Andreas Wörister / Slihs Photgraphy

TOUCHÉ AMORÉ: „how has it already been two years?“

Ein ungewöhnliches Bandtrio machte am Samstag auf seiner Europatour einen Stop im Wiener Flex. Touché Amoré als Headliner, dazu die Hardcore-Supergroup Angel Du$t und die niederländischen Senkrechtstarter Swain. Drei Bands also, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten – und dennoch passten diese Puzzlestücke an diesem Abend irgendwie zusammen. Allesamt haben sie im letzten Jahr ein neues Album veröffentlicht und bereisen nun in gemeinsamer Mission den Kontinent.

Das Flex am Donaukanal wurde am Freitagabend Schauplatz eines Konzertes dreier Bands, die auf den ersten Blick nicht sonderlich viel gemeinsam haben, außer vielleicht den Überbegriff „Hardcore“. Aber immer der Reihe nach! Kurz vor 20 Uhr eröffneten Swain, eine der spannendsten Neuentdeckungen des letzten Jahres, den Abend. Die Niederländer, die mittlerweile in Berlin leben, haben ihren Sound und ihren Bandnamen eingetauscht und mit „The Long Dark Blue“ ein faszinierendes Album zustande gebracht. Sie vereinen darauf Einflüsse aus Hardcore/Punk, Grunge und Alternative Rock zu einem hochexplosiven Molotowcocktail, der auch live funktioniert. Die drei (live zu viert mit Tourbassist) nehmen sich den Sound der 90er zur Vorlage, ohne dabei wie eine lauwarme Kopie zu klingen, sondern haben tatsächlich etwas Neues zu sagen. Das Ganze wird mit so viel geballter Energie und Körpereinsatz (Sänger Noam Cohen hat den Hüftschwung amtlich drauf) vorgetragen, dass man eigentlich nur begeistert sein kann. Der eine oder andere schiefe Ton oder verstimmte Gitarrensaite gehört da stilistisch fast zum Gesamtkonzept und wird gerne verziehen.

Swain heizt dem Publikum im Flex bereits ordentlich ein

Und jetzt zur Frage: „Wie zur Hölle passt da eigentlich Angel Du$t hinein?“ – Die Antwort: „Gar nicht!“ Angel Du$t sind die fleischgewordene Cartoonversion einer muskelbepackten Old School Hardcore Band, die ihre Liebe für Pop Hooks entdeckt hat…und sie machen live verdammt viel Spaß! Die Supergroup bestehend aus Mitglieder von Trapped Under Ice und Turnstile und beschreibt ihren Stil in einem Pressetext folgendermaßen “Do you like the Lemonheads and the Bad Brains at the same time? Of course you do. This is kind of like that, but with less heroin involved.” Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Wer bei ihrer aktuellen Platte „Rock The Fuck On Forever“ ein Ohr riskiert, der hört eine Band, die sich offensichtlich nicht zu ernst nimmt und stattdessen verdammt viel unschuldigen Spaß daran hat, zweiminütige Pop-Punk Songs im double time Tempo zu schreiben. Was soll daran falsch sein? Na eben. Live sind die Jungs eine Stimmungsgranate.

Passen entgegen aller Erwartungen perfekt – Angel Du$t

Touché Amoré sollten im Anschluss das Kontrastprogramm dazu werden. „Stage Four“, ein Album voll emotionaler Intensität und aufwühlender Post-Hardcore Songs, das den Tod der Mutter von Sänger Jeremy Bolm thematisiert, ist naturgemäß starker Tobak. Das Publikum war von Sekunde eins an vollkommen involviert, hing an den Lippen des schlacksigen Schreihalses und die vorderen Reihen brüllten jede Textzeile mit. Kaum vorzustellen, was das für ein Gefühl sein muss, über seine persönlichsten Gedanken und traumatischten Situationen zu schreiben und das Ganze dann jeden Abend aufs Neue mit einem Saal voller fremder Menschen zu teilen. Auf Jeremy dürfte es eine therapeutische Wirkung haben. Immer wieder lächelte er in die Gesichter vor ihm und bedankte sich für die entgegen gebrachte Empathie. „How has it already been two years?“, singt er mittlerweile in „New Halloween“. Ein Song, der von dem Abend handelt, an dem er erfuhr, dass seine Mutter während er in Florida auf der Bühne stand zuhause in Los Angeles verstorben war. Gelegenheit, um Gänsehaut zu kriegen, bot sich mehr als einmal und die Band spielte so souverän und nahe an der Perfektion, wie man es von einer Hardcore-Band kaum gewohnt ist.  Touché Amoré galoppierte in fließendem Übergang durch eine Setlist von 20 Songs, die alle vier Alben überspannte und praktisch alle Fanlieblinge von „Tilde“ über „Just Exist“ bis „Honest Sleep“ beinhaltete. Das gestrige Konzert fand am 04. Februar, dem Geburtstag seiner Mutter statt, erzählte der Sänger in einer kurzen Unterbrechung. Die große Tragödie, die diesen Songs ihre Kraft verleiht, stand aber an diesem Abend trotzdem nicht im Vordergrund, sondern die großartige Performance der Band und die Interaktion mit dem Publikum. Es war ein Konzertabend, der alles in allem nichts zu wünschen übrig lies. Hoffentlich ist der Anlass beim nächsten Besuch von Touché Amoré einer, der weniger traurig ist.

Fotos: Andreas Wörister (Slih’s Photography)

Schreibt Albumrezensionen, Konzertberichte und führt gerne Interviews - transkribieren tut er diese aber weniger gern. Immer wieder auch für Blödsinnigkeiten abseits seines Kerngebiets "Musik" zu haben. Hosted einmal monatlich die Sendung "Subtext on Air" auf Radio FRO, ist bei mehreren Kulturinitiativen und in einer Band aktiv.