„Aber die Nachwirkungen, die kommen“
Katrin Mackowski: Kriminalliteratur an sich interessiert mich nicht, mich interessiert das Genreübergreifende – Gefühle wie Thrill, Angst, die Grenze zwischen Wachen und Schlafen, zwischen verrückt und normal. Und ein Theaterstück schreiben interessiert mich deshalb, weil es so eine ganz komprimierte Form von Konfliktangebot und Konfliktlösung ist, weil es schnell vorbei geht und man gut Spitzen und Highlights setzen kann.
subtext.at: Sie sind in Niedersachsen geboren und wohnen momentan in Wien – wie hat es Sie nach Linz verschlagen?
Katrin Mackowski: Ich habe mein Stück „Kopf oder Zahl – oder wie ich meine Familie umbringe“ – das ist ein Familiendrama, eine unterhaltsame Groteske – zum Theater Phönix geschickt. Denen hat das gut gefallen und sie kamen dann gleich mit einem Auftragswerk und haben mir den Titel „Linz auf der Couch“ genannt. Sie wussten, dass ich mich mit Psychoanalyse, mit Konflikten und auch mit Drama befasse. Und da haben sie sich gedacht: gut, das kombiniert sich, wir geben ihr den Auftrag. Deswegen bin ich hierher gekommen.
subtext.at: Die Bühne ihres Stücks ist eine Couch, Alica, die Protagonistin, unterzieht sich im Zuge des Spiels einer Psychoanalyse. Die Ergebnisse dieser Sitzungen für die Besucher?
Katrin Mackowski: Da werde ich mal alle ganz ganz fest frustrieren, weil ich mag weder den moralischen Zeigefinger heben noch auf Ergebnisse zielen, für mich ist der Prozess wichtig. Anfang und Ende des Stücks werden von einer Psychoanalysesitzung eingerahmt, dazwischen wird aufschnitthaft ein Prozess gezeigt und zwar der Prozess der Übertragung und der Gegenübertragung und der Spiegelung von Phantasien. Es geht um Lebendigkeit und um Gefühle, die an die Grenzen gehen. In der Psychoanalyse kann man wie im Traum auch alles sagen – man kann Linz in die Luft jagen, man kann so triebhaft und animalisch sein, wie man möchte.
subtext.at: Alica kommt aus der Hammerwegsiedlung, einer verwahrlosten Arbeitersiedlung am westlichen Rand von Linz. Vor kurzem war die Siedlung Heimat für ein Kunstprojekt, welches vom offiziellen Linz09 jedoch nicht anerkannt wurde…
Katrin Mackowski: Ich weiß gar nicht, was daran Abrisscharakter haben sollte, ich musste mir wirklich Mühe geben, dort irgendwelche elendigen Spuren zu entdecken. Die Leute geben sich Mühe, ihre Umgebung zu gestalten und die Häuser, die abgerissen werden – na klar ist das ätzend. Und ich weiß auch um das soziale Drama rundherum. Aber den Eindruck, den ich an diesem Tag dort hatte, mit meinen Schauspielern, war komplett das Gegenteil: wir hatten den Eindruck von einer kleinen, bescheidenen, aber freundlichen Idylle.
subtext.at: Wie verarbeiten Sie diesen Eindruck im Stück?
Katrin Mackowski: Als Imagevideo der Hauptfigur Alicia, als kleine ironische Homestory, vom Styling her beinahe ein bisschen wie „Liebesgschichten und Heiratssachen“. Es ist die Herkunft, es sind die Wurzeln, die einen prägen, die einen voran treiben oder rauskicken. Und für die Alicia, die Hauptfigur, ist es so, dass sie ein Stück von Linz repräsentiert, nämlich ein Stück von authentisch sein und zu seiner Herkunft und zu den Wurzeln stehen, aber auch ein bisschen Ängstlichkeit – sie hat von mir in der ersten Szene gleich einmal eine Angststörung verordnet bekommen und leidet unter Erfolglosigkeit (lacht). Das ist auch ein bisschen eine Parodie auf das Schauspiel, auf Medien und auf die Frage: „Wie kann ich etwas aus mir machen, trotz dieser Welt, aus der ich komme und trotz der Umgebung, die schon alles medial aufbereitet hat?“.
subtext.at: Alica – ein Synonym für die Stadt?
Katrin Mackowski: Alica repräsentiert viele Ebenen von Linz – zum einen etwas Authentisches, aber auch etwas Naives und Freundliches, etwas, das im Stück heißt „Ich bin nicht das pornofizierte Linz!“. Also ein Mädchen, dass sich auch für etwas gebrauchen und verbrauchen lässt, weil sie naiv ist.
subtext.at: Die Figur Fred, der Produzent, will in Ihrem Stück einen Film über das Selbstbewusstsein der Stadt drehen. Hätte das reale Linz einen derartigen Film nötig?
