alle mehrere Utensilien hintereinander, bleiben noch eine Weile in dieser Position auf der Bühne stehen. Einzelne Besucher_innen des halbvollen Saales (am zweiten Aufführungstag) unterhalten sich während dieser Szenen leise.

Das Schlussszenario ist gelungener. Die Fressorgie erinnert an Obelix, da Kurtz abwechselnd links und rechts an verschiedenem Essen abbeißt. In „Das Grauen“ handelt es sich nur nicht um Fleisch, sondern um Obst und Gemüse. Eine Szene, die Sozialkritik deluxe ist: Ein Darsteller steht direkt neben Kurtz, hält die Hand bittstellend auf, dieser wirft Essen weg und spuckt auf die anderen Menschen. Die Kritik an der Konsum-und Wegwerfgesellschaft wird zu einem Gelage auf dem Tisch, in welchem jeder jeden fertig macht.

Das Ende ist für die Besucher_innen erst nach dem erneuten Angehen des Lichtes ersichtlich. Der Applaus ist erst zurückhaltender, schließlich lauter und wird von einzelnen Rufen begleitet.

FUCKHEAD (Siegmar Aigner, Didi Bruckmayr, Alex Jöchtl, Michael Strohmann), raum.null (Florian Berger, Chris Bruckmayr, Benjamin Olsen, Dobrivoje Milijanovic) und Stirn Prumzer (Christopher Sturmer, Johannes Maile) waren am 17. Jänner mit ihrer Performance „Das Grauen“ zu Gast im Theater Phönix.

Auf Didi Bruckmayrs Vimeo-Seite können Videos der „Heart of darkness“- Performances angesehen werden- wie zum Beispiel dieses zum zweiten Teil:

Katharina ist Sozialwissenschaftlerin und Redakteurin. Sie beschäftigt sich vor allem mit gesellschaftlichen (z.B. frauenpolitischen) und kulturellen (z.B. Film, Theater, Literatur) Themen. Zum Ausgleich schreibt sie in ihrer Freizeit gerne literarische Texte: https://wortfetzereien.wordpress.com/