Maifeld Derby: Roosevelt, K-Pop und Kiasmos
Zweiter Tag am Maifeld Derby. Regen, Regen, Regen – aber motivierte Festivalgäste. Und ein musikalischer Festivaltag, der stark wie schon lange nicht mehr war – so könnte man den Samstag in Mannheim zusammenfassen.
Ja, der Wettergott oder eher ein Tief über Mitteleuropa meinte es nicht gut. In Bayern Jahrhunderthochwasser, in Mannheim nicht ganz so schlimm, aber immer noch Regen. Wenn auch in etwas geringerem Ausmaß nicht unbedingt ideal für ein Musikfestival. Das Maifeld Derby machte dennoch das Beste draus und bot einen Tag, der musikalisch extremst stark war. Aber mal der Reihe nach, nach Stages aufgeschlüsselt – wir hätten sonst auch nicht gewusst, wie wir dieses Lineup sonst zusammenfassen könnten!
Palastzelt
Los gings an diesem regnerischen Samstag im Palastzelt mit Klaus Johann Grobe. Vor wetterbedingt großem Andrang, versteht sich. Das als Quartett auf der Bühne stehende Ensemble der Schweizer Band überzeugte mit Witz, hatte dieses Mal sogar eine eigene Pferde-Koje im Backstage bekommen und ehrlich Freude, wieder am Maifeld Derby spielen zu dürfen. Pop gibts jetzt auch auf Englisch, und auch sonst haben Klaus Johann Grobe (den es eigentlich nicht gibt) als Opener ganz wenig falsch gemacht.
Danach erstmal ein Disclaimer. Dieser Redakteur (Chris) versucht seit 15 Jahren mehr oder weniger über Musik zu schreiben, war aber in seinem Leben noch nie so sprachlos wie er es bei Balming Tiger war. Sagt euch nix? Solltet ihr ändern. Was im Maifeld Derby’schen Programm als „Wenn man zwei bei uns eher weniger vertretene Genres zusammenwirft, kommt selten Gutes heraus, right? “ angekündigt wird, hinterlässt bleibend Eindruck und hinterlässt viel Gutes. Alternative Hip-Hop meets K-Pop, und langsam aber sicher wird deutlich, warum Letzteres so erfolgreich ist. Der Begriff „Abriss“ wird ja leider in musikalischer Kontextualisierung sehr oft verwendet, selten war er aber so angebracht wie an diesem Nachmittag am Maifeld Derby. Wow, einfach nur Wow!
Weiter ging es dann mit Grandbrothers. Einigen von euch vielleicht noch vom allerersten Stream Festival in Linz im Gedächtnis. Großartige elektronische Musik, die sehr schön klassische Elemente mit moderenen elektronischen Elementen mischt und so ein sehr dichtes Klangbild erzeugt. Intensiv, auch mal wieder ruhiger aber stets stimmungsvoll – und live ein absolutes Highlight.
Das heimliche Highlight aber kam danach, Hania Rani. Diesesmal in einer Umgebung, die funktioniert im Gegensatz zu ihrem Besuch am Stream Festival vor einem Jahr. Eine dermaßen großartige und talentierte Musikerin, die Neoklassik ganz eigen interpretiert. Neue Elemente schafft, alte neu interpretiert. Eine Stimmung erzeugt, die verzaubert und einfach nur genießen lässt. Die Stille und Finsternis des Palastzeltes unterstützt diese Atmosphäre. Ein mal ruhigeres, mal schnelleres, aber stets atemberaubend Set, das die Grenzen zwischen Realität und Wirklichkeit verschwimmen lässt. Wir sind noch immer in dieser Welt. Ganz klar eines der Highlights dieses Festivals!
Headliner des Abends? Kiasmos. Falls euch das nix sagt, solltet ihr das erstens schleunigst ändern, und spätestens bei den Namen Janus Rasmussen und Olafur Arnalds sollte es klingeln. Die Beiden haben sich 2009 in Reykjavik getroffen, haben Kiasmos als Freundschaftsprojekt gegründet, nach 2014 nach zehn Jahren ihren Nachfolger am Start. Die Sphären beider Musiktüftler treffen sich hier in Minimal Techno, das Ergebnis ist unfassbar tief. Tief, einzigartig, und auch zu späterer Stunde immer einen Abstecher wert. Opulente Lichtshow? Sowieso. Mehr zu Kiasmos erfahrt ihr übrigens bald hier auf subtext.at im Interview!
Zum Abschluss tanzten wir dann noch mit Modeselektor in die Nacht. Ein paar Gespräche und Getränke mit den lieben Kolleg:innen vom Maifeld Derby Team und dann ab ins Bett und ins morgige Finale!
Open Air Bühne
Frisch gestärkt ging es dann um kurz nach 14:00 mit Yara los, leider bei strömendem Regen. Dieses verdammte Wetter. Ein paar Hartgesottene haben es aber dann vor die Open Air Stage geschafft. Richtige Entscheidung! Sie bekamen guten, launigen und schwungvollen deutschsprachigen Indie. Perfekt zum einfach Freude haben und in diesem Fall im Regen zu tanzen. Eine wirklich ausgezeichnete Live-Performance, die ein bisschen den Regen vergessen lies. Auch weil die Band mit viel Humor dem Regen getrotzt hat und sich trotz kleiner Menge vor der Bühne nicht die Stimmung vermiesen ließ.
