INCUBUS: „Musik als Ausdrucksform – gibt es etwas Schöneres?“
Alternative Rock, Funk, Crossover, Pop: Die Felder, die Incubus seit jeher beackern, sind enorm und vielfältig. Da geht zusammen, was für gewöhnlich nicht zusammen gehört. Die Formation aus Calabasas hat über die Jahre Mittel und Wege gefunden, um Einflüsse und Fähigkeiten gekonnt zu bündeln. Nach fünf Jahren an gegönnter Auszeit, in der die fünf Musiker um Sänger Brandon Boyd die Zeit nutzten, um persönliche Dinge in Angriff zu nehmen, das eigene Ich auszuleben und sich um Persönliches zu kümmern, ist es wieder Zeit für das Mutterschiff.
„Trust Fall“ heißt die aktuelle Veröffentlichung. Eine EP, vier Songs, kein vollkommenes Album. Man wolle kürzere Wege in Angriff nehmen. Unmittelbarer die Musik an die Leute bringen. Nicht immer so ellenlang warten, bis Platte von Band, Produzenten und Label abgesegnet ist. Incubus gehen mit der Zeit und haben die Gewohnheiten der Generation Spotify im Auge.
„Ja, jeder will Brandon, nur wollen sie mir ihn nicht geben, wie blöd auch das klingt“ klagte und witzelte die Promoterin im Vorfeld. Mike Einziger (Gitarre) und José Pasillas (Schlagzeug) übernehmen das Ruder, stellen sich den Fragen und teilen sich für die Journalisten auf. Ein Interview über Zuversicht und Vertrauen, Silberstreifen am Horizont und schlechte Gewohnheiten.
subtext.at: José, ihr habt eure vor kurzem erschienene EP „Trust Fall“ genannt. Ist das Vertrauen in die Fähigkeiten der Gruppe nach wie vor intakt nach all den Jahren?
José Pasillas: Ich glaube schon, dass man diese Frage ruhig bejahen kann (lacht). Wir haben darauf vertraut, dass es Zeit ist, neue Musik zu schreiben, eine neue Platte herauszubringen. Die Umstände waren nicht wirklich geplant, wir sind einfach kopfüber in das Abenteuer gesprungen. Der Song „Trust Fall“ war einer der ersten, den wir geschrieben haben. Es schien, als würde es Sinn machen, die EP so zu benennen. (überlegt) Weißt du, im Grunde kann es auch ein generelles Gefühl widerspiegeln. Für jeden von uns. Wir haben diese Perspektive diesmal im Blick gehabt, dass wir uns wieder annähern, uns vertrauen. Du bist dir dessen bewusst, dass du dabei sehr verletzlich und verwundbar ist. Wir haben unser Herzblut hineingesteckt und dabei das Vertrauen gehabt, dass die Luft bei Incubus noch lange nicht raus ist. Es hat Sinn gemacht.
subtext.at: Wem soll man vertrauen, wie viel soll man sich gegenüber einem anderen Menschen öffnen, wann sollte man lieber kein Vertrauen haben und so weiter, sind alles Fragen, die jeden von uns betreffen.
José Pasillas: Genau, ganz allgemein formuliert.
subtext.at: Gab es dennoch Bedenken, sich diesmal musikalisch wie persönlich fallen zu lassen?
José Pasillas: Vertrauen ist enorm wichtig bei Incubus. Klar, auch bei uns gibt es unterschiedliche Meinungen und Standpunkte. Es ist nicht immer leicht, doch wir haben uns an die Situation angepasst. Wir wissen, wie wir ticken und wie die Fähigkeiten jedes Einzelnen sind. Egal, wie lange du als Gruppe zusammen bist, es ist niemals ein leichter Prozess. Am Ende geht es aber genau darum, was jeder von sich Preis gibt und was letztendlich auf Platte landet. Das Resultat ist am wichtigsten. Wir sind schon ein ziemlich komplizierter Haufen, aber wir werden immer besser darin, die Situation zu meistern (lächelt).
subtext.at: Incubus waren für mich stets eine Album-Band. Jetzt kommt ihr mit einer EP um die Ecke, die lediglich vier Songs enthält. Hat sich eure Sicht auf die Musikwelt nach fünf Jahren Pause verändert?
