WIENER FESTWOCHEN: 10000 gestes
Wer tanzt, der fühlt. Eine knappe Stunde lang bewegen sich dreiundzwanzig Personen, Männer wie Frauen jeglicher Couleur, zu Mozarts „Requiem in d-Moll“. Die Folge: Eine Art konzipierte Ekstase. In der Gösserhalle im zehnten Wiener Gemeindebezirk präsentiert der französische Choreograf Boris Charmatz diese eigenwillige Tanzperformance im Rahmen der Wiener Festwochen.
Charmatz ist eine Figur, ein Impulsgeber für Zeitgenössisches. Keine Bewegung, kein Ausruck soll innerhalb der Vorstellung von „10000 gestes“ wiederholt werden. Ein waghalsiges, kaum zu erreichendes Ziel. Es wird geschrien, mit sich gewrungen, umher gewirbelt, gesprungen und ja, getanzt, bis die inneren Dämonen jedes Einzelnen erfolgreich dargestellt und exorziert wurden. So etwas wie Genugtuung kann man sich da nur erarbeiten. Im Kollektiv und als Individuum mühen sich die Tänzer gegen die Vergänglichkeit ab, wie es der 45-Jährige bezeichnet, pendeln mit ihrer Konstitution zwischen Euphorie und Apathie, springen sogar überraschend ins Publikum, suchen den Kontakt, die Annäherung, um es miteinzubeziehen.
Es lässt sich für einen Außenstehenden auch nicht genau festmachen, wie viel Raum der Spontanität eingeräumt wurde. Läuft jede Vorstellung nach dem exakt gleichen Muster ab? Gibt es Platz für Individualität im Ausdruck? Nach der Vorstellung gibt es schließlich frenetischen Beifall und die Erkenntnis, dass 23 Choreographen nach einem unerklärlichen Rausch ihre wiedergewonnene innere Freiheit einem Stück näher gekommen sind.