Weiter ging es dann direkt danach mit einem unserer musikalischen Highlights, Soft Loft aus der Schweiz. Wunderschöner Indie Rock, der zum Genießen einlädt. Die traumhafte Gesangstimme von Frontfrau Jorina Stamm umschmiegt Einen und lässt träumen, die Augen schließen und genießen. Zwar jetzt, wahrscheinlich auch dem weiterhin strömenden Regen geschuldet, keine besondere Live-Performance, aber trotzdem sehr zu empfehlen. Trotzdem stellt sich uns die Frage, wieso nicht auf der Parcours D’Amour Stage, hätte viel besser gepasst? Kauft euch trotzdem wie wir die Platte!
Nieve Ella ist wohl noch nicht so vielen Musikbegeisterten ein Begriff. Zumindest auf dem Kontinent – denn in ihrer Heimat UK ist die junge Dame bereits aufgefallen. Indie-Pop-Hymnen treffen hier den Nerv der Zeit, und die Tatsache, erst zwei EPs veröffentlicht zu haben und dennoch bereits mit einer solchen Freude eine solche Stage bespielen zu können, zeugt von Können. Wir freuen uns auf mehr!
Danach ein Ausflug nach Australien. Mildlife stehen für einen ausgeklügelten Psychedelic-Jazz-Fusion-Mix. „Chorus“ heißt das aktuelle dritte Album – am Maifeld Derby wohl eher in die Kategorie „Special Interest“ einzuordnen. Zumindest der verhältnismäßig kleineren Crowd tanzend vor der Bühne nach zu urteilen. Macht aber nix, die hatten Spaß und die Anderen konnten sich zwischendurch mal an den – auffällig festivaltunypisch wohlbepreisten – Imbissbuden stärken.
Arc de Soleil hingegen ist eine Supergroup. Eigentlich ein Artist-Collab-Projekt des schwedischen Multiinstrumentalisten Daniel Kadawatha und nie „on stage geplant“ gewesen, wie er während des Auftritts verriet. Gott sei Dank ist das Verlangen ihre Musik zu präsentieren auch auf die Live-Bereiche übergesprungen. Das Ergebnis ist nämlich eine extrem in die Gehörgänge eindringende Mischung aus Groove, Gitarre, ein bisserl Jazz und Psychedelic-Einflüssen. Oder so ähnlich, aber eigentlich ist die Charakterisierung wie so oft eh wurscht. Das macht einfach nur verdammt viel Spaß – und sollte nächste Woche jemand in Hamburg sein, gerne zum Elbjazz gehen!
Wenn schon Festival-Mastermind Timo Kumpf auf Instagram von sich gibt, dass ein Auftritt „überfällig“ am Maifeld Derby sei, dann kann das Folgende nur gut werden. Und was soll man sagen: was Roosevelt danach auf der Open Air Stage veranstaltete, haben wir so auch schon lange, lange nicht mehr gesehen. Marius Lauber alias Roosevelt stammt aus Nordrhein-Westfalen und ist einer der Artists, die man gerne in die Kategorie „international schon riesig, aber im eigenen Land noch nicht groß genug“ einordnen kann. Gut so – denn sonst sind solche Bühnen wie am Maifeld Derby gleich mal zu klein für Roosevelt.
„Ordinary Love“, „Montreal“, „Strangers“ – die Hitliste ist lang. Und verdammte Scheiße, drückt das live. Da bleibt kein Bein ruhig, da wird auch der stoischste Festivalgast noch zum Tanzbären. Eine Mischung aus Electro, Funk und einem ganzen Haufen weiterer Einflüsse, die ins Blut geht. Wenns ein Ausrufezeichen am Maifeld Derby in musikalischer Hinsicht gibt, dann das. Gänsehautgefahr, und da macht auch der wiedereinsetzende Regen nix!
Parcours D’Amour
Nicht nur bei schlechtem Wetter ein Geheimtipp, eigentlich schon immer, unsere geliebte Parcours D’Amour Stagem die an diesem Tag wiedermal bewies, wieso sie dieser ist! Es braucht nicht immer die ganz großen Namen, um großartige Musik zu erleben.
Angefangen hat dieser zweite Festivaltag hier mit Lone Aires aus Mannheim. Abwechsungsleicher Indie, der immer wieder mal in den Grunge wechselt, aber auch wie beim letzten Song an Kings of Leon erinnern kann. Sehr schlagzeuglastig, abwechslungsreich mit einem feinen Gespür für die richtige Mischung. Stellenweise leider trotzdem etwas mit Längen, aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Den Besuchern hat es offensichtlich auch gefallen, denn es war so gut wie jeder Platz belegt.
