NIИ live @ Wiener Stadthalle

Eine zerrüttete Schönheit in tiefdunkel: Nach fünf Jahren der Live-Abstinenz kehren Nine Inch Nails endlich wieder zurück auf die Bühne. NIИ, wie sie seit jeher abgekürzt werden, sind die letzte Bastion, die den Banner Industrial noch hochhält. In ihrer aktuellen Auflage präsentiert sich die Formation um Aushängeschild Trent Reznor vital, äußerst präsent und elektronischer denn je – mit einer Lichtshow und visuellen Effekten, die ihresgleichen suchen. So unterschwellig brodelnd hat das lange keiner so gut hinbekommen.

© Rob Sheridan

Man könnte die Historie von Nine Inch Nails auch ganz Boulevard-mässig aufziehen: Der gebrochene aber erfolgreiche Sänger, der mit Drogen, Depressionen und anderen Unzulänglichkeiten gerungen hat, ganz, ganz unten war, um nun siegreich und mit neuer Kraft zurückzukommen. Das macht schon etwas her. Jedenfalls ist Reznor an diesem Abend in der Wiener Stadthalle sichtlich in Spiellaune und voller Tatendrang – wie ein Flummi. Davor kann das Support-Duo Cold Cave die Besucher nicht wirklich überzeugen. Zu wenig eigenständig klingt der Synthiepop-Sound von Wesley Eisold, der zumindest lautstark aus den Boxen kommt.

Danach: Brachiale Live-Action, Härte und Aggression – keiner kann das besser auf der Bühne glaubwürdiger verkörpern als Trent Reznor. Da macht ihm niemand etwas vor. Der mittlerweile 49-Jährige hat in dieser Hinsicht schon einiges mit- und durchgemacht. Trotzdem ist das Lebensgefühl jetzt ein anderes. Reznor ist angekommen – bei sich, privat und vor allem auch bei seiner Musik, die an Perfektion, sowohl technisch als auch musikalisch, wohl kaum mehr zu überbieten ist. Davon kann man sich an diesem Abend in Wien selbst ein Bild machen. Für Verwunderung sorgt, dass die Vorabsingle „Came Back Haunted“ vom aktuellen Album „Hesitation Marks“ nicht gespielt wird. Das hat Seltenheitswert.

Und dennoch: Auf Krawall gebürstet war gestern. Mehr Getragenheit und mehr Elektronik, weniger Härte. Das Geboller der letzten Tourneen ersetzen die aktuellen Nine Inch Nails mit elektronischen Spielereien. Was früher ruppig war und direkt, ist jetzt flächig, sphärisch, vertrackt, hypnotisch wie bei Songs neueren Kalibers der Sorte „Copy Of A“. Es ist der Rhythmus, der sich in dynamischen Rocksongs wie „The Beginnig Of The End“ in den Mittelpunkt stellt.

Das Licht wechselt ständig, verändert die Farbe. Die Leinwand im Hintergrund präsentiert sich mal transparent, dann farbenfroh. Verhängnisvolles Halbdunkel beim lasziven Opener „Me, I’m Not“, gleißende Grüntöne bei „Reptile“, verhängnisvolles Rot bei „Closer“, kunstvolle Schwarzweiß-Aufnahmen bei „Hurt“. Mal gehen die Synapsen hyperaktiv durch wie in „The Great Destroyer“, mal gibt sich die Band laid back („Find My Way“). Reznor spielt natürlich omnipräsent im Vordergrund auf. Den Drang, sich den Frust von der Seele zu schreien, scheint er keineswegs zu unterdrücken. Vielmehr wird dieses Gefühl in passende Songs kanalisiert.

Die Performance wirkt viel aufgeräumter als früher. Ausnahmslos merkt man jedem Song die Detailversessenheit und den Perfektionsdrang an. Reznor scheint seine innere Mitte gefunden zu haben, worüber man besonders froh sein sollte. Viele hätten das nicht überlebt.

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