DILLON: „Ich singe nur“
Sie ist ein Enigma. Uneindeutig auf der Bühne, ambique und doppelsinnig auf Platte. Dominique Dillon de Byington landete mit ihrem ersten Album 2011 einen Überraschungscoup. Die scheue und introvertierte Sängerin mit brasilianischen Wurzeln sah sich plötzlich mit einer großen Aufmerksamkeit konfrontiert. Musikkritiker, Fans und Kulturressorts von Magazinen und Zeitungen zeigten sich begeistert von dem Mix aus kindlich wirkendem Gesang und dunklen, minimalistisch eingesetzten Beats.
Weiterhin gehört es nicht zu ihrem Charakter, das Rampenlicht zu mögen oder es zu genießen. Sie weiß manchmal nicht, was sie möchte, aber was sie nicht will, weiß sie sehr genau, wie sie subtext.at am Nachmittag in Wien verrät. Mit ihrem musikalischen Partner und Produzenten Tamer Fahri Özgenenc hat sie vor wenigen Wochen ihr zweites Album „The Unknown“ veröffentlicht – eine noch reduziertere, weniger verspielte Platte als ihr Debüt „This Silence Kills“, aber nicht weniger anziehend und reizvoll.
Ein Hauch von Exklusivität herrscht vor, denn auch das österreichische Feuilleton hat die Künstlerin für sich entdeckt. Kurier und Die Presse sind vor Ort, um ebenfalls ein Gespräch mit Dillon zu führen. subtext.at ist das dritte Medium, welches exklusiv Einblicke in das Leben einer spannenden Künstlerin bekommt.
Ein Interview mit Dillon über Rollenbilder, das Image eines Künstlers und Individualität.
subtext.at: Dillon, liebst du das Versteckspiel mit deinem Publikum?
Dillon: Nein, denn das hört sich kalkuliert an. Fast schon kitschig. (überlegt) Meinst du jetzt auf der Bühne?
subtext.at: Ja, genau.
Dillon: Das Licht hat für mich den Vorteil, dass ich mich nicht noch beobachteter fühle, als ich es eh schon bin. Das hilft mir. Es ist für mich eine wahnsinnig unlogische Situation, dass ich auf die Bühne gehe, obwohl ich so wahnsinnig schüchtern bin. Außerdem finde ich, dass man sich dann auf das Wesentliche, die Musik, konzentrieren kann – und nicht auf mein Gesicht oder meine Haarfarbe.
subtext.at: Wir alle wählen ein Image, wenn wir morgens aufstehen, zur Arbeit gehen oder am Abend ausgehen. Schlüpfst du in eine Rolle, wenn du auf die Bühne gehst? Lässt du den Alltag in dem Moment hinter dir?
Dillon: Leider nicht. Was heißt schon leider… (überlegt) Ich weiß, dass ich es nicht tatsächlich tue, was das Spielen dann wahnsinnig anstrengend machen kann. Wenn es mir nicht OK geht, kann ich das nicht ablegen, wenn ich auf die Bühne gehe. Das würde man auf jeden Fall spüren. Das ist schade, aber ich möchte das auch gar nicht ändern. Es ist zwar anstrengender, als das trennen zu können, aber da habe ich auch gar keinen Einfluss drüber. Ich will auch gar nicht lernen, wie man das trennt. Mit Sicherheit hat aber jeder und alles ein Image.
subtext.at: Zweimal habe ich dich live gesehen und für mich hat es sich so angefühlt, als codierst du deine Botschaften und das Publikum muss sie dann erneut decodieren.
Dillon: Es geht mir nicht darum, es unverständlich zu machen, ganz im Gegenteil. Ich will dir nichts Striktes vorgeben müssen. (überlegt kurz) Ich singe nur. Ich schreibe nur Gedichte und singe sie vor. Ich möchte dir nichts vorgeben, was es auszulösen hat oder in welche Richtung es dich bewegen soll. Es soll so offen wie möglich bleiben, damit jeder sich da herausholen kann, was er oder sie oder es braucht. Für mich halte ich es auch offen, damit ich immer wieder einen anderen Zugang dazu haben kann.
subtext.at: Lady Gaga hat einmal gesagt, dass sie fasziniert von dem Gedanken ist, dass das Visuelle die Musik in den Schatten stellen kann. Bei dir scheint es mir genau anders herum zu sein.
Dillon: Ich glaube, dass es eine Frage der Wahrnehmung ist. Man kann es auch anders sehen, wenn man möchte. Man kann auch sehr beleidigt sein, dass man mein Gesicht nicht sieht. Weißt du, was ich meine? Ich mag offensichtlich sehr gerne, was ich mache, sonst würde ich es mit dem Licht nicht so machen. Wenn es einfach nicht dein Geschmack ist, dann wirst auch Schwierigkeiten damit haben. Ich stimme trotzdem zu, was Lady Gaga gesagt hat. Ich liebe sie auch (lächelt).
subtext.at: Darf man sich als Künstler eine Überhöhung erlauben, dass man sozusagen über den Dingen stehen darf?