José Pasillas: (seufzt) Ich fühle derzeit keine Verbundenheit zur aktuellen Musikszene. Noch dazu schließe mich komplett davon aus, wenn wir im Studio sind. Wir möchten fokussiert bleiben. Klar, die Zeiten ändern sich. Aus diesem Grund gibt es eine EP statt einem Album von uns. Ich muss sagen, dass ich persönlich auch nicht zu den Leuten gehöre, die sich ein Album vom ersten bis zum elften, zwölften Song anhören. Musik aufzusplitten und stückchenweise zu veröffentlichen hat den Vorteil, dass sie leichter konsumierbarer ist für das Publikum. Für uns fühlt es sich frischer an, Musik zu schreiben und sie dann unmittelbar herauszubringen. Wir können auf diese Weise auf Tour gehen, spielen und müssen nicht noch ein Jahr warten, bis das komplette Album fertig ist. Es hält uns auf Trab. Aufnehmen, proben, auf Tour gehen und wieder retour, in kürzeren Abständen. Jetzt, nach acht Monaten kann ich wirklich behaupten, dass wir wie eine gut geölte Maschine funktionieren. Klar, dieser Schritt ist etwas Neues für uns aber ich denke, es zahlt sich am Ende aus.
subtext.at: Habt ihr diesmal etwas versucht oder getan im Studio, was ihr in den Form noch nie davor getan habt?
José Pasillas: Wie versuchen eigentlich immer, neue Dinge auszuprobieren – wohlgemerkt Dinge, die für uns als Band neu sind. Wir sind eigentlich ganz gut darin, unsere Grenzen auszuweiten. In unserem Fall ist das ein konstanter Zustand. Jetzt ist es bei uns auch so, dass wir keine Deadline haben. Wir haben unser Studio, wir können aufnehmen, schreiben, produzieren, bis wir soweit sind und dazwischen sogar auf Tour gehen. Für uns ist das total neu. Normalerweise erscheint ein Incubus-Album und wir gehen dann für 18 Monate auf Tour ohne große Unterbrechung.
subtext.at: „Trust Fall (Side A)“ enthält auch vier Songs, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Habt ihr sie bewusst auf diese Weise zusammengestellt?
José Pasillas: Es liegt einfach in unserer Natur. Unsere Alben hatten stets Songs, die sehr unterschiedlich waren. Erst wenn du sie als großes Ganzes betrachtest, waren sie wie eine Einheit. Unsere Alben sind auch unterschiedlich, doch wenn ich den Backkatalog als Einheit betrachte – ein großes Ganzes. Wir denken nicht in Schubladen und wir versuchen immer, neue Dinge auszuprobieren und in unser Klangbild einzufügen. Ich denke, dass wir auch auf „Trust Fall“ einen guten Job erledigen.
subtext.at: Kannst du schon einen Ausblick geben, was „Trust Fall (Side B)“ enthalten wird, wie sie klingen wird?
José Pasillas: Nun, wir haben mit der Arbeit an der zweiten Hälfte schon begonnen. Im Moment kann ich sagen, dass es mehr in Richtung Downtempo gehen wird. Wir drosseln die Geschwindigkeit. (überlegt) Die erste EP zeigt uns angriffslustiger, mit Songs wie „Absolution Calling“ oder „Trust Fall“. Wir wollen schauen, welche Extreme wir weiter ausloten können mit der zweiten EP.
subtext.at: Hört sich für mich nach Yin und Yang an. Oder nach den berühmten zwei Seiten einer Medaille.
