REA GARVEY: „Zu 90% bin ich mir immer selbst treu geblieben“

Man kommt nicht drumherum, ihn als Tausendsassa zu bezeichnen. Ob Rea Garvey dieses Wort aus dem deutschen Sprachgebrauch kennt? Unwahrscheinlich. Nichtsdestotrotz ist der irische Musiker, ehemalige Reamonn-Frontmann und „The Voice Of Germany“-Juror umtriebig wie eh und je.

Musik schreiben, produzieren, aufnehmen, auf Tour gehen und in der Zwischenzeit noch für die Sat.1/Pro7-Gruppe aktiv in Erscheinung treten. Bleibt da mal Zeit für eine Pause?

Garvey spielt das herunter. Für ihn ist das alles nicht so schlimm und nicht so massiv, wie es für einen Auferstehenden eventuell aussehen mag. Über die Zeit im Studio meint er: „Wenn du im Studio bist, ist alles ein bisschen surreal und so weit weg. Irgendwann ist dann alles auf einer CD und du willst nur raus rennen und allen erzählen, dass es da ist.“

Ein Interview über Produktivität, den Glauben an sich selbst und Metallica-Fans.

subtext.at: Rea, der Begriff „Carpe Diem“ sagt dir bestimmt etwas, oder? Lebe und verbringe jeden Tag so, als wäre es dein letzter.
Rea Garvey: Ja, kenne ich. So sieht mein Wunsch aus, so etwas wünsche ich mir.

subtext.at: Du scheinst auf mich ein sehr produktiver Mensch zu sein. Songs schreiben, ein Album produzieren, auf Tour gehen, Jury-Mitglied in „The Voice Of Germany“ – willst du keine Zeit verschwenden?
Rea Garvey: Das ist eine gute Frage, aber ich mache mir darüber viel weniger Gedanken, als es vielleicht den Anschein hat (lacht). Ich analysiere nicht. Ich bin der Typ, der etwas machen will und fertig. Natürlich denkst du viel nach, wenn du ein Album zu schreiben beginnst. Irgendwann kommt aber der Punkt, wo es reicht, denn sonst tauchst du in dieses „Was wäre, wenn“-Szenario ab und dann stellst du alles in Frage. Das willst du nicht haben. Das zieht dich nur nach unten. (überlegt kurz) Es gibt diese Doku „Deep Blue“ über Taucher, die ich geguckt habe. Ich habe mir gedacht: „Fuck, wenn sie sich umdrehen und nach oben schauen, dann wissen sie, es aus ist! Bei einer Albumproduktion ist es manchmal auch so (lacht) Du musst wissen, wann du Stopp sagen musst, sonst schreibst du zehn Alben und davon ist eines auch nicht gut genug.

subtext.at: Bist du ein perfektionistisch veranlagter Mensch?
Rea Garvey: Musik ist nicht perfekt und ich als Musiker bin es schon gar nicht. (überlegt) Ein Album spiegelt auch immer einen Lebenszyklus dar. Du schreibst, nimmt es auf, bringst es raus, gehst auf Tour für zwei Jahre und dann zuckt es irgendwann wieder in den Fingern, weil du wieder anfangen willst zu schreiben. Die ersten Gedanken sind dann „Wo, wann und wie“ und nicht, was ich mit der Platte sagen möchte. Das kommt bei mir viel später.

subtext.at: Das erste mal live habe ich dich auf der Bühne vor vierzehn Jahren gesehen, da warst du mit Reamonn der Support bei HIM in Wien.
Rea Garvey: Aha. Ich hab jetzt gedacht, dass du vor vierzehn Jahren sicher nicht wegen mir zu unserer Show gekommen bist (lacht)! Damals haben wir zwei Tourneen gespielt, einmal mit den Guano Apes die „Crossing All Over“-Tour und einmal mit HIM. (überlegt) Danach haben wir zwei Co-Headliner-Shows mit Metallica gespielt – die schwierigste Sachen, die ich in meinem Leben wahrscheinlich gemacht habe. In den ersten Reihen standen bei HIM zweitausend Goths und dahinter Leute, die offener waren und sich gedacht haben „Mhm, eigentlich waren sie ja nicht so schlecht“. Bei Metallica war es so, dass sie vor unserem Auftritt über die Anlage „Nothing Else Matters“ gespielt haben und sechstausend Fans haben mitgesungen. Dann wurde das Lied unterbrochen und wir wurden auf der Bühne als Reamonn angesagt. Ich dachte damals, dass sie mich kreuzigen werden und das war es dann für mich. Es lief am Ende wie eine Challenge für uns ab. Es war super. Du musst wahnsinnig stark sein, vor sechstausend Gothic- oder Metal-Fans rauszugehen und zu sagen: „Hier bin ich, das ist meine Musik.“ Die meisten Leute haben ja mehr als eine CD im Regal und die finden es dann auch OK und in Ordnung, wenn auch eine andere Band spielt.

