„Kulturpolitik ist stark auf der symbolischen Ebene verankert“

Geht es um Sparpakete, ist auch der Kulturbereich nicht ausgenommen.
Betroffen sind dabei auch immer freie Initiativen, die vor finanzielle Probleme gestellt werden. subtext.at hat bei Stefan Haslinger, Geschäftsführer der OÖ Kulturplattform (KUPF) und in der Interessensvertretung freier Initativen tätig, nach den Auswirkungen gefragt. Dabei kamen auch der Innovationstopf und der Wandel des Kulturbereiches zur Sprache.  

subtext.at: In Zeiten von Sparpaketen – kannst man als kulturpolitischer Vertreter überhaupt noch ruhig schlafen?

Stefan Haslinger: Naja, wenn politische Debatten sich auf den Schlaf auswirken würden, würde man wahrscheinlich an massiver Schlafdeprivation leiden. Es ist aber lustigerweise so, dass der Kulturbereich in dieser Sparpaketsdebatte ausgenommen ist. Die Ministerin spricht auch davon, dass die 5%-Sperre der Ermessensausgaben den Kulturbereich nicht treffen wird, zumindest auf Bundesebene. Aber auch auf Landesebene, was immer etwas schwierig ist, wird nicht gekürzt. Das Damoklesschwert der Kreditsperre schwebt aber noch immer über dem Kulturbereich. Grundsätzlich würde ich aber sagen, dass die Situation 2012 nicht so schlimm ist, wie sie sein könnte. 2013 sieht schon schlechter aus.

subtext.at: Stichwort Ermessensausgaben – diese machen gerade bei kleinen Initiativen einen Großteil der Förderungen aus. Bei einer Kürzung dieser Ausgaben wird dann aber doch wieder der freie Kulturbereich verstärkt betroffen sein, oder?

Stefan Haslinger: Zumindest auf Landesebene ist es fast ausschließlich der freie Kulturbereich und die kleinen Initiativen, die betroffen sein werden. Die großen Häuser sind in den Ermesseunsausgaben ja nicht enthalten. Da gibt es ein massives Ungleichgewicht im Verhältnis der Förderungen – im oberösterreichischen Kulturbudget sind etwa 88% des Budgets an diese Pflichtausgaben gebunden. Das spricht die KUPF ja auch immer an – man kann im Kulturbereich defacto nichts einsparen, außer man bricht eine Umverteilungsdebatte vom Zaun. Das würde dann mehr freie Mittel voraussetzen, würde aber eine größere Debatte sein. Wie so oft in der Politik geht es um symbolische Gesten – die 20%-Kreditsperre etwa wird auch kein Landesbudget sanieren, auch wenn sie wider Erwarten durchgesetzt wird.

subtext.at: Also symbolische Gesten am Rücken der Kulturinitiativen?

Stefan Haslinger: Man muss da trennen – die Einsparungen im Ermessensbereich ist tatsächlich Symbolik. Kulturpolitik ist mittlerweile sehr stark auf der symbolischen, repräsentativen Ebene verankert. Die Steuerungsfunktion passiert nicht mehr. Es werden kleine Akzente gesetzt, die großen Würfe aus den 70ern, oder in den 80ern mit den soziokulturellen Zentren, die verstärkt gefördert wurden, passiert nicht mehr. Das heißt nicht, dass die Initiativen nicht vorhanden wären, die gäbe es sehr wohl. Die werden aber entweder in bestehende Förderstrukturen eingegliedert, oder, wenn sie bestimmten Kriterien nicht entsprechen, gar nicht gefördert. Das ist auch dieser „Stillstand“, der von uns immer wieder kritisiert wird. Sowohl auf Bundes- als auf Landesebene.

subtext.at: Im „Profil“ gab es vor einigen Wochen eine Umfrage, wo sich die Bevölkerung am ehesten vorstellen könne, einzusparen. Nach dem Pressebereich wurde der Kulturbereich dabei am öftesten genannt. Ist der Kulturbereich also ein bedrohter Bereich, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung? Warum ist ein Bereich, der Menschen direkt ansprechen soll, laut diesen am wenigsten förderungswürdig?

