Kuttnern, nicht kleckern

 

Sarah Kuttner gastierte im Rahmen ihrer aktuellen Lesetour am 28. September im Wiener WUK. Die ehemalige VIVA- und MTV-Moderatorin, die von der daueranwesenden Gegenwart beeinträchtigt wird und über das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens Bücher verfasst, wechselt mit ihrem neuesten Werk „Mängelexemplar“ ins ernstere Fach.Wie wird sie wohl sein, diese Sarah Kuttner, die gut und gerne alles niederredet, dabei aber auf irgendeine Weise sympathisch und charmant rüberkommt? Kaum betritt sie den Raum, sind die Bedenken wie weggeflogen. Nach wenigen Minuten stellt sich heraus, dass Sarah Kuttner so natürlich und munter drauf los quatscht, wie ihr der Schnabel nun mal gewachsen ist. Etwas polemisch ausgedrückt. Bevor sie mit dem offiziellen Teil anfängt, interagiert sie mit dem Publikum. Sie stellt Fragen, lobt Wien im Allgemeinen und die Wiener im Speziellen und macht die ein oder andere ulkige Bemerkung. Sie ist ganz in ihrem Element, denke ich.

Liest Sarah Kuttner Passagen aus ihrem Buch vor, verursacht das ein kollektives Wohlbefinden im Publikum. Vor allem auch, weil sie mal witzige, mal ernste Anekdoten aus ihrem privaten Leben mit einstreut. Zweifelsohne scheinen sich viele Anwesende in ihren Worten und Schilderungen wiederzufinden. Sehr präzise und dann wieder doch nicht rollt sie Gefühle, Sorgen und Hoffnungen auf, die das Leben heutiger Mittzwanziger beschäftigen.

„Mängelexemplar“ konzentriert sich ganz auf die Schilderungen von Karo, die sich in schwankender psychischer Verfassung befindet. Karo durchlebt nach verlorenem Job und Beziehungsaus eine emotionale Achterbahnfahrt, die sie bis zum Psychotherapeuten führt. So gut es geht manövriert sie sich durch Angst, Lebenswille, Wut und Verzweiflung. Da Karo einen reichlich geschwätzigen Schlagabtausch mit ihrem inneren Ich führt, bleibt der Humor zum Glück nicht aus.
Kuttner beweist ein gutes Gespür für das labile Selbstbewusstein der eigensinnigen und redegewandten 27-Jährigen und schafft es, ein authentisches Bild zu zeichnen.

Es gibt Wundermittel, die versprechen, gegen sämtliche Wehwehchen sofort helfen zu können. Davon sollte man lieber die Finger lassen. Auch Karo versucht vieles, um sich von ihren Lasten abzulenken und zu befreien. Vielleicht ist es Sarah Kuttner gelungen, mit „Mängelexemplar“ eine Art Wunderkraut zu züchten, welches nicht gegen alles, aber gegen einige Probleme Wunder vollbringen kann. Durch die emotionale Anteilnahme, die beim Lesen des Buches im besten Falle entsteht, wirken Gefühle direkt auf die Psyche der Leser ein, die eventuell selbst in einem emotionalen Tief stecken. Gegebenenfalls fällt es nach der Lektüre des Buches leichter, sich den eigenen wunden Punkten zu stellen.

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Foto: sarahkuttner.de / SKM Berlin

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