subtext.at: Eine sehr unterhaltende Anekdote.
Rea Garvey: Am nächsten Morgen, nach Rock im Park, wir hatten dann zwei Shows, weil wir überlebt haben, hab ich die Bahn von Nürnberg nach Berlin genommen. Ich habe vergessen, dass die meisten Metaller sich natürlich dafür entschieden haben, kein Hotel zu nehmen und am nächsten Tag mit der Bahn wieder zurückzufahren. Dann standen da an die zweitausend Metal-Fans – und ich. Ich habe mir gedacht: „Fuck, das wird Konfrontationen geben, wie löse ich sie?“ Dann gab es dort einen Kaffeeautomaten und weil ich viel Kleingeld dabei hatte vom gestrigen Tag in einer Kneipe, habe ich Kaffee ausgeschenkt für so hundert Leute. Viele sagten mir dann: „Ja, ihr seid schon nicht schlecht, du kannst schon spielen.“

subtext.at: Ein großzügiger Schachzug von dir.
Rea Garvey: Du nimmst halt diese Grenzen weg und dann ist alles möglich. Ich weiß nicht, ob ich jetzt damit deine Frage beantwortet habe, aber ich liebe das, was ich gemacht habe – auch die schwierigen Sachen. Auch die, die nicht unbedingt so erfolgreich waren. Cool, neues Album, neues Blatt – das war mein Gedanke.

subtext.at: Jetzt, wenn du heute mit damals vergleichst und zurückschaust, bist du zufrieden wo du im Leben stehst?
Rea Garvey: Absolut. Zu Beginn habe ich echt die beschissensten Tourneen gemacht. Billardtische am Boden, irgendwelche Besoffenen, lieber hier schlafen als dort schlafen – es war scheiße. Was ich von damals für mich mitgenommen habe: Das mache ich nie wieder. Ich wusste genau, was ich wollte. Das, was ich jetzt habe, schätze ich sehr. Mehr will ich nicht. Klein, aber fein. Ich habe früher in einer Wohnung mit 30m² gelebt und ich habe es geliebt. Ich habe keine Angst, dass ich irgendwann wieder dort landen werde. Ich sage mir „Erfolg gehört mir nicht“ und wenn jemand sagt, dass es scheiße ist, was ich mache und die Menge sagt das auch, ist das OK – solange ich es liebe und dahinter stehen kann. Ich bin total stolz auf das, was ich bisher geschafft habe. Total. Zu 90% bin ich mir immer selbst treu geblieben. Die anderen paar Male, darüber möchte ich lieber nicht reden (lacht).

subtext.at: Hast du demnach immer an dich geglaubt oder musstest du erst einige Jahre im Musikgeschäft verbringen, um das herauszufinden?
Rea Garvey: Ich habe nicht immer an mich geglaubt. Manche Dinge habe ich aus Wut und Trotz gemacht. Nach Deutschland zu ziehen zum Beispiel. Das war jetzt nicht unbedingt, weil ich gedacht habe, dass ich Erfolg haben würde. Ich war nicht der mit dem stärksten Glauben, als wir mit Reamonn angefangen haben. Unser Gitarrist hat am meisten an uns geglaubt. Er hat uns angetrieben und von ihm habe ich gelernt und es mir auch abgeguckt, wie man an sich selber glauben kann. (überlegt kurz) Musikalisch habe ich viel geschafft, aber auch Sachen wie soziales Engagement mit dem ClearWater-Projekt in Equador, was ich mit meiner Frau und Mitch Anderson gemacht habe. Ich hätte niemals im Leben geglaubt, dass ich so etwas zustande bringen könnte. In Deutschland habe ich Wege gesehen, wie eine Person etwas ändern kann. Es fängt aber immer mit dir selber an. Du musst erst mal in deiner Umgebung sagen: „OK, ich kann das und ich will das.“

subtext.at: Du warst also immer schon so bodenständig, wie du jetzt auf mich wirkst?
Rea Garvey: (überlegt) Eine gute Frage. Ich war nie einer von Oasis. Sie haben von der ersten Minute gesagt, dass sie die Größten sind. Kann man beneiden und cool finden, aber manchmal macht diese Einstellung auch blind. Und: Ich bin immer noch da (lacht).

