Contes et légendes bei den Wiener Festwochen
Foto: Elisabeth Carecchio

More than machines: Contes et légendes

Cyber-Märchen und kybernetische Legende im Schul- und Familienmilieu. Joël Pommerat zelebriert mit seiner französischen Regiearbeit „Contes et légendes“ bei den Wiener Festwochen den Siegeszug von Robotern, die dem Nachwuchs dabei helfen soll, einen Platz in der Welt zu finden.

Contes et légendes bei den Wiener Festwochen
Foto: Elisabeth Carecchio

Science-Fiction-Erzählung oder Coming Of Age-Drama? Pommerat zeigt im Wiener Odeon in mehreren Szenen, dass er sich tatsächlich in beiden Metiers très formidable auskennt. Teenager und heranwachsende Kids, die pöbeln, schimpfen und ein schlechtes Benehmen innerhalb ihrer Adoleszenz an den Tag legen, werden mit von Schauspielern gemimten Menschmaschinen konfrontiert, die eigentlich ziemlich beherzt, kühn und zuweilen auch lustig agieren. Weil die Emotionen direkt hochkochen, werden die Sympathiepunkte von Anfang an eher ungerecht verteilt. Bleibt zwischen frivoler Jugendlichkeit und aufkeimender toxischer Männlichkeit noch Platz, um aufzuholen?

Contes et légendes bei den Wiener Festwochen
Foto: Elisabeth Carecchio

Eine aufs Maul gefällig? Männer müssen endlich wieder Männer sein dürfen, propagiert ein Vater, der sämtliche Jungs unter seine Fittiche nimmt, um der woken Verweiblichung unserer Gesellschaft endlich Paroli zu bieten. Es ist die nächste Generation, die entgegensteuern soll, wenn man selbst das Lenkrad nicht mehr in der Hand hat. Eigentlich ein topaktuelles Themengebiet. Wären nicht die Cyborgs in dieser fiktiven Zukunft gegenwärtig, die diesen gezeigten Alltag der Menschen und Familien auf sonderbare Weise auf den Kopf stellen. Wenn sich die einzelnen Mitglieder mal wieder daneben benehmen, sich einsam fühlen oder in der Schule mit den Aufgaben hadern, verschwimmen die Grenzen in „Contes et légendes“, persönliche wie gesellschaftliche. Von Isolation, Krankheit, tiefer Freundschaft und Verbundenheit bis zu absurder Romanze ist praktisch alles vertreten, was künstliche Intelligenz in ihrer Wechselwirkung in uns auszulösen vermag.

Ein weiterer, wichtiger Berührungspunkt in dieser Geschichte: Das Altern. Das Leben eines Menschen verwelkt früher oder später. Auch die Maschinen sind hier vor dem Verfall nicht gefeit, weil sie von Wirtschaft und Technik zum Auslaufmodell degradiert werden. Als einzigen Kritikpunkt lässt sich anmerken, dass in der 110-minütigen Vorstellung streng genommen Stoff für gleich zwei Aufführungen bereit hält.

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Wiener Festwochen

12. Mai bis 21. Juni 2023

festwochen.at
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