Liebe und andere Vergänglichkeiten

„Ich find ja, sie verleitet zur Hysterie. Die Liebe. Immer alle nur hysterisch“, meint Götz zu seinem Freund Max. Ausgehend von Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ erzählt Thomas Arzt von den Ängsten und Sehnsüchten einer Generation um die 30. Von Vorstellungszwängen einer glücklichen Liebe und Sicherheitsgedanken in der Ungewissheit der Gegenwart. „Werther lieben“ am Theater Phönix ist ein zeitkritisches Stück und eine Desillusion von Liebe, mit Audioaufnahmen für das Unausgesprochene.

Charlotte (Katharina von Harsdorf) und ihr Verlobter Max (Markus Hamele) haben sich ein Haus im Linzer Umland gekauft und planen ihre Hochzeit. Der neue Wohnort auf dem Land wird zum Symbolbild für Idylle, die nach und nach einstürzt: Charlotte und Max treffen sich gerne mit den befreundeten Nachbar_innen Götz (David Fuchs) und Betty (Isabella Szendzielorz), Charlotte nutzt die nahen Wege zum Joggen in der Natur, Max plant Umbauarbeiten am Haus. Doch während Max zielstrebig im Beruf und an einer gemeinsamen Zukunft arbeitet, wird Charlotte zunehmend unsicherer und unruhiger. Ulrich (Felix Rank), der gerade in die gegenüber liegende Mühle eingezogen ist, erscheint Charlotte als willkommene Abwechslung. Er verfolgt kaum einen Sicherheitsgedanken, schreibt an seiner Dissertation und überlegt, stattdessen Entwicklungsarbeit nachzugehen. Charlotte ist zwischen Max und Ulrich hin- und hergerissen. Sie beginnt sich zu fragen, ob sie eine falsche Liebe oder gar ein falsches Leben lebt…

Johannes Maile (Regie) erwähnt in der Pressekonferenz zu „Werther lieben“, dass es eine Herausforderung sei, den Vorgang des Sich-Verliebens auf die Bühne zu bringen. Die Inszenierung meistert dies, in dem die Folgen für soziale Beziehungen betont werden- z.B.  Charlottes Streit mit Max, Maxs Eifersucht- und Audioaufnahmen Gedanken und Wünsche der Figuren in das Stück bringen. Die eingespielten Tonaufnahmen des Textes geben den Besucher_innen einen Einblick in den Schreibstil des Werkes, können aber leider nicht immer eindeutig einem Charakter zugeordnet werden. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sich mehrere Figuren gleichzeitig auf der Bühne befinden. In „Werther lieben“ ist eine Figur maximal kurz alleine zu sehen, auch die einzelnen Szenen sind hauptsächlich kurz gehalten und gekonnt miteinander verbunden. Ein flüssiger Übergang mit Ausnahme des anfänglichen Song bis hin zur ersten Darstellung. Hier wird den Besucher_innen zwar Zeit gegeben, sich auf das Stück einzulassen und das Bühnenbild zu betrachten, nur ist die Zeitspanne schon eine Spur zu lange. Die Besucher_innen des Premierenabends unterhalten sich bereits. Gelungen ist jedoch die Fortsetzung: „Werther lieben“ erzählt den Sommer von Charlotte und Co. rückblickend von Charlottes und Maxs Hochzeit aus. Diese Szene bekommt das Publikum später noch in zwei weiteren Varianten zu sehen: in einer harmonischen und in einer mit einem aggressiven Max. Betty und Götz sind dabei zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um einzugreifen. Selfies inklusive. Eine nette Idee des „Was wäre, wenn“- Gedankens.

Umgesetzt wird dieses Szenario der Desillusion von Liebe ähnlich wie ein Filmset: Auf einer Bühne werden zugleich mehrere Räume dargestellt. Auf der linken Seite erinnert Ulrichs Mühle mit ihrer Mauer und dem bunten Garten an ein 3-D-Bild, auf der rechten Seite befindet sich ein angedeutetes Haus mit Holzbalken. Ein Wohnzimmer mit Tisch, Sofa, Fotografien und Dusche, den Zugang zum Garten gleich vor der Tür. Georg Lindorfers Bühnenbild ist realistisch und facettenreich. Die verschiedenen Handlungsorte, die viel im Freien sind, werden um Videos (Erik Etschel) ergänzt. Um Dusch- und Sexszenen und eine unruhige Nacht Charlottes, nachdem Max über das Wochenende das Haus verlassen hat. Einmal ist Charlotte auch mit Betty in einem Video zu sehen. Wie in diesem sind die Charaktere meist alltagstauglich und bis auf Ulrich und Götz in Ausnahmen sommerlich gekleidet. Die Kostüme (Elke Gattinger) werden mehrmals gewechselt, sind kurze Kleider für Betty und Charlotte, eine kurze (Bade-) Hose für Max, aber auch elegant wie Anzüge, ein Ball- und ein Hochzeitskleid. Gemeinsam unterstreichen sie die Jahres- und jeweilige Tageszeit.

Auch das aktuelle politische Geschehen bekommt etwas Platz in „Werther lieben“: Max kauft sich eine Waffe, da in der Nachbarschaft Verbrechen passiert sind. Diese werden in einem Gespräch mit Betty und Götz mit der Flüchtlingssituation in Verbindung gebracht. Eine schöne Umsetzung der Sicherheitsthematik abseits der Liebe; von Ängsten einer Mittelschicht, die angesprochen werden, aber nicht alle Figuren aus demselben Blickwinkel betrachten.

Begleitet wird das Misstrauen gegenüber den eigenen Träumen von Rocksings wie „We didn’t start the fire“ (Billy Joel). „It was always burning. Since the world’s been turning“ ist hier etwa zu hören (Musik: Armin Lehner). Charlottes und Max Leben wendet sich zuletzt nicht mehr wesentlich, wobei die Beständigkeit allerdings etwas Bedrückendes innehat.

„Werther lieben“ ist keine schlichte Umsetzung des Goethe-Stoffes in der Gegenwart, sondern eine feine Betrachtung einer Generation um die 30, die sich zunehmend mit Unsicherheit in ihrem Leben konfrontiert sieht.  Johannes Maile inszeniert Arzts Stück mit fließenden Übergängen trotz „Was wäre, wenn“- Gedankens und lehnt sich an ein Filmset an. Weniger gelungen sind lediglich die Zuordnung der Tonaufnahmen und der etwas langwierige Beginn ohne Schauspiel. Das Premierenpublikum lobt die Aufführung mit langem Schlussapplaus und manchen Jubelrufen.

„Werther lieben“ wird bis zum ersten Juli 2016, jeweils um 19.30 Uhr, am Theater Phönix in Linz aufgeführt. Karten sind zwischen 10 € und 22 € zu erhalten.

Katharina ist Sozialwissenschaftlerin und Redakteurin. Sie beschäftigt sich vor allem mit gesellschaftlichen (z.B. frauenpolitischen) und kulturellen (z.B. Film, Theater, Literatur) Themen. Zum Ausgleich schreibt sie in ihrer Freizeit gerne literarische Texte: https://wortfetzereien.wordpress.com/