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Foto: Universal Music

In Extremo: „Der Weg ist das Ziel“

Sie gehören zu Deutschlands langlebigsten Bands. Und auch zu den erfolgreichsten. Die Mittelalter-Rock-Veteranen In Extremo kommen 2025 im Juli auch für zwei Shows wieder nach Österreich.

Wolkenschieber heißt die dreizehnte Platte von Deutschlands Mittelalter-Rock-Veteranen in Extremo, die seit den 1990ern für energiegeladene Live-Shows stehen. Ende Juli kommt die Kultband auch für zwei Shows wieder nach Österreich, genauer gesagt nach Graz und Linz. Ein Abend, den man Fans des lauteren Genres gerne ans Herz legen kann. Kay und Michael nahmen sich im Vorfeld Zeit, um über ihre Historie, das neue Album und die Notwendigkeit, Flagge zu zeigen, zu sprechen.

subtext.at: In der Headline zum Konzert in Linz (am 26. Juli im Posthof, Anm.) heißt es „die Verrückten sind wieder in der Stadt“. Ihr feiert heuer euer dreißigjähriges Bühnenjubiläum – würdet ihr euch immer noch als verrückt bezeichnen?
Michael Rhein
: Mit Sicherheit (lacht).

subtext.at: Was ist für euch als Band das „Verrückte“?
Michael Rhein: Dass wir immer noch so verrückt sind wie am ersten Tag.
Kay Lutter: Es ist bei uns eher eine Konstante (lächelt). Wir erfinden uns ja nicht jedes Mal neu.

subtext.at: Bleiben wir gleich mal bei „Konstante“ – die aktuellste Platte heißt Wolkenschieber und ist im Vorjahr erschienen. Zwischen den beiden letzten Alben hat es dann ja doch einige Jahre gedauert. Hatten diese vier Jahre euren Blick auf das Album auch verändert?
Michael Rhein: Es ist einfach die Zeit – man ist ja viel unterwegs. Und so ein Album schüttelt man sich nicht mal einfach so aus dem Ärmel. Nach vier Jahren hat man erst mal gemerkt, wie viel Zeit eigentlich vergangen ist. Das ist auch nicht so beabsichtigt, aber als Band wie In Extremo, die fünfzehn Alben draußen hat, darf man sich auch mal etwas Zeit lassen.

subtext.at: Das auf Wolkenschieber enthaltene Weckt die Toten ist sowohl ein Track auf der aktuellen Platte, als auch der Titel des 1998er-Albums. Ein „Homecoming“ für euch, einen Track mit dem selben Namen wieder veröffentlicht zu haben?
Michael Rhein: Ach, das hat sich einfach so ergeben. Das Album damals war das erste Album, das sich sehr gut verkauft hatte. Das war das Debut. Aber der Song auf der aktuellen Platte passt in die Welt gerade. Und da ist es natürlich eine kleine Hommage an uns selbst.

Kay Lutter: Wir hatten schon überlegt, ob wir einen altes „Schlagwort“ oder einen Satz von uns rausgeben sollen. Weckt die Toten lag auf der Hand. Das war zwar der Titel des Albums, wir hatten aber nie einen Song, der so hieß. Von daher bot sich das irgendwo an. „Die Verrückten sind wieder in der Stadt“ ist ja auch so ein Satz aus der Historie, so hieß auch ein Album. Und auch nur eine Songzeile, aber kein kompletter Song. Von daher sind das die beiden Sachen, die wir halt in den letzten dreißig Jahren mal benutzt haben.

Michael Rhein: „Die Verrückten sind wieder in der Stadt“ zieht sich schon auch seit der Zeit vor In Extremo durch unser ganzes Leben.
Kay Lutter: Micha und ich spielten vorher in einer Band, wo es einen Song gab, der so hieß und das thematisiert hat. Und übrigens, weil du meintest „nach so langer Zeit“: wir hatten eigentlich immer einen Dreijahres-Rhythmus. Setzt sich einfach so zusammen: Album veröffentlichen, Main-Tour dazu spielen, dann zwei Sommer-Tours und neue Songs schreiben. Da gabs noch Corana – dann sinds halt vier Jahre geworden. Wir haben uns selten gesehen und da auch gemerkt, dass das Songschreiben still zu Hause im Kämmerlein uns nicht so liegt. Das hat sich etwas verzögert, waren aber relativ fleißig und haben viele Songs fertig gehabt. Im Studio haben wir aber festgestellt, dass die so nicht veröffentlichungs-„würdig“ sind. Und haben das Album nochmal geschoben.

subtext.at: Auf der Platte gibt es neben dem Feature mit Henry von Rauhbein auch Features mit etwa Joey und Jimmy Kelly. In anderen Interviews betont ihr oft, dass ihr gute Freunde seid. Kann man sich das so romantisch vorstellen, die ganz ganz einfach für ein Feature gewinnen zu können?
Michael Rhein: Das entscheiden wir wirklich immer dann, wenn ein Song fertig ist, wer da gut passen würde. Da werden dann natürlich sehr gute Bekannte und Freunde angerufen. Manchmal ist es auch nur ein Telefonanruf (lächelt).
Kay Lutter: Joey Kelly ist halt extrem viel unterwegs – das macht es eher schwierig. So ist er wirklich einer unserer besten Freunde seit Anbeginn. Da geht es eher darum, mal Zeit zu finden, wenn er mal Vorträge hält oder mit dem Wohnwagen durch Amerika tourt.