Stefan Haslinger: Die Analyse ist relativ simpel: der Kulturbereich im etablierten Feld spricht nach wie vor einen geringen Personenkreis an. Das „Paradigma“ des Bildungsbürgers wird dabei noch immer aufrecht erhalten. Man muss sagen – wenn alle für den Kulturbereich zahlen, muss er auch für alle da sein. Das stimmt aber immer weniger, im Gegenteil, diese Schere ist immer weiter aufgegangen. Der etablierte Bereich beharrt aber immer noch darauf, diese „Tanker“, also die großen Institutionen, weiterhin verstärkt in die Förderungen einzubinden. Im Umkehrschluss ist es also auch verständlich, dass die, die nicht angesprochen werden, sich dann auch Kürzungen vorstellen können.

subtext.at: Etwas zynisch gesehen: heißt das dann auch, dass  gerade die „etablierte“ Kultur nur für sich selbst produziert wird? 

Stefan Haslinger: Jede Institution, nicht nur im Kulturbereich, läuft Gefahr, selbstreferenziert zu werden. Wenn ich meine Rahmenbedingungen reflektiere, passiert das weniger. Kleine, regionale Initiativen machen das ständig – die fragen sich, warum etwa zu einem Konzert keine Leute gekommen sind. Große Strukturen machen das zu einem Gutteil mittlerweile, aber in einer anderen Liga.

subtext.at: Ich möchte ein Zitat bringen, das im letzten Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern von der NPD gebracht wurde: „Auch freie Initiativen müssen sich gefallen lassen, an marktwirtschaftlichen Kriterien gemessen zu werden.“ In wie weit kann freie Kultur marktwirtschaftlich gemessen werden? Geht das überhaupt?

Stefan Haslinger: Gehen tut es sicher. Ich kann sicher marktwirtschaftlich messen – aber was heißt das? Wenn es darum geht, ausgeglichen zu bilanzieren, hat der initiative Kulturbereich eine Vorreiterinnenrolle inne. Gerade auch im Hinblich auf die Selbstpräkarisierung. Wenn ich mich aber am Markt orientiere, heißt das nichts anderes, als das die Kannibalisierung im Kulturbereich größer wird. Aktuell können sich Initiativen eine Nische schaffen, wo sie Expertinnenwissen bilden können. Die „Kultur für alle“ kann nur durch solche Initiativen verstärkt entstehen.

subtext.at: Heißt das im Umkehrschluss, dass bei Anwendung marktwirtschaftlicher Kriterien die „Eventkultur“ einen noch viel größeren Stellenwert hätte?

Stefan Haslinger: Auf alle Fälle. Wenn es wirklich darum geht, den Inhalt marktwirtschaftlich zu denken, brauche ich die größtmögliche Publikumswirksamkeit. Da werde ich nicht verhindern können, Programm anzubieten, das massentauglich ist. Das ist auch spannend zu beobachten, wenn das auch kleine Initiativen so betreiben. Dass das Publikum später vielleicht auch in der Nische bleibt. Wenn ich aber bei Eventkultur bin, brauche ich nicht mehr von einem kulturpolitischen Steuerungsauftrag oder einer „Kultur für alle“ sprechen.

subtext.at: Die Linzer JVP fordert immer „Popkultur“ in Linz – diese Tendenzen gibt es ja. Die KUPF beinhaltet mehr als 130 Vereine, die die genannten „Nischen“ bedienen. Wie gut funktioniert der Spagat zwischen Eventkultur und diesen „Nischen“?