Dillon: Niemals. Niemals. Nie-mals. (überlegt) Als wir angekommen sind, wollte ich etwas essen, weil ich total hungrig war. Ich musste aber hoch zu FM4, um ein Interview zu geben. Ich war nicht besonders gut drauf, habe mich entschuldigt und dann kam die Aussage „Ach ja, als Künstler ist das so schwer“ und ich so „Nee, es hat überhaupt nichts mit Künstler zu tun, ich habe Hunger und möchte nur etwas essen“. Niemand hat das Recht, sich über irgendjemanden zu stellen. Niemand. Egal, wo du herkommst. Egal, was du machst und wo du hinwillst.
subtext.at: Wahrscheinlich wurde es als deine Attitüde empfunden.
Dillon: Gerade weil ich sage, dass es mir nicht gut geht, stelle ich mich überhaupt nicht über irgendjemanden. Ich bin offen. Viele gucken mich an und meinen „Du bist so zerbrechlich, so fragil“ und ja, bin ich und das kann ich auch nicht ausschließen – nichtsdestotrotz benötigt es auch Stärke, solche Sachen sagen zu können. Ich stelle mich niemals über irgendjemanden – außer vielleicht über meinen kleinen Bruder ab und zu, aber er ist noch sehr klein (lächelt).
subtext.at: Kommt es oft vor, dass dich Menschen allzu schnell in bestimmte Kategorien einteilen?
Dillon: Mhm, ich weiß nicht. Nicht in meinem direkten Leben, nicht in meinem Alltag. Ich habe sehr verständnisvolle Freunde und auch ein sehr kleines Umfeld tatsächlich, was ich schon seit Jahren habe. Da gibt es keine Art von Diskriminierung oder Eingrenzung. Was mit meiner Kunst, meiner Musik passiert, weiß ich nicht. Da denke ich, ehrlich gesagt, nicht allzu viel darüber nach. (überlegt) Müsstest du mir sagen, weiß ich nicht.
subtext.at: Ich glaube schon, dass viele in dir das kleine, zerbrechliche Mädchen auf der Bühne sehen, die im Halbschatten ihre traurigen Lieder singt.
Dillon: Na ja, aber wenn man sich nicht kennt? Das ist ja dann dieses Image. Es ist einfach sehr menschlich, vielleicht keine gute menschliche Eigenschaft, sofort zu werten. Das ist einfach so. Sobald du weißt, dass jemand anderer diese Meinung hat, fühlst du dich einfach bestärkt in deiner Meinung. Das beruhigt einen, denn der Mensch mag Sachen, die er nicht kennt, einfach nicht. Das denke ich oft. Der Mensch mag Routine und Sicherheit. Alles, was unbekannt ist, muss man erst mal in Frage stellen. Es ist einfacher, wenn man eine Schublade mit der Aufschrift „zerbrechlich“ hat und man mein Gesicht da reinlegen kann. Es passiert auch wahnsinnig oft, total unbewusst, auf der Straße – man guckt jemanden an und denkt sich direkt etwas dabei. Und dann so: „Gott sei Dank hat das niemand gehört.“ Weißt du, was ich meine? Ich versuche auch immer, wenn ich etwas Positives denke, es der Person sofort zu sagen – auch, wenn es eine fremde Person auf der Straße ist. Das habe ich von meiner Mutter. Meine Mutter ist die erste, die sagt: „You look beautiful, you look so happy.“ Oder I don’t know, whatever it is that she’s thinking. Und die anderen Sachen behält man dann für sich.
subtext.at: Vorhin, als ich zur Tür hereingekommen bin und mich an den Tisch gesetzt habe, hast du mir ein Kompliment gemacht und meine Jacke gelobt.
Dillon: Ja, weil es meine Meinung ist. Ich würde es dir aber nicht sagen, wenn ich sie hässlich finden würde. (spricht im gelangweilten Ton) Ist das Leder, weil das ist sehr hässlich! Das würde ich nicht machen. Wie man mit anderen spricht, sollte man auch mit sich selbst sprechen. Manchmal muss ich mich auch selbst angucken und sagen: Ich mag deine Jacke.
subtext.at: Unterstützt unsere Gesellschaft die Idee der Individualität?
Dillon: Nee, überhaupt nicht. Denke ich nicht, nein. Ab einem gewissen Punkt vielleicht, aber bis dahin nicht. Wenn du es dahin geschafft hast, wo Lady Gaga ist, dann vielleicht. Wenn sie erzählt, wie lange sie das schon macht und wie hart sie sich da durchkämpfen musste… Ich glaube nicht, dass sie sich großartig verändert hat in der Zeit. Ich glaube nicht, dass sie irgendwas weniger extrem gemacht hat, als sie weniger bekannt war oder weniger Geld zur Verfügung hatte. Trotzdem war die Wahrnehmung von außen eine andere. Ich glaube, dass es sich wahnsinnig oft widerspricht, denn einerseits will man es fördern, die Selbstständigkeit und den Mut, andererseits wird man permanent kritisiert, wenn man auffällt und anders ist. (überlegt) Es ist schwer, weil ich nicht denke, dass man es so pauschalisieren kann. Mein Umfeld aus meiner Familie und meinen Freunden war aber immer sehr verständnisvoll und sehr unterstützend.
subtext.at: War das Finden einer eigenen Bildsprache ein schwieriger Prozess für dich?