In Extremo: Statements als Notwendigkeit

subtext.at: Bleiben wir mal kurz bei der Platte – der Song, der mit von der aktuellen Platte am meisten in Erinnerung bleibt, ist Olafur. Dieser basiert auf einer isländischen Skalden-Dichtung aus dem achten Jahrhundert. Ihr verwendet seit 30 Jahren verschiedenste historische Einflüsse – wie entdeckt ihr für euch noch neue Nuancen?
Michael Rhein:
Wir gehen da manchmal zurück zu unseren Wurzeln. Anfangs haben wir eigentlich nur so etwas gemacht, und bis auf Kunstraub glaube ich haben wir diese Einflüsse auf allen unserer Platten. Das ist auch sehr schön, so etwas zu machen – etwa auch mal eine andere Sprache auseinanderzunehmen. Und viele Themen haben auch heute noch genauso Gewicht.

subtext.at: Auch auf Wolkenschieber gibt es natürlich politische Songs – neben dem plakativen Katzengold etwa Terra Mater. Habt ihr das Gefühl, dass ihr euch aktuell vielleicht noch mehr als sonst positionieren müsst. Oder noch plakativer?
Michael Rhein:
Ja, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, kommt man aktuell nicht darum herum, ein Statement zu setzen und Flagge zu zeigen. Das finden wir wichtig – wir sind nicht die politische Band mit direkten Ansagen und dem Zeigefinger-Draufhalten. Wir haben ein Statement gesetzt – und ich glaube und hoffe, dass die Leute das auch richtig einordnen können.

Kay Lutter: Speziell bei Micha und mir ist es ja so, dass wir früher schon in Bands zusammengespielt haben, die aus dieser Ecke kommen. So wie Ton Steine Scherben, Polit-Rock. Wir haben In Extremo ja bewusst gegründet, um mal auch nach Jahren etwas Anderes zu machen. Wir wollten auch mal „nur“ unterhalten, haben dann aber auch bei In Extremo bemerkt, dass es mal Zeit wurde, ein Statement zu setzen. Und es nicht nur bei der Unterhaltung zu belassen.

subtext.at: Wann war dieser Moment, wo ihr das gesehen habt?
Kay Lutter:
Bei mir war es während Quid pro Quo – da waren gerade 100 Jahre seit dem ersten Weltkrieg vergangen. Ich hab mich oft mit meinem Opa darüber unterhalten – und der Text zu Lieb Vaterland war eine Hommage darüber. Das hat mich als Pazifisten – er war immer in Uniform – beeinflusst, da gab es immer Reibepunkte auch und es war ständig ein Thema auch. Da wollte ich ihm mal ein kleines Denkmal setzen.
Michael Rhein: Das Andere ist natürlich aktuell gerade mit Katzengold. Die halbe Welt brennt, es wird immer schlimmer. Man traut sich fast nicht mehr die Nachrichten anzumachen, darum ist es aktuell noch umso wichtiger.

subtext.at: Stichwort Flagge zeigen – habt ihr als Musiker generell und als In Extremo im Speziellen noch offensiver positionieren müsst, auch in den Texten?
Michael Rhein:
Wir müssen es nicht, aber wir wollten es. Wie Kay sagt, auch mal Standpunkte zeigen, wo man eigentlich steht. Das ist wichtiger geworden, weil alles noch mehr politisiert wird. Das ist alles immer verrückter geworden.

subtext.at: Beeinflusst euch das auch im Hinblick auf ein etwaiges 14. Album?
Michael Rhein: Es beeinflusst Einen immer alles. Wir haben das Glück, viel rumzukommen und von überall etwas mitnehmen zu können.

In Extremo: Pioniere, die bei sich angekommen sind

subtext.at: Ihr feiert heuer das dreißigjährige Bühnenjubiläum. Seht ihr euch eigentlich selbst auch als Pioniere, und auch als Wegbegleiter für viele andere Bands?
Michael Rhein:
Mit Sicherheit. Wir waren definitiv die Ersten, die die mittelalterliche Musik damals „verrockt“ haben, ja.
Kay Lutter: Vor uns gab es schon auch Bands, auf die wir aufgebaut haben. Aber die Elemente mit Rock zu vermischen, da gab es neben uns eigentlich nur Subway To Sally. Der Name „Pionier“ klingt immer groß, aber wir haben anderen Bands sicher auch den Weg mit bereitet. Aber so muss es ja auch sein.

subtext.at: Wie habt ihr die Bands eurer Meinung nach dann beeinflussen können?
Michael Rhein:
Das musst du dann die Anderen fragen (lacht).
Kay Lutter: Wir machen ja Musik nicht, um Andere zu beeinflussen. Entweder passiert es oder nicht, es macht jetzt auch nicht besonders stolz. Man denkt dabei tatsächlich oft ja nur an sich selbst – man macht es zwar fürs Publkum, aber nicht primär, um mit Anderen gleich eine Szene zu gründen.