Stefan Haslinger: Auf das Land Oberösterreich bezogen gibt es nach wie vor Ausgewogenheit. Das, was dramatisch zu beobachten ist, ist die Fokussierung auf einmalige Events, wie es oft gefordert wird. Die Substanz dahinter fehlt – das ist auch einer unserer Hauptkritikpunkte. Es ist etwas anders, ob eine kleine Initiative neben der Basisarbeit einmal im Jahr ein Festival macht, oder ob ein Veranstalter am Markt etwas bucht, Sponsorgelder aufstellt und auch über die Gastro auf einem einmaligen Event noch etwas einnimmt. Dadurch ist es ein großer Aufschrei mit vielen Leuten – aber nachhaltig oder zukunftsfähig ist das halt nicht.

subtext.at: Bleiben wir bei kleinen Initiativen: ist das nicht, auch aus Sicht einer Interessensvertretung, ein Kampf gegen Windmühlen, wenn man Summen vergleicht?

Stefan Haslinger: Wenn ich das Budget als die Windmühle betrachte, dann ja. Das, wo sich der Kampf relativiert, ist, dass klar ist, dass ohne Aufbauarbeit in den Regionen diese Festivals ja auch nie stattgefunden hätten. Ob das ein Ottensheim Open Air ist, oder ein etabliertes Festival – alle haben die Basis gebraucht, um groß zu werden. Und diese Basis bieten oft die Initiativen, gerade in Gemeinden. Gerade, wenn man sich den Wegzug junger Leute hin zu urbanen Gebieten ansieht, sind diese Initiativen oft der letzte Anker in der Region. Diese Relevanz in einem gesamtgesellschaftlichen Konstrukt ist mittlerweile auch in der Kulturwissenschaft angekommen. Ohne Aufbauarbeit funktioniert es nicht.

subtext.at: Die Rahmenbedingungen, die freie Initiativen fordern, sind seit langer Zeit dieselben: ein geringes Budget, die Personalressourcen, ein Platz, um sich zu verwirklichen. Hat im Laufe der Jahre keine Besserung der Situation stattgefunden, oder warum sind die Fragestellungen noch immer dieselben? Haben die Jahre der Interessensvertretung nichts genutzt?

Stefan Haslinger: Wenn ich es ganz selbstkritisch sehen würde, dann wahrscheinlich nicht. Das Ziel der KUPF ist ja ihre Selbstauflösung – dass wir nicht mehr notwendig sind. Das haben wir nicht erreicht. Das Mühsame ist es ja, dass kulturpolitische Interessensvertretung eine Politik der kleinen Schritte ist. Es passieren vor allem kleine Dinge – ob das jetzt Dreijahresförderungen in Linz oder Zweijahresverträge beim Bund sind. Das, was ich spannend finde, ist, dass die Findigkeit der Initiativen, mit dem Prekariat umzugehen, immer größer wird. Es gibt zum Beispiel schon viele Initiativen, die ohne fixes Kulturhaus arbeiten und zu Kulturnomadinnen werden. Die setzen punktuell Aktenze und wandern weiter – und das ist spannend.

subtext.at: Freie Kulturvereine sind also die Vorreiter für andere Bereiche? Stefan Haslinger: Sie sind es, leider und Gott sei Dank. Gott sei Dank deswegen, weil im freien Kulturbereich viele Modelle erprobt wurden, wie es auch in anderen Bereichen angewendet wird. Basisdemokratie etwa. Leider deswegen, weil der Kulturbereich vorlebt, wie man selbstprekarisiert und in Selbstausbeutung lebt. Das hat die neoliberale Theorie übernommen – siehe flexible Arbeitszeiten und örtliche Mobilität. Das muss man kritisieren – es heißt ja nichts anderes als Ausbeutung von Arbeitskraft.

subtext.at: Weiter zur KUPF an sich. Als Interessensvertretung wurde der Innovationstopf jährlich ausgeschrieben, bis er nach der letzten Ausgaben biennal vergeben wird. Die Debatte darüber hat sicher das größte mediale Echo der und über die KUPF ausgelöst. Im Rückblick – ist das Gefühl vorhanden, dass sich qualtitativ etwas verändert hat, wenn man sich Einreichungen ansieht?

Stefan Haslinger: Das, was ich bezweifle, ist, dass sich etwas an sich geändert hat. Ich glaube eher, dass viele Ideen, die es gegeben hätte, durch den Wegfall der Förderung 2011 einfach nicht realisiert wurden.

subtext.at: Kann man das auch als Senkung der Qualität sehen?

