ELGA – ein österreichisches Phänomen
Dänemark hat sie, Finnland, das in Sachen Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystem gerne als Paradebeispiel gesehen wird, auch. Deutschland und die Schweiz arbeiten an der Umsetzung der elektronischen Gesundheitsakte. Nur in Österreich spießt es sich. Wieder einmal.
So läuft die Ärztekammer, eine der wohl am besten vernetzten und mächtigsten Lobby… erm, Interessensvertretungen, des Landes, derzeit Sturm gegen die geplante Einführung der elektronischen Gesundheitsakte. Im Konkreten fordert sie fünf Punkte:
1. die freiwillige Teilnahme der Patienten
Die Ärztekammer schreibt, auf der von ihr betriebenen Homepage www.elgainfo.at, „Ärzte und Patienten sollen sich freiwillig für die Teilnahme am elektronischen Gesundheitsakt entscheiden können („Opt-in“ statt „Opt-out“).“. Abgesehen davon, dass eine Op-In-Version das zugrunde liegende Konzept einer kompletten elektronischen Gesundheitsakte ad absurdum führen würde – was bringt bitte eine komplette Gesundheitsakte, wenn nur ein Bruchteil der Bevölkerung erfasst wird – wird hier dem Patienten die Wahlfreiheit suggeriert. Gerade aber für Ärzte müsste es doch von größtem Interesse sein, die komplette Befundhistorie der Patienten zu sehen, um die Diagnose und den Therapieverlauf beurteilen zu können. Zudem gestalten sich heute Befundanforderungen in der Praxis mehr als schwierig – sowohl zwischen Haus- und Fachärzten, sowie auch zwischen Krankenhäusern. Zwischen Spitälern müssen Befunde oft noch gefaxt werden – in der Kommunikationswelt des 21. Jahrhunderts ein fast schon antikes Phänomen.
2. Ärztliche Verschwiegenheit und Datenschutz gewährleisten
Hier wird wieder mal mit dem Sicherheitsargument gekontert. Niemand wisse, „wie sicher“ das neue System sei, und Fremde könnten sich ja illegal Zugriff auf die Daten versichern. Stimmt, ja. Niemand kann sicher sein. Nur hielt sich auch in den letzten Jahren die Zahl der Hackangriffe auf Spitäler in Grenzen – wo man ja auch diese Daten finden könnte. Auch in anderen Ländern, die die elektronische Gesundheitsakte eingeführt haben, halten sich die Probleme in Grenzen. Warum sollte also genau Österreich anders sein?
3. der medizinische Nutzen
Zitat der Ärztekammer: „Ob ein elektronischer Gesundheitsakt den Menschen Vorteile bringt, ist nach internationalen Studien mehr als umstritten. Der derzeitige ELGA-Gesetzesentwurf würde eine Flut von neuen Arbeitsschritten bringen.“. Man möge mich korrigieren, aber meiner Ansicht nach ist es ungleich mehr Aufwand, in einem anderen Krankenhaus nochmals ein – Beispiel – CT zu machen, obwohl das letzte erst vor 2 Wochen, allerdings in Wien, durchgeführt wurde. Ähnlich verhält es sich mit Laborbefunden (obgleich mir hier schon klar ist, dass Laborparameter auch tagesaktuell interessant sein können). Man würde sich auch Arbeitsschritte ersparen, wenn man von Beginn an auf eine komplette Patientenhistorie zurückgreifen könnte (und zwar nicht nur auf bestätigte ICD-Diagnosen, sondern auf alle Schritte des Behandlungsprozesses). Außerdem bleibt die Administration zu einem Großteil in der Praxis nicht am medizinischen, sondern auf anderem Personal (MTDs, Pflege, Hilfsdienste) hängen.
4. Kostenwahrheit schaffen
Hier argumentiert die Kammer mit der prekären Situation im Gesundheitssystem. Stimmt, die Situation ist prekär. Auch die viel gepriesene Spitalsreform führt im Endeffekt nur zu noch größerer Unzufriedenheit beim Personal aufgrund von „Effizienzsteigerungen“ – nur wird die Effizienz dadurch gesteigert, dass sowohl bei Ärzen als auch bei anderen Berufsgruppen eingespart wird (dass letztes Jahr Ärztegehälter in Oberösterreich um im Schnitt 5,5 % gestiegen sind, sei hier aber nur nebenbei erwähnt). Insofern ist die Situation prekär. Gerade hier müsste man aber dann zustimmen, wenn Doppelgleisigkeiten beseitigt werden – etwa die angesprochenen, oft doppelt durchgeführten Untersuchungen.
5. Klärung aller haftungsrechtlichen Fragen
Zitat Ärztekammer: „Im derzeitigen ELGA-Gesetzesentwurf ist z. B. nicht eindeutig geklärt, welche Folgen Behandlungsfehler haben, die passieren, weil dem Arzt Daten fehlten, die der Patient gesperrt hat.“ Stimmt. Uneingeschränkt. Nur muss der Patient sich das selbst überlegen, ob und welche Daten er sperrt. Mit den etwaigen Konsequenzen muss er dann aber auch leben. Mir ist klar, dass das die Haftungsfrage nicht klärt. Dies sollte aber ein lösbares Problem darstellen.
Insgesamt zeigt die Debatte wieder einmal den österreichischen Grundtenor. Getreu dem Motto „Change is not good“ ist alles, was neu ist, prinzipiell schlecht. Die EU, der Euro, die Griechen, die Bauern, die Ausländer – und jetzt die Gesundheitsakte. Andere Länder sind uns hier voraus. Und die elektronische Gesundheitsakte wird kommen. Und in ein paar Jahren wird niemand mehr jammern. Darauf traue ich mich fast wetten.