subtext.at: Die Kollegen vom Metal Hammer schrieben zu Wolkenschieber „In Extremo können kein schlechtes Album machen“. Provokant gefragt: warum eigentlich nicht?
Kay Lutter: Das kriegen wir sicher auch noch mal hin (lacht).
Michael Rhein: Wenn wir mal eins machen, dann sollen es uns die Leute auch mal verzeihen (lacht). Aber natürlich ehren solche Statements auch.

subtext.at: Weiter gefragt: wie schafft ihr es nach 13 Alben mit verschiedensten Einflüssen für euch, den Level halten zu können?
Kay Lutter:
Wir sind musikalisch in der Band ja grundverschiedene Typen. Da ergibt sich dann so viel Reibung, dass da immer Interessantes rauskommt. Auch die Sachen, die wir oft gar nicht benutzen – wir haben festplattenweise Material. Besonders von unserm Gitarristen, der eigentliche „Hauptsongschreiber“. Das ist stilistisch nicht immer typisch für uns, und durch diese Reibepunkte wird es am Ende dann immer interessant für uns. Für mich zumindest.

subtext.at: Ein Kollege von mir führte 2011 mal ein Interview zu Sterneneisen, quasi zur Halbzeit eurer aktuellen Bandgeschichte. Ihr meintet damals, dass ihr jeden Tag ein bisschen mehr bei euch als Band ankommen würdet. Würdet ihr das 15 Jahre später immer noch behaupten?
Michael Rhein:
Definitiv, ja. Ich glaube wir verstehen uns aktuell besser denn je. Weil man älter, weiser und auch reifer geworden ist, und das natürlich mitspielt. Man hat einen anderen Blick auf viele Dinge bekommen. Früher wäre man ausgerastet, wenn etwas passiert wäre. Da blickt man heute anders drauf.

Kay Lutter: Und als junger Musiker hat man sich vielleicht auch ein Ziel gesetzt, ab wann man erfolgreich ist. Irgendwann merkt man, dass es keine Ziele gibt, sondern der Weg ist das Ziel. Es gibt für uns keinen Punkt, wo wir sagen, wir hätten den Höhepunkt unserer Entwicklung erreicht. Es wird immer weitergehen, was natürlich auch heißen kann, dass es mal schlechter werden kann. Das muss man auch bedenken, und man lernt nur aus dem Weg. Und dabei entsteht immer Neues, auch aus schlechten Erfahrungen.

Support auf Tour: Dominum

subtext.at: Der Weg bei euch ist ja schon weit nach oben gegangen: große Festivals, Gigs mit Korn oder den Red Hot Chilli Peppers, ihr habt auf Burgen gespielt. Was ist für euch der weitere Weg, wenn der Plafond schon sichtbar ist?
Michael Rhein: Kann man auch so nicht sagen glaube ich – da bin ich wieder bei Kai mit dem Weg. Ich glaube, dass das Ende der Fahnenstange von In Extremo noch lange nicht erreicht ist. Wir haben noch viel vor, das wird sich sicher ergeben, und man muss weiter am Ball bleiben.

Kay Lutter: Wir waren letztes Jahr etwa in Südamerika. Das wäre etwas, was man vielleicht noch ausbauen könnte. Da haben wir tatsächlich gemerkt, dass die Leute total daran interessiert waren. Auch weil es dort diese Mittelalter- oder Gothic-Szene in der Größe gar nicht gibt. Das Publikum war auch viel, viel jünger – und es würde mir Spaß machen, dort noch mehr Fuß zu fassen.

subtext.at: Als Toursupport bei den Österreich-Shows spielen Dominum den Support. Wie kommt ihr nach 30 Jahren zur Entscheidung, wer euch begleiten soll?
Michael Rhein:
Kommt natürlich darauf an, mit wem man auch gut klarkommt. Mit Dominum haben wir damals etwa in Coburg gespielt – nette Kollegen, respektvoll. Man sucht keine Band aus, weil die noch das und das bringen würde. Das muss für uns alles passen. Zum Beispiel auch Rauhbein, das sind mega Typen. Dadurch entstehen Freundschaften. Wir sind nicht die Band, die noch eine extra Dudelsack-Band dazuholt. Das machen wir selber. Und Abwechslung ist immer wichtig.
Kay Lutter: Und wir haben natürlich auch mit unserem Booker eine gemeinsame Firma seit vielen Jahren. Der weiß natürlich auch, wie wir ticken, und der wählt natürlich auch für uns aus. Der weiß natürlich, was nicht geht und was uns interessiert, und dann reden wir erst darüber (lächelt).


In Extremo – die Verrückten sind wieder in der Stadt

Support: Dominum

Freitag, 25.7. – Kasematten Graz
Samstag, 26.7. Posthof Linz, Frischluft-Stage

VVK: ab 59,90€
Tickets: hier

www.inextremo.de

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockey- und Fußballfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.