Kurz gestärkt und dann gleich wieder zurück zu Lampe. Dem wollen wir jetzt schon den Maifeld Derby 2024 Symphatie-Award geben. Schon beim gesungenen Soundcheck hat er die Herzen erobert und die Lachmuskeln gefordert. Das war der liebenswerteste und symphatischste Gig an diesem Wochenende, generell seit Langem. Die Texte mal ernsthaft, mal wieder lustig. Das Publikum wunderbar eingebunden und stets mit einem Scherz auf den Lippen. Wir sind kaum aus dem Feiern und Lachen rausgekommen. Musikalisch simpel und keine Neuerfindung. Sehr direkter deutschsprachiger Pop mit leichten elektronischen Elementen. Zurecht gab es am Ende standing ovations, hochverdient und absolut eines der Highlights dieses Maifeld Derbys!
Ganz anders war es dann bei John Francis Flynn. Nicht weniger gut besucht und weniger begeisternd, aber auf eine ganz andere Art. Traditionelle irische Musik, ruhig und bewusst vorgetragen. Sehr sehr sphärisch und fast schon hypnotisierend. Sakraler Soundteppich, gepaart mit seiner tiefen Stimme. Da fühlt man sich, wenn man die Augen schließt, wirklich in das Irland vor vielen Jahrhunderten zurückversetzt. Eine Musik, die den Körper durchströmt und zum Genießen ist. Das kann man von der Platte nicht so wahrnehmen wie hier live am Parcour. Wenn ihr die Möglichkeit habt den Mann zu sehen, tut es!
Wieder komplett anders ging es dann bei Sophie May weiter. Die junge Britin mit zuckersüßer, fast schon himmlischer Stimme verzauberte auf ihre Art das Publikum. Ruhige Lieder, die ganz klar von ihrer starken Stimme getragen werden und ein bisschen Julien Baker-Vibes versprühen. Einfach, reduziert, aber nicht weniger großartig. Den Versprecher mit Frankfurt anstatt Mannheim verzeihen wir mal. Da war wohl die sehr frühe Anreise aus London wohl schuld.
Back to the 60’s hies es dann bei Oracle Sisters. Dream Pop mit Surf Anleihen, der nichts neu,caber auch nichts schlecht macht. Für Fans des Genres sicher zu empfehlen und auch ein guter Live Gig. Aber im Vergleich zu den Acts davor und auch danach dann leider doch nichts, was lange im Gedächtnis bleibt.
Last but not least dann der musikalische Abschluss auf der Parcours D’Amour mit Mario Batkovic. Was für ein Abschluss! Neoklassik mit Akkordeon. Wir waren und sind auch heute noch erstaunt, begeistert und überrascht, was man aus diesem Instrument herausholen kann. Man hat hier stellenweise das Gefühl ein Klavier, eine Geige oder Gitarre ist auch noch auf der Bühne. Mario Batkovic versteht es, alles aus diesem Instrument herauszuholen. Mehr als wir gedacht hätten, dass dies überhaupt möglich wäre. Unglaublich stark und abwechslungsreich, einfach großartig hoch Zehn. Unbedingt mal ansehen und ein wunderbarer Abschluss dieses Festivaltages am Parcours D’Amour.
Arena Bühne
Ja, wir gebens ja zu, es hat aus Eimern geschüttet. Liebe Agit Pop, lieber Nils Keppel, verzeiht uns bitte unsere Abwesenheit. Beim nächsten Mal dann! Chalk wiederum ließen wir uns natürlich nicht entgehen. Die Belfaster Urgewalt zaubert mir (Chris) als Post-Punk-Enthusiast nicht nur einmal ein Lächeln in die Magengrube. Wir Österreicher sagen liebevoll ja oft „Gschroa“ zu dieser musikalischen Explosion. Das ist eine Freude, diese Wut, das Hadern, Zweifeln und verbundene Erinnerungen in dieser Intensität zu spüren. Kein Wunder, dass Idles und Co. Chalk auf ihre Runs einladen. Persönliche Entdeckung des Festivals – und hey, shut up and take my money, wenns um eine Platte geht!
Leider schien heuer irgendein Fluch über den versprochenen Floorshows zu liegen. Mussten doch Fat Dog medizinisch bedingt ihren Gig am Maifeld Derby leider absagen. So ein Scheiß aber auch – gute Besserung! So wurden Iedereen kurzerhand wieder „hochverlegt“, wie man so gerne sagt, und bespielten den letzten Samstagsslot auf der Arena-Stage. Und wie sie das taten. Das Power-Duo macht hier keine Gefangenenen, und „Ich Brenne Lichterloh“ steht nicht nur für die neue Platte, sondern auch für das, was sich sonst so im Rahmen dieses Gigs tat. Moshpits, nennen wirs mal „Spaziergänge“ durch die Menge, und wie bei Zahn am Vortag die Bitte, doch bald im ranzigen Club um die Ecke aufzugeigen. Falls ihr mal nach Österreich kommt, meldet euch, liebe Iedereen!
Foto und Text: Andreas Wörister, Christoph Leeb