Amon Amarth im Gasometer Wien
Wikinger! Groß, stark, männlich! Der Traum eines jeden Mannes und sämtlicher Frauen. AMON AMARTH sind pure Wikinger und noch dazu gute Musiker. Außerdem haben sie TESTAMENT und GRAND MAGUS im Schlepptau – ein Traumpaket also.
Aber bevor an diesem Dienstag Abend im Gasometer Wien die skandinavische Härte sogar den anwesenden Kindern Bärte bis zum Bauchnabel sprießen lässt, schrauben noch zwei erstklassige Einheizer die Zimmertemperatur und Herzfrequenzen gehörig nach oben.
Grand Magus
Nummer eins: GRAND MAGUS aus Schweden. Die Landsmänner von AMON AMARTH überzeugen mit klassischem und dennoch modernen Heavy Metal und noch viel klassischeren Posen: 1) Mit dem Finger ins Publikum zeigen! 2) Wohlwollend die Unterlippe vorschieben! 3) Die Hand zur Faust ballen und den Bizeps präsentieren! 4) Wiederholen! Das Testosteron fließt in Strömen. In der dritten Reihe hat sogar die Hello Kitty Smartphonehülle eines 16jährigen Mädls einen Vollbart entwickelt. Auf der Bühne wird währenddessen von Stahl gesungen. Und von Eisen. Und von noch mehr Stahl, welcher gegen noch ganz viel mehr Stahl kracht.
Ebenjener Track, „Steel Versus Steel“ vom Silberling „Triumph & Power“ ist DER Ohrwurm der GRAND MAGNUS‘schen Setlist und der vorzeitige Höhepunkt ihres Auftritts. Doch stoppen lassen sich JB Christoffersson, Mats Skinner und Ludwig Witt erst, als sämtliche Metalle des Periodensystems und deren Legierungen besungen wurden. Auf der britischen Insel hört man plötzlich Rob Halford beim Ledermantelpolieren andächtig keuchen, während jenseits des Atlantiks MANOWAR einem Drachen im Namen von GRAND MAGUS zwanzig Jungfrauen opfen. Drache und Jungfrauen haben – so wie der Ledermantel von Mr. Halford – ebenfalls spontan Vollbärte entwickelt, zeigen Richtung Wien und ballen bei angespannten Bizepsen die Fäuste.
Testament
Weniger bärtig aber dafür um einiges thrashiger geht es im Anschluss bei der Legende des Genres, TESTAMENT, weiter. Und eigentlich ist es ja schon pervers, dass gerade TESTAMENT hier „nur“ als Vorband herhalten müssen. Immerhin liest sich die ehemalige und aktuelle Besetzungsliste wie das Who Is Who des US-amerikanischen Metals. Steve DiGiorgio (DEATH, SADUS, ICED EARTH), Chuck Billy (DUBLIN DEATH PATROL, Beinahe-SEPULTURA), Zetro Souza (EXODUS) und und und. Aber gut, bloß weil jemand alt ist, heißt das ja nicht, dass er besser als alles andere ist. Siehe Fallstudie „Pete Townshend“. TESTAMENT beweisen dennoch, dass hier Thrash der höchsten Gütestufe präsentiert wird und sich Chuck Billy mit Lichtschwertmikro und seinen Hawaran genüsslich durch die Bandgeschichte knüppelt.
Fokus liegt natürlich auf dem neuen Album „Brotherhood of the Snake“, aber mit Songs von „The Legacy“ und „The New Oder“ sind auch ganz ganz alter Hadern dabei. Und moshen zu „Into The Pit“ ist sowieso kaum zu toppen! Nächstes Mal bitte ANTHRAX und TESTAMENT als Co-Headliner.
AMON AMARTH
Dann…. jaaaa dann ist es endlich soweit. Die Streitaxt dürstet nach Blut, der innere Wikinger dürstet nach Met und sauft halt – locationbedingt – das mit 4,10 pro Halbe komplett überteuerte Ottakringer. „Des reidige G‘schloder!“ würde unser Chefredakteur Thorwartl an dieser Stelle einwerfen. Bleibt nur zu hoffen, dass Brüllberserker Johan Hegg ausreichend mit heimischem Met versorgt wird. Das obligatorische Trinkhorn am Gürtel des Sängers sieht dennoch etwas leer aus… Apropos Hörner, da war ja noch was. Ach ja, WER ZUR HÖLLE IST FÜR DIESES BÜHNENDESIGN VERANTWORTLICH? Er oder sie möge sich beim Scharfrichter des Vertrauens einfinden und sich per Blutadler aus dieser Welt leiten lassen. Diese Hinrichtungsmethode wäre lustigerweise historisch eher belegt, als dieser lächerliche Wikingerhelm mit Hörnern, der als zu gleichen Teilen imposanter wie historisch schwachsinniger Drumraiser herhält.
Abseits dieser eher überspitzen Kritik lieferten AMON AMARTH genau das, was man von AMON AMARTH erwartet. Harten, melodischen Death Metal mit Nordmännerthematik, makelloser Publikumsinteraktion und perfekt durchinszenierter Show. Man darf nur zu Odin selbst beten, dass die beiden Roadies, die während des Gigs als plündernde Krieger oder marvellastiger Lokiverschnitt ein nettes Extra sind, für ihre Mühen entsprechend an den Schätzen des Raubzugs beteiligt sind. Fun fact so nebenbei: bei denen waren die Helme natürlich nicht gehörnt – mal abgesehen vom Marvel-Loki. Setlisttechnisch orientiert man sich ebenfalls natürlich am neuen Album namens „Jomsviking“, kramt aber für beispielsweise „Death In Fire“ gaaaaaanz tief in der Alteisenkiste herum. Das gefällt und man vergibt den Jungs auch gerne die ein oder andere historische Patzerei. Und den latenten Kitsch, den man heimlich eh heiß und innig an ihnen liebt.