Dillon: Mhm, das war alles eine Mischung aus Intuition und Fehlern machen. Ich weiß sehr oft nicht, was ich möchte, aber ich kann dir immer sagen, was ich nicht möchte. Wenn man oft genug, nein, nein, nein sagt, kommt man irgendwann zu einem ja. Manchmal. Wenn man es alleine macht und mit sich selbst. Das ist ja nicht von heute auf morgen passiert. Es hat sich entwickelt über Jahre, genau so wie meine Musik auch, ich mich selbst und meine Stimme. Es war eine kontinuierliche Entwicklung.
subtext.at: Künstler stellen Dinge nach außen dar, die von der Allgemeinheit gerne verdrängt werden. Sollte man die Themen, die man in der Musik behandelt auch selbst erlebt haben?
Dillon: Das ist interessant, weil ich vorgestern noch mit Tamer darüber gesprochen. Für mich ja, aber auch nur, weil ich autobiographisch arbeite. (überlegt) Für andere Künstler nicht. Beyoncé zum Beispiel. Sie singt über den Mann, der sie verlassen hat, zum fünfzehnten Mal. Da frage ich mich: „Wie kann das sein, denn du bist ja mit Jay-Z verheiratet?“ Und es ist vollkommen egal, es spielt keine Rolle. Sie singt es unglaublich, sie performt es unglaublich und sie hat eine komplett andere Herangehensweise. Es kommt eben darauf an, was du machst. Für mich kommt es nicht in Frage, jemals etwas zu singen, wo ich keinen Bezug dazu habe. Es sei denn, um zu provozieren. Wenn ich The Weeknd singe zum Beispiel. Grundsätzlich kann ich es für mich nicht trennen, aber ich kann es bei anderen Leuten wunderbar trennen.
subtext.at: Was macht für dich generell einen guten Künstler aus?
Dillon: Musikalisch oder als Künstler an sich?
subtext.at: Wie du magst.
Dillon: Mhm, Konsequenz und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Nicht in der Hinsicht, dass man fühlen muss, was man da singt. Einfach zu wissen, was es ist, was man da macht. Ich glaube, es sind die zwei meisten Sachen, die ich bewundere. Mut zur Ehrlichkeit, ja.
subtext.at: Ist die Popkultur dein Freund oder dein Feind?
Dillon: Mhm, ehrlich gesagt habe ich nicht besonders viel erlebt, was das anbelangt oder was die Popwelt angeht. Ich spiele eigentlich nur Konzerte und gebe Interviews. Es sind die einzigen Dinge, die ich in der Popwelt mache. Abgesehen davon habe ich gar nichts damit zu tun. Auch mein Umfeld nicht. Ich gehe nicht auf viele Veranstaltungen oder Partys. Wenn, dann gehe ich auf Konzerte, was jetzt mit der Popwelt auch nicht viel zu tun hat. Sonst bin sehr introvertiert und ich bewege mich absolut woanders. (überlegt) Feind oder Freund? Ich kann es dir gar nicht sagen. Ein Bekannter vielleicht, also gleichgültig. Die Menschen, die mir zuhören, sind für mich ganz besonders wichtig, die zu den Konzerten kommen, sich das Album kaufen oder es im Internet streamen. Die wirklich auf das Wort hören – das ist unglaublich bewegend, das sind meine Freunde.
subtext.at: Wenn du ein neues Album produzierst, will du in diesem Moment eine immer währende Relevanz erreichen?
Dillon: Da habe ich gar keine Kapazität für, um ehrlich zu sein, so weit denken zu können. Auf diese Weise habe ich aber noch nie gedacht. Das ist intuitiv. Ich kann nichts schreiben oder produzieren mit der Absicht, dass es so lange überlebt. Es hätte ja sein können, dass niemand es hört. Ich bin ja von nichts ausgegangen. Mit „The Unknown“ habe ich fast genau die gleiche Herangehensweise. Es hat sich so angefühlt, als hätte ich davor noch nie ein Album produziert, ein Lied geschrieben oder gesungen. Ich weiß nicht, wie es beim nächsten Album wird, ob ich mich dann wieder so klein fühlen werde. Der einzige Weg, wie etwas wahrgenommen wird – wenn es für dich richtig ist. Mit dieser Motivation arbeite ich, denn es muss sich für mich richtig anfühlen. Erst dann könnte es eventuell für jemand anderen richtig oder wichtig sein. Wenn nicht, dann nicht.
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Foto: © Siggi Eggertsson