Stefan Haslinger: Ja, schon. Gerade im initiativen Projektbereich haben sicher Projekte nicht stattgefunden, weil ein wichtiger Topf weggefallen ist. Man konnte ja relativ simpel in Bezug auf Bürokratie und mit hoher Transparenz Gelder lukrieren und Ideen umsetzen. Das ist sicher auch eine Steuerungsfunktion – gerade da kann ich mir Themen ansehen, die vielleicht auch in größerem Kontext relevant wären.

subtext.at: Der KUPF ist also ihr „mächtigstes“ Instrument geraubt worden? Hat die KUPF je schon mal überlegt, die Politik selbst anzuprangern, gerade im Hinblick auf diese Debatte?

Stefan Haslinger: Die Überlegung gab es dahingehend, dass der Innovationstopf zweimal kein Thema gehabt hat und alles eingereicht werden konnte, was die Leute beschäftigt hat. Die Frage nach der Qualität ist auf Projektebene schwer zu stellen. Was die Kupf aber macht, ist, und jetzt kommt ein böses Wort, diese Thematik in den Lobbyingverhandlungen ständig zu thematisieren. Das ist ja auch ein großer Widerspruch, Qualität einzufordern, aber keine Definition von Qualität zu haben, wie es etwa beim Land OÖ der Fall ist. Da gibt es formalrechtliche Kriterien und eine ganz grobe inhaltliche Ausrichtung, wie etwa OÖ-Bezug und Regionalvielfalt.

subtext.at: Stichwort inhaltliche Kriterien: Stadtwache-kritische Projekte wurden vor allem von der FPÖ stark angegriffen. Diese sieht sich immer als Bewahrerin der „Volkskultur“. Ist das nicht ein Widerspruch zur vorhin getroffenen Aussage, dass gerade Initiativen Kultur in den Regionen – und damit für das Volk – machen?

Stefan Haslinger: (lacht) Für die FP ist es kein Widerspruch, weil die FP einen anderen Volksbegriff als die KUPF hat.

subtext.at: Nachdem diese Projekte dann nicht gefördert wurden: Wird die Definition der Volkskultur der FP besser angenommen als die der KUPF? Stefan Haslinger: Ja, sicher sogar. Die FP hat einen großen Vorteil – der Mainstream ist heutzutage rechts. Im Rahmen des populistischen Prinzips der FP funktioniert es sehr gut, Volkskultur nicht zu fördern, die Auseinandersetzung sucht. Die von der FP zitierte „Volkskultur“ sucht ja keine Auseinandersetzung. Das ist nicht das, was im Umfeld der KUPF als Volkskultur gesehen wird, weil die per Definition Auseinandersetzung fordern würde.

subtext.at: Die KUPF hat mehr als 130 Vereine als Mitglieder. Hast du das Gefühl du konntest als KUPF-Geschäfsführer bisher allen Forderungen gerecht werden?

Stefan Haslinger: Nein.

subtext.at: Kulturpolitische Interessensvertretung ist also Utopie?

Stefan Haslinger: Utopie im Sinne einer Nichterreichbarkeit nicht. Es ist eher Futurismus. Es ist klar in den Verhandlungen, dass wir sehr lange brauchen, damit sich Themen setzen und etablieren. Das ist vielleicht die Herausforderung in meiner Arbeit, dass man sehr unfokussiert agieren muss. Das Feld ist nämlich zu weit – sei es Gesellschaftspolitik, Sozialpolitik oder anderes. Das spielt alles mit. Allein wenn ich mir unsere Beratungen anschaue – da geht es von Förderungen und Veranstaltungen bis hin zu Arbeits- und Steuerrecht. Die Erwartung an uns ist wirklich: „Ihr wisst das alles.“. Wir sind quasi die eierlegende Wollmilchsau.

Links und Webtipps:

Foto: a_kep

/strong /strong

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.