Katrin Mackowski: Das glaube ich nicht. Es ist hier jetzt Linz mein Thema, aber dieses Stück könnte auch in jeder beliebigen Provinzstadt spielen. Jede Stadt, jeder Mensch kann es nötig haben, sich seiner eigenen Biografie, seinem eigenen Selbstverständnis und seinen eigenen Schwächen zu stellen. In der Psychoanalyse geht es einfach darum, an Lebendigkeit und Bewusstsein zu gewinnen.
subtext.at: Wenn das Theaterstück in jeder anderen Stadt spielen könnte – weshalb wollte dann das Phönix ein Stück mit dem Titel „Linz auf der Couch“?
Katrin Mackowski: Das eine ist: das Theater wusste, dass ich Dokumentarfilme mache und dass ich mich für Psychoanalyse interessiere und auf beides einen kritischen und kreativen Blick werfen kann. Und das andere ist einfach die Geschichte, die durchgemacht wurde, die Geschichte von Projekten und Institutionen, die möglicherweise unterdrückt wurden beziehungsweise im Zuge von Linz09 nicht den richtigen Rahmen gefunden haben. Aber ich glaube nicht, dass ich irgendwas wieder gut machen oder retten soll – aber zumindest etwas aufgreifen, was mit dem ganzen Wahnsinn von Linz09 gar nichts zu tun hat sondern aus einer anderen Perspektive kommt.
subtext.at: Linz09 ist vorbei, die Verantwortlichen loben das Projekt in den höchsten Tönen – wie beurteilen Sie als Außenstehende das Kulturhauptstadt Jahr?
Katrin Mackowski: Wenn ein Mensch oder eine Stadt die Möglichkeit bekommt, richtig im Rampenlicht zu stehen und sich mit sich selbst zu beschäftigen, dann kann man da schon so sagen, dass Linz die ganze Zeit über auf der Couch gelegen hat. Und der Effekt davon, wenn man sich mit seiner eigenen Geschichte beschäftigt, mit der Kultur, die möglich wird, mit Bezirken, mit Stoffen, der ist nicht immer gleich im Moment zu ermessen, das merkt man erst später – aber die Nachwirkungen, die kommen.
subtext.at: Sie waren früher unter anderem für die Pressarbeit bei der Jeunesse verantwortlich. Zwischen dieser und Linz09 kam es zu einem Konflikt aufgrund der Ähnlichkeit der Logos – hatte dieser Einfluss auf „Linz auf der Couch“?
Katrin Mackowski: Nein, nein, das war mein Brotjob damals, als meine Kinder noch kleiner waren – das ist jetzt vorbei.
subtext.at: Welche neuen Aspekte hat Linz für Sie im Zuge der Recherchen gewonnen?
Katrin Mackowski: Ich bin durch die Stadt gegangen und habe gedacht „ja, ist eh nett und schön“, alle sind freundlich, nicht so wie in Wien, so ranzig und raunzig. Und dann war ich absolut frustiert und ratlos, was ich mit dieser netten, wirklich freundlichen Stadt und ihren Bewohnern machen soll – auch mit diesen netten und ehrlichen Ansagen: „was sollen wir mit der Kultur, scheiß drauf, ich geh lieber zum Fußball!“.
subtext.at: Wie haben Sie sich auf diese Stadt eingelassen?
Katrin Mackowski: Ich war im Traxlmayr, ich war auf der Straße, ich war ganz normal beim Fleischhauer und ich habe viele Gespräche geführt. Aber ich bin zum Beispiel auch mit Heidemarie Uhl, der Historikerin, nach Mauthausen gefahren. Wir haben sogar einen Bauforscher mitgenommen, der dort extra angestellt war um zu recherchieren, wie die Bordelle für die KZ Häftlinge wirklich ausgesehen haben. Die sind im Zuge der Zeit geweißt worden, er hat aber die Schichten abgetragen und es sind tatsächlich farbige Räume zum Vorschein gekommen – das war für mich eine Wahnsinnssache! Ich habe mir diesen Ort sehr genau angesehen und mich dann aber entschlossen, diesen Teil doch aus meinem Stück draußen zu lassen – habe aber sehr wohl die Frage gestellt, was bedeutet es, wenn man die Spuren Hitlers aus dieser Stadt beseitigt? Was bedeutet erinnern, was bedeutet vergessen?
Diese Frage habe ich den Linzern gestellt, diese Frage habe ich dem Ulrich Fuchs, dem zweiten Intendanten von Linz09 gestellt und ich habe sie auch dem Fred, dem Filmproduzenten aus meinem Stück, ausagieren lassen – der sprengt Linz einmal in die Luft.
subtext.at: Kurz zum Schluss – mit welchen Eigenschaftswörtern würden sie Linz charakterisieren?
Katrin Mackowski: Linz ist ehrlich, authentisch, genervt und ein bisschen rückständig. Die Jugendlichen hier haben so eine ganz sympathisch rückständige Nostalgie an sich, das kommt auch im Stück vor – der Trend geht hin zu Emos, aber auch kleine Punks sind noch dabei. Ich selbst komme aus einer Gegend, wo das sehr modern war in den 80er Jahren – also ich fühle mich wirklich ein Stück beheimatet.
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Foto: Oliver Lukesch