Ronny Trocker: „Einsamkeit muss nicht immer negativ sein“
Wie gelingt es, sich in der modernen Gesellschaft zurechtzufinden, in eine Gruppe zu kommen und dort seinen Platz zu erhalten? In Ronny Trockers Spielfilm „Die Einsiedler“ (2016) hat ein introvertierter Bergbauernsohn Schwierigkeiten, sich zwischen dem einsamen Leben auf dem Hof mit der Mutter und dem belebten Leben im Tal zu orientieren. Über diese Gegensätze in seinem Film und die Rolle der Einsamkeit hat sich subtext.at während des Heimatfilmfestivals in Freistadt mit Regisseur Ronny Trocker unterhalten.
subtext.at: „Die Einsiedler“ ist dein Spielfilm-Debüt. War es nach Kurz- und Dokumentarfilmen ein Wunsch, der schon länger im Raum stand?
Ronny Trocker: Ich habe bereits Kurzspielfilme gedreht und war schon immer am Fiktiven interessiert. Die Kategorien unterscheiden sich manchmal immer weniger. Jedes Projekt gibt eine Erzählung vor und auch ein Dokumentarfilm hat durch die Interpretation und Auswahl der Regie etwas Fiktives in sich. Dennoch gibt es bei einem Spielfilm mehr Freiheiten: Man hat mehr erzählerische Möglichkeiten. Ich beobachte die Realität und stricke mir daraus den Stoff zusammen. Ich hänge auch nicht an realen Figuren und kann diese mehr manipulieren. Das schwankt je nach dem Stoff.
subtext.at: Wie war es für dich, sowohl Regie zu führen als auch das Drehbuch zu schreiben?
Ronny Trocker: Ich habe das bisher stets so gemacht. Ich habe noch nie für jemanden ein Drehbuch geschrieben oder umgekehrt ein anderes Drehbuch verfilmt. Dadurch bin ich in den gesamten Prozess involviert. Ich sehe beim Schreiben bereits vor mir, wie der Film aussieht. Ich hatte auch nie Zweifel, das nicht selbst zu machen und trenne die Regieführung und das Schreiben des Drehbuches nicht in zwei einzelne Aufgaben.
subtext.at: Sowohl das Leben auf dem Berg vs. das Leben im Tal als auch die Moderne vs. die Tradition sind Gegensätze in deinem Film. Wie sehr tragen Kontraste „Die Einsiedler“ insgesamt?
Ronny Trocker: Sehr, „Die Einsiedler“ ist als Kontrastgeschichte angesetzt. Mir war es wichtig, die Welten gegenüberzustellen, aber nicht gegeneinander abzuwägen. Ein Gegensatz ist z.B. die Handarbeit auf dem Berg vs. das Maschinelle im Tal. Die Kontraste drücken sich auch auf der visuellen Ebene aus. Im Tal ist der Marmorbruch glatt, auf dem Berg ist die Landschaft braun-gelb. Die Orte kamen mit der Recherche, ich hatte sie bereits vor dem Dreh im Kopf. Der Sohn Albert ist in „Die Einsiedler“ zwischen zwei Welten gefangen; die eine ist ihm vertraut, die andere bietet neue Möglichkeiten. Die richtige Balance zu finden war sowohl beim Schreiben als auch beim Schneiden schwierig. Die Spannung erzeugt sich jedoch vor allem über die Gegensätze.
subtext.at: Können diese Gegensätze in „Die Einsiedler“ auch als Sinnbild für unseren Alltag oder die Gesellschaft betrachtet werden?
Ronny Trocker: Die Geschichte ist zwar klar angesiedelt, aber universell. Diese Konflikte können in der Stadt genauso bestehen, etwa als Generationenkonflikt. Wir haben mehr Möglichkeiten als vor 50 Jahren. Dadurch ist es aber nicht automatisch leichter geworden, den Weg zu finden. Die Geschichte in „Die Einsiedler“ hat etwas Hermetisches: Albert ist unter Tieren und mit den Eltern aufgewachsen, aber auch im Tal irgendwie ein Einsiedler. Er trifft auf weitere Außenseiter wie die ungarische Küchenhilfe und Hilfsarbeiter. Spätestens hier kommt eine universellere Komponente als auf dem Bauernhof hinzu.
subtext.at: Welche Rolle nimmt Einsamkeit in „Die Einsiedler“ ein?
Ronny Trocker: Der Film stellt die Frage, ob sich Sachen verändern sollen. Die Mutter möchte ihrem Sohn selbst ein einsames Leben ersparen. Gleichzeitig wird er aber wie ein Tier aus dem Revier verstoßen. Er fühlt sich im Dorf noch einsamer, weil er die Ausdrucksformen erst lernen muss. Mit fast 40 Jahren durchlebt Albert sozusagen eine Spätpubertät. Bei dem Versuch, sich selbst zu finden, gerät er von einer Einsamkeit in die nächste.
subtext.at: Manche Menschen bezeichnen ihre Familie oder Freund_innen als Zuhause. Ist Einsamkeit konträr zu Heimat zu sehen oder ein Teil von ihr?
Ronny Trocker: Das kommt auf die Definition von Einsamkeit an. Man kann auch eine gewisse Einsamkeit suchen, das muss nicht immer negativ sein. Wenn sich eine Familie wie im Film wenig unterhält und über belastende Dinge nicht oder kaum gesprochen wird, kann es auch eine gewisse Einsamkeit innerhalb des sozialen Umfeldes geben. Dadurch kann man wohl selbst in der Gewohnheit vereinsamen. Auch in der Routine kann Einsamkeit entstehen, wenn die Arbeit schon hundertmal gemacht worden ist. Das kann konträr sein. Heimat ist für mich selbst kein geografischer Ort, obwohl das Aufwachsen prägende Jahre sind, die Spuren hinterlassen. Heimat kann mit wandern. Ich würde von mehreren Heimaten sprechen.
subtext.at: Dein Film ist heuer bereits auf der Diagonale gezeigt worden. Wo sollen die nächsten Termine folgen?
Ronny Trocker: Festivals flauen nach einem Jahr jetzt ab. In Südtirol (Anmerkung: Der Film ist eine deutsch-österreichisch-italienische Koproduktion) wird der Film während einer Kinorunde im September gezeigt. Hierzulande wird „Die Einsiedler“ jetzt aber auch ins Kino kommen und zwar ab 19. Jänner in Freistadt und Linz. Der Film wird von Filmdelights herausgebracht.
subtext.at: Planst du weitere Spielfilme?
Ronny Trocker: Ich schreibe gerade an einem neuen Projekt, bei dem die Unterschiede zwischen Stadt und Meer zentral sind. Hoffentlich kann der Film bald finanziert und Ende 2018 gedreht werden. Ursprünglich wollte ich nur einen Film in Südtirol drehen, aber ich habe festgestellt, dass es noch viele spannende Geschichten zu erzählen gibt.
Ronny Trocker (*1978 in Bozen) arbeitete als Toningenieur in Berlin, bevor er in Argentinien und Frankreich studierte. Heute ist er Regisseur und lebt in Brüssel.