EMA: „Es fällt schwer, sich erfolgreich zu fühlen“
Das Beste aus dem Schlimmsten machen. Dieses Vorhaben setzt Erika Michelle Anderson alias EMA musikalisch äußerst gekonnt, melodisch wie ruppig in die Tat um. Auf die Amerikanerin aus South Dakota, die zwischen Noise und Industrial hin und her pendelt, konnten sich im letzten Jahr sowohl Fans als auch Kritiker einigen. Erst die Pflicht, dann die Kür.
Inhaltlich analysiert EMA auf dem aktuellen Werk „Exile In The Outher Ring“ die USA unter dem Einfluss der Trump-Führung, durchleuchtet obendrein harsche Themen wie Fremdenhass, Rassismus und Kapitalismus. Die Musik vermittelt einem das Gefühl, als ob man etwas Schweres als Gepäck auf den Schultern trägt und man müsste es herumschleppen. Das ist etwas für Menschen, die ihr Leiden gern unbetäubt ertragen. subtext.at traf die 36-Jährige, die als Support von Depeche Mode auch hierzulande angetreten ist, zum Interview über Politik in der Musikwelt, die Definition von Erfolg und Massenunterhaltung innerhalb der Branche.
subtext.at: Erika, sind deiner Meinung nach Musiker und Songwriter dazu verpflichtet, sich über politische und gesellschaftliche Belange zu äußern?
Erika Michelle Anderson: Ich bin nicht der Meinung, dass es eine Pflicht ist, sich dahingegen äußern zu müssen.
subtext.at: Sollten Künstler demnach zu diesen Themen gar keine Stellung beziehen?
Erika Michelle Anderson: Nein, auch dafür bin ich nicht. Wenn man sich zu politischen und sozialen Themen als Künstler äußern will, dann sollte man das auch tun. (überlegt kurz) Ich wurde viel durch das Tagesgeschehen inspiriert, weil ich viel lese, journalistische Berichte, die Tageszeitungen… Nichtsdestotrotz muss es mir niemand gleich tun. Jeder, wie er möchte.
subtext.at: Wurdest du durch explizite Vorfälle inspiriert, die sich in deiner näheren Umgebung stattgefunden haben?
Erika Michelle Anderson: Ja. Entweder waren es Dinge, die mir persönlich widerfahren sind oder Leuten, die ich kenne, oder es waren Geschichten in den Nachrichten, die mich nicht kalt gelassen haben.
subtext.at: Wie sieht der nächste Schritt aus? Du liest zum Beispiel einen Artikel in der Zeitung und im nächsten Moment setzt du dich hin und schreibst einen Song darüber?
Erika Michelle Anderson: Nein, so funktioniert das nicht (lacht). Bei dem Song „Breathalyzer“ war es zum Beispiel so, dass ich da gerade beim Einkaufen war, als mir die Melodie in den Sinn kam. Ich habe sie dann den ganzen Tag vor mir her gesungen, bis ich nach Hause an meinem Computer konnte, um sie aufzunehmen.
subtext.at: Hast du in deinem Fall manchmal Angst davor, mit deiner Musik und einem Album wie dem aktuellen „Exile In The Outher Ring“ als moralisierend und belehrend wahrgenommen zu werden?
Erika Michelle Anderson: Weißt du, es ist ziemlich schwer zu sagen. (überlegt) Die meisten Ideen und Entwürfe zu den Songs entstanden schon vor vier Jahren. Ich wollte Geschichten erzählen. Geschichten wie „Aryan Nation“, die düster sind. Durch die ganzen Zustände und Situation, die in der Welt passiert und eingetroffen sind, haben die Songs zusätzlich Sprengkraft erhalten. Sie wurden politischer, als sie ohnehin schon sind. Es ist nicht so, dass ich mich hinsetze und mit Absicht einen Protestsong schreibe. Ich werde inspiriert und beeinflusst und das kommt eben dabei raus. Außerdem ist es doch so, dass wenn dein Werk heutzutage als politisch bezeichnet wird, es bestimmt die Verkaufszahlen nicht ankurbelt. Früher vielleicht, als es noch eine starke Punkszene gab zum Beispiel. Heute? Ich weiß nicht.
subtext.at: Gibt es solche Szenen denn generell noch? Ich habe den Einruck, dass alles miteinander verschwimmt, Szenen und Genres, und das schon seit Jahren.
Erika Michelle Anderson: Ich denke auch, dass viel mehr verschwimmt als früher. Die Leute haben einen anderen Zugang zur Musik als früher. Damals wurden Kassetten aufgenommen und im Freundeskreis herumgereicht, um neue, spannende Künstler kennenzulernen.
subtext.at: Die Mixtape-Kultur.
Erika Michelle Anderson: Genau. Ich habe den Eindruck, dass heute sich war die Menschen die Musik anhören, aber nicht unbedingt mit dem Künstler dahinter beschäftigen, mit seiner Geschichte und seiner Historie. (überlegt) Es gibt immer noch eine starke Goth-Szene, was ich mitbekomme. Die Leute sind vom fasziniert vom Lifestyle, nicht nur der Musik, das hat nicht abgenommen.
subtext.at: Künstler, deren einziges Anliegen es ist, die Leute zu unterhalten. Reicht das aus in diesen Zeiten?
Erika Michelle Anderson: Für viele reicht das offensichtlich. Ich bin nicht der Meinung, dass wenn ich politische Themen behandle oder welche, die diskussionswürdig und kompliziert sind, ich am Ende des Tages etwas Besseres bin oder mehr Erfolg habe. Eigentlich ist das sogar die schlechtere Strategie, um erfolgreich zu sein (lacht).
subtext.at: Was bedeutet Erfolg für dich? Wie definierst du ihn?
Erika Michelle Anderson: Das ist schwer und schwierig zu beantworten. (überlegt) Ich kann sagen, dass ich stolz bin auf das, was ich bisher geschaffen habe. Wenn ich mir das aktuelle Album „Exile In The Outher Ring“ ansehe, mag ich die ganze Platte, die Songs, das Artwork. Ich stehe voll dahinter. Ich bin stolz auf das Werk. Wie einigermaßen bekannt sein sollte, hat auch die Musikindustrie mit Umsatzeinbußen zu kämpfen und speziell in Amerika setzen viele Leute Geld mit Erfolg gleich. Es wird als Synonym benutzt. Es fällt schwer, sich erfolgreich zu fühