Nnella: liebes geliebtes Arschloch

„Dear Beloved Asshole“ – selten wurde ein Albumtitel so sehr auf den Punkt gebracht, wie es Nnella auf ihrem Erstling tut. Die mittlerweile in Linz beheimatete Künstlerin mit vorarlbergischen Wurzeln veröffentlicht mit diesem Debut eine Platte, die viele Facetten ihres künstlerischen Schaffens beleuchtet. Ein Debut, das eine gelungene Ergänzung für das heimische Plattenregal darstellt. 

Eins vorweg: das Album „Dear Beloved Asshole“ ist als Doppel-EP arrangiert – aber auch als Album allein funktioniert das wunderbar. Die ersten vier Songs („In A Way“, „All I Can Say“, „22 Wutanfälle“ und „Lover You Should’ve Come Over“) und somit EP #1 lassen sich derzeit auch auf bekannten gängigen Streamingplattformen hören. Nadja Bodlak alias Nnella, die uns bereits im Februar im Rahmen eines unserer Wohnzimmerkonzerte in der Damen- und Herrenstraße DH5 mit ihrer Stimme beeindruckte, gibt hier bereits einen kurzen Überblick über ihr Schaffen, das in der zweiten Hälfte des Albums, der zweiten EP, wenn man so will, verfeinert wird. Was sofort beim Opener deutlich wird: die Frau kann singen. Verdammt gut sogar. „In A Way“ bewegt sich zwischen klassischem Singer/Songwriting, vielleicht etwas poppiger, und versteht sich wohl als Einleitung zum roten Faden der ersten EP, ehe es mit „All I Can Say“ etwas trauriger und regnerischer wird. Melancholie? Kann sie, die junge Frau. Mit den dazu passenden Arrangements (Jakob Gschwandtner – Drums/Percussion, Alex Matheis / Bass, Valentin Goidinger / Guitar) der wohl berührendste Track des „ersten“ Abschnittes der Platte. Mit „22 Wutanfälle“ wechselt Nnella danach in ihre Muttersprache Deutsch. Vielleicht ist es einfacher, Sehnsucht und Wehmut in seiner Muttersprache zu verarbeiten, vielleicht wollte man hier einfach nur eine weitere Facette inmitten des musikalischen Daseins hinzufügen – macht aber nix, funktioniert in beiden Fällen. „Ich weine genug, um nicht mehr aufs Klo zu müssen!“ – kurz und prägnant könnte man die Stimmung des Songs in dieser einen Lyric-Zeile zusammenfassen, und in der zweiten Hälfte des Tracks darf sich auch die Band austoben. „Lover, You Should’ve Come Over“ beschließt dann die erste EP, einen viertelstündigen Salzstreuer in offene Wunden. Stimmlich gewohnt gewaltig – am besten überzeugt man sich im dazugehörigen Video gleich hier unten.

Nach dem verdammt starken ersten „Teil“ des Albums geht es mit vier weiteren Tracks weiter, die man auf der physischen Variante der Platte findet, und erst ab 26. Juni auf den gängigen Streamingplattformen. „S Leben Is Sche“ ist bis auf den Refrain auf Englisch gesungen, versucht dabei, zumindest ein bisschen Optimismus zu verbreiten. „S Leben Is Sche, wenns net grad total beschissen is“ – ein bisschen Rock am Schluss gibt es auch noch, und aus Aussichtslosigkeit und Verbitterung wird danach zumindest ein bisschen die emotionale Kurve wieder gekratzt. Abrechnung inklusive. „I Accept“ ist danach der Versuch, mit der Vergangenheit abzuschließen, auch wenn man es wohl nicht auf Anhieb schafft. Eine emotionale Explosion, die wir gerne mal im Full-Band-Setup hören möchten, ein Track gefangen zwischen Zweifel und Wut. „Du und Igel“ berichtet über Stacheln in zwischenmenschlichen Beziehungen – und nicht jeder Igel mag sich auf alle Ewigkeit. Hier wieder auf Deutsch, wird nochmals ein Mosaiksteinchen mehr ins Gesamtkunstwerk eingebracht. „Pretty Shitty“ ist dann der Abschluss eines emotionalen Sturzfluges, bringt noch etwas Funk in die Ohren, und vollendet auch thematisch den Spagat der vergangenen sieben Tracks. „You’re not only covered in shit – you’re full of it!“

Fazit? Hui. Stimmlich haben wir schon lange nichts Vergleichbares gehört. Klar – die Thematik ist jetzt nicht unbedingt neu, aber selten wird emotionale Bindung (oder eben Nicht-Bindung) so facettenreich wie auf „Dear Beloved Asshole“ musikalisch verarbeitet. Eine musikalische Abrechnung mit einem „Arschloch“, die man sich gerne mehr als einmal auf den Plattenteller legt.

Nnella
Dear Beloved Asshole
VÖ: 17.4.2020, very hairy records
www.nnella.com

Fotos: Alexander Au Yeong

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.