Rea-Garvey-Pride

subtext.at: Dein neues Album heißt „Pride“ und es gibt ja eine feine Linie zwischen Stolz und Arroganz.
Rea Garvey: Ja, das stimmt, obwohl ich nicht weiß, ob das eine feine Linie ist. Manche sind arrogant und manche sind stolz. Ein Arschloch ist und bleibt ein Arschloch (lacht)!

subtext.at: Wer hilft dich dann am Boden, wenn du abzudriften drohst?
Rea Garvey: (überlegt) Jemand, der mal für unsere damalige Plattenfirma gearbeitet hat, sagt mir neulich: „Nur das du es weißt, du warst echt ein Arschloch bei der zweiten Reamonn-Platte.“ Ich habe gesagt: „Echt? Wow! Das ist ja ein Wahnsinn.“ Ich habe mich aber bedankt und fand es cool, dass er mir das gesagt hat. Es ist gut zu wissen.

subtext.at: Warst du über diese Aussage nicht schockiert?
Rea Garvey: Ich konnte es nachvollziehen. Die zweite Reamonn-Platte hatte kaum Erfolg. Nach der ersten Platte, die ein Riesenerfolg war, sind wir ein bisschen auf die Fresse gefallen. Es ist ein guter Prozess, so etwas durchzumachen. Du musst an dich weiterhin glauben, dass die nächste Platte dann einfach besser wird. Wir hatten uns damals nur auf die erste Platte konzentriert. Das war der Grund. Wir wollten noch ein „Supergirl“ schreiben, noch ein „Josephine“ schreiben. Es war leider nicht gut am Ende. Wir haben nicht reichlich an unsere eigene Musik geglaubt und viel zu viel auf den Erfolg gehört. Durch diesen Prozess habe ich nicht das Gefühl gehabt, dass ich das weitermachen musste. Ich setze mir realistische Ziele und solche, die ich steuern kann. Ich will das beste Album machen, was ich kann. Ich kann nicht für die Top 10 schreiben. Du schreibst keine Hits, du schreibst Musik. Der Boden ist nie so weit weg. Ich bin immer ehrlich, ich versuche es zumindest (lacht). Es gibt wenig Platz zwischen mir und dem Boden, was ich erlaube.

subtext.at: Du hast ja eine große Familie. Hat das auch einen Einfluss auf dich gehabt?
Rea Garvey: Sagen wir so – mit sieben Schwestern aufzuwachsen ist auch so ein Ding. Einmal mit weißen Socken raus gegangen, dann haben zwei von ihnen schon gelacht und gesagt: „Das geht gar nicht!“. Du lernst, was cool und was nicht cool ist. (überlegt) Alles fängt mit der ersten Lüge an, dem Schneefall. Der Schneeballeffekt ist dann massiv. Ich habe keine Lust, dass jemand auf mich zukommt und sagt: „Du hast damals gesagt…“ Fuck it! Ich bin nicht perfekt und das steht mir gut. Natürlich ist es im Fernsehen so, dass alles perfekt sein soll – bis dann jemand daran zerbricht. Sie bauen dich so hoch auf, dass der Fall dann genau so interessant dargestellt werden muss. Für diese Art von Presse bin ich uninteressant, ich habe keine Ecken und Kanten für sie. Und ich mag das total gerne!

Zu „Pride“ mag Rea noch hinzufügen: „Ich habe eine kleine Tour gespielt und es war eigentlich anders geplannt, denn ich sollte mit der neuen Platte diese Tour spielen, aber ich habe ein bisschen länger gebraucht, als ich gedacht habe. Da die Tour ausverkauft war, wollte ich sie nicht absagen oder verschieben. Ich hatte eine Menge Spaß und es hat mir erst gezeigt, wie die Platte live wirkt.

Zu „The Voice Of Germany“: „Die Show hat mir ein neues Rennen gegeben, weil ich mit anderen Musikern arbeiten konnte und mich nicht nur auf mich selbst konzentrieren musste.“

Zu seinen Einflüssen: „Melodien fand ich schon immer ganz wichtig. Radiohead damals, Skunk Anansie oder Nirvana habe ich gerne gehört. Sie waren irgendwie gegen alles, aber dennoch sehr melodiös. Und außerdem war ich ein Punk für drei Jahre. Mit Melodie hatte diese Zeit weniger zu tun, eher mit Aggressivität (lacht). Und überhaupt finde ich, dass Prominenz keine Musik schreibt und du in deinem Penthouse keine Inspiration finden wird. Man muss auf die Straße gehen, denn dort findet das Leben statt.“

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