José Pasillas: Ja, genau. Keine Ahnung, wie das Resultat am Ende aussehen wird, aber wie gesagt, drei, vier Songs haben wir, die in diese Richtung gehen. Es sieht gut aus (lacht)!
subtext.at: Euer Set enthält Material aus nahezu allen Dekaden eurer Karriere. Hat sich die Bedeutung mancher Songs für euch über die Zeit verändert?
José Pasillas: Ich glaube schon, ja. (überlegt) Für mich ist es schwer, mich mit den Songs zu identifizieren, die inzwischen achtzehn Jahre zurückliegen. Damals waren wir noch Teenager, Anfang 20 vielleicht. Ich bereue nichts und zu unseren Alben habe ich eigentlich schon noch einen Draht. Klar, es ist eine Herausforderung, Songs nach all der Zeit am Leben zu halten. Deswegen ändern wir hier und da ein paar Details, wenn wir sie spielen.
subtext.at: Ich finde es lobenswert, dass ihr das macht. Hier ein Intro, wo eigentlich keines ist, dort ein Outro oder ein Cover einbauen, um das Ganze spannend zu halten.
José Pasillas: Wir machen schon einen guten Job, was das angeht. Jede Nacht, egal, ob ich Songs zum hundertsten Mal live spiele – es ist immer noch eine Herausforderung. Ich gebe mein Bestes, versuche andere Fills zu spielen, kleine Dinge, um das Material attraktiv zu halten. Es macht Spaß, wenn wir das Set zusammenstellen. Wir möchten auch, dass sich die Leute wohl fühlen und eine Verbindung zu uns als Band spüren.
subtext.at: Macht es Dinge verständlicher und klarer, die einem im Leben widerfahren, wenn man über sie schreibt?
José Pasillas: (überlegt) Brandon schreibt ja die ganzen Texte. Aus diesem Grund denke ich, dass dieser Prozess besonders bei ihm oder gerade bei ihm wichtig ist, diese Katharsis. Aus meiner Sicht kann ich sagen, es nützt einem sehr beim Reflektieren. Egal, was ich zu der Zeit durchmache, es fließt mit ein. Das ist unglaublich erleichternd, gesund und auch produktiv. Musik als Zuflucht, als Art der Verarbeitung. Musik als Ausdrucksform – gibt es etwas Schöneres? Es hilft einem, weiterzukommen. Ich hinterfrage auch nicht alles, was dabei passiert. Eine sehr positive Form, um mit den Dingen im Leben klarzukommen.
subtext.at: Letztes Jahr habe ich zu Brandon gesagt, dass eure Musik über die Jahre stets ein positives und bejahendes Gefühl bei mir hinterlassen hat, egal, welche Themen ihr gerade bearbeitet habt. Das möchte ich dir jetzt auch sagen.
José Pasillas: Brandon hat halt diese Art, egal, wie er sich fühlt oder wie schwierig und düster die jeweilige Situation aussieht, er hat den Silberstreifen am Horizont dennoch im Blickfeld. Bei Herzensangelegenheiten ist das Licht am Ende des Tunnels stets vorhanden. Das löst in mir auch ein wohliges Gefühl aus, da geht es mir nicht anders wie dir, wenn ich unsere Musik höre.
subtext.at: Zum Schluss würde ich dir gerne noch persönliche Angewohnheiten entlocken, die jedes Incubus-Mitglied so an den Tag legt, inklusive dir.
José Pasillas: Let’s see (überlegt lange). Mike hat manchmal die Angewohnheit, laut zu kauen, was einen zuweilen nerven kann. Ben redet generell zu viel. Brandon riecht immer nach Blumen und Chris, ja, der ist immer high, die ganze Zeit (lacht).
subtext.at: Hast du auch eine Macke, die du hier noch loswerden willst?
José Pasillas: Rülpsen. Aufstoßen. Dafür möchte ich mich auch gleich entschuldigen (lacht).
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Brandon Boyd im subtext.at-Interview (Teil I)
Brandon Boyd im subtext.at-Interview (Teil II)
„Trust Fall (Side A)“-Review