The men who sold the world: 25 Jahre MTV UNPLUGGED IN NEW YORK

Wenn der letzte Vers im Hals steckenbleibt: Nirvanas legendärer Auftritt vor den Kameras des Senders MTV im Jahr 1993 ist & bleibt ein trotziges Ergebnis in seiner unbeirrbaren Konsequenz – wie ein Flug vor einem fiebrigen Abgrund. Eine Band, so erfolgreich wie nie, währenddessen das Leben des Frontmanns in Scherben. Eine Stimme, voller Brüche, aber auch Leidenschaft, zieht zum Trotz aller ihre heiseren Bahnen. Nach 25 Jahren weiterhin magisch intim.

© Universal Music

Das Maß aller Dinge. Ein Begleiter fürs Leben. Einfühlsam komponiert, dabei keineswegs makellos dargeboten. Es gibt nicht viele Alben, die wie ein gutes Buch sind, das man immer mal wieder rauskramen und aufschlagen möchte. „MTV Unplugged In New York“ gehört, für den Verfasser dieser Zeilen mehr noch als „Nevermind“, eindeutig in diese Kategorie. Sicherlich ist das hier immer noch irgendwie Grunge, aber Nirvana haben es geschafft, aus dem Korsett, welches sie sich mit den vorherigen Veröffentlichungen umgebunden haben, auszubrechen. Dieses Unplugged, sowohl die TV-Aufzeichnung als auch das ein Jahr später veröffentlichte Album, hat zu einer Vollendung geführt und zu einer Tiefe, die sich schon damals vor den ganz Großen der Musikgeschichte nicht zu verstecken brauchte. Nirvana waren ein Beispiel für eine Formation, die sich ihre Fangemeinde hart erarbeitet hat, ohne sich an üblich geltende Spielregeln zu halten.

Es war so erfrischend neu seinerzeit. Nirvana waren nicht die Ersten bei diesem Format, haben aber den wohl bleibendsten Eindruck in der Geschichte des Musiksenders hinterlassen. Das Konzept ging auf und das perfekt Unperfekte bekam eine unglaubliche Plattform und Resonanz. Wer „MTV Unplugged In New York“ in mehr als zwei Jahrzehnten noch nicht entdeckt hat, erhält mit der aktuell erschienenen und mit fünf Rehearsal-Aufnahmen ausgestatteten Vinyl-Neuauflage eine perfekte Gelegenheit, dies zu korrigieren. Eine Platte, welche die Unsicherheiten einer Band freilegt, als auch ihre unverwüstliche Courage und Überzeugungen vor einem Millionenpublikum, zahlreiche Hits (außer „Come As You Are“) nicht zu spielen und sich stattdessen für Coversongs von David Bowie oder den Meat Puppets zu entscheiden. Zaghaft und verschüchtert entsteht ein Spannungsbogen, der sich ins Unterbewusstsein frisst, ohne sich über den Haufen gerannt zu fühlen. So melancholisch und wunderschön klingt wiedererlangte Kontrolle – mal weich wie Plüsch, dann schmerzhaft wie ein Nagelbrett. Einmal Zuckerwatte, einmal Schleifpapier.

Kurt Cobain singt teilweise zu leise und ringt mit den Worten, als ob es einen Kampf auszufechten gilt, den wir zum Teil sehen, aber mit jeder Faser spüren können. Krist Novoselic scheint unberührt als Fells in der Brandung. Dave Grohl mit Pferdezopf im Turtleneck an den Drums. Die Kirkwood-Brüder von den Meat Puppets mit auf der Bühne und Musiker Pat Smear als Zweitgitarrist. Bilder, die sich visuell über die Jahre verfestigt haben. Nirvana spielen sich auf der Klaviatur der Gefühle die Finger Wund und alle können es sehen. Für Auserwählte erst und dann für jeden.

Wer wirklich etwas zu sagen hat, dem genügt ein Flüstern, der muss nicht laut werden. Dieses Set zieht abermals an einem vorbei wie ein warmer, knisternder Wind. Dieses Album, dieser Auftritt, ist Leiden und Erlösung, Sterben und Auferstehung. Schönheitsfehler nahm und nimmt man in Kauf, weil diese Authentizität auch heute nach noch füllbar, greifbar ist. Mit „Nevermind“ schufen sie das passende Pflaster, welches auch für sie überraschenderweise auf viele Wunden passte, doch spätestens mit dieser Platte waren Nirvana anders als all die anderen, auch wenn man immer wieder gute Bekannte auszumachen glaubte. Kurt Cobain schien wie ein Messiahs, der den Schmerz und all die blauen Flecken auf sich nahm, ums uns vor ihnen zu schützen. Eine Bürde, die viel zu groß für ihn war wie wir heute wissen. Wehmütiger und herzzerreißender als mit diesem Material kann man sich als Musiker kaum mehr von der Welt verabschieden. Dieses Album verweigert sich den Zeiten der Zeit und bleibt das, was es schon immer war: Ein Phänomen.

Tracklist:
01. About A Girl
02. Come As You Are
03. Jesus Doesn’t Want Me For A Sunbeam
04. The Man Who Sold The World
05. Pennyroyal Tea
06. Dumb
07. Polly
08. On A Plain
09. Something In The Way
10. Plateau
11. Oh, Me
12. Lake Of Fire
13. All Apologies
14. Where Did You Sleep Last Night

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Fotos: Universal Music

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