Wiener Technoball: Tradition trifft Moderne
Zum dritten Mal fand der Wiener Technoball in der Pratersauna statt und erfreute sich auch dieses Jahr ungebrochener Beliebtheit. Mit seiner unvergleichlichen Identität, irgendwo zwischen schriller Life-Ball,- und minimalistischer Techno-Ästhetik tänzelnd, entwickelt sich die Veranstaltung zu einem Fixtermin im jährlichen Ball-Kalender.
Dass Wien die Dekadenz für sich gepachtet hat, bemerkte bereits Falco in einem seiner großspurig, peinlichen Auftritte im deutschen Talkshow-Programm. 10 Jahre danach hat die Stadt der Bälle nichts an dem verloren, woraus der Falke seine charakteristische Abgehobenheit und Gleichgültigkeit gewann, mit der er die 80er-Jahre Spaßgesellschaft abfeierte. „Die Titanic sinkt in Panik – aber fesch…“, dieselbe Ästhetik zwischen Erfolg und Scheitern, zwischen Tugend und Laster, oder wie Henryk M. Broder es nennt: „die Lust am Einknicken“ – sie ist es, die auch dem Wiener Technoball seine Besonderheit verleiht und ihn von konventionellen, gutbürgerlichen Ballveranstaltungen unterscheidet. Wo Kravatte und Sakko eben nicht Pflicht ist, aber dennoch jeder versucht, bei allem Verfall doch noch irgendwie schick zu wirken, dort entfaltet Wien auch heute noch seinen magischen Zauber, der nicht nur den großen Falco auf feinstem Pulverschnee talwärts schickte.
Die Wiener Pratersauna, erst kürzlich vom renommierten De:bug Magazin erneut zum zweitbesten Technoclub hinter dem Berliner Berghain gewählt, präsentierte sich mit vier geöffneten Tanzfloors, vier Getränkebars und einer Neni-Snackbar in voller Pracht. Die an anderen Tagen oft überschaubare Zahl an BesucherInnen bewegte sich diesmal knapp an der Belastbarkeitsgrenze. Dennoch trennte sich ab etwa halb drei Uhr morgens die sprichwörtliche Spreu vom Weizen – Leute gingen, andere Leute kamen – so zeigte sich der Club in den frühen Morgenstunden weitaus angenehmer und gelöster.
Musikalisch hatte der Wiener Technoball mit über 20 DJ‘s und Live Acts ein wahres Feuerwerk an Bassmusik abzuschießen. Angenehm hierbei: Kaum nervöses Electro-Gezirpe, sondern durchwegs solider Techno und feinste House-Music. Während der Bunkerfloor die Boxen zur Maximalleistung trieb und durch fantastische Visuals zu überzeugen wusste, sorgte man im Glashaus für amüsantes Retrofeeling zu Electro-Swing und Soulelementen, wie es sich für einen richtigen Ball eben gehört. Der Artspace der Pratersauna wusste mit Valentin Ruhry und Stefan Künzler zwei Künstler von internationalem Format aufzubieten, die den Technoball mit ihren Arbeiten im Bereich der digitalen Kunst geschickt aufwerteten. Nach 6 Uhr lud der Technoball noch in den Sass-Club zur offiziellen Afterhour
Für diese Vielfalt an gebotener Unterhaltung bewegte sich der Ball preislich im absolut verträglichen Bereich. So bekam man ermäßigte Karten bereits um 14 Euro, bei frühem Erscheinen eine Damen,- sowie Sektspende und auch später ließ sich die so schön dekadente Schlumberger-Sektflasche um gute 20 Euro käuflich erwerben. Negativ anzumerken ist die Tatsache, dass ermäßigte Karten im Vorverkauf nur über Mitglieder des Hauptsponsors Raiffeisenbank erhältlich waren.
Tradition trifft Moderne, wo sonst sollte dieses Schlagwort schlagender werden als in der sich rasant entwickelnden Wiener Techno-Szene. Mit einem eigenen Branchen-internen Ball schafft man es, der Wiener Szene eine eigene Identität zu geben – klassische Traditionen einer Stadt mit – zugegeben – vor allem Berlin-importierten Elementen zu vermischen, das scheint die Mission des ersten Balls dieser Art zu sein. Die angesprochene Dekadenz scheint dieser Stadt eben im Blut zu liegen – möglicherweise äußert sich in Wien das Produkt aus nicht verarbeitetem Habsburger-Erbe und plötzlicher Wohlstands-Überforderung mit Vorliebe in dessen musikalischen Subkulturen. Der Wiener Technoball jedenfalls repräsentiert in überzeugender Art und Weise die Seele einer Stadt, die dies dennoch nie so richtig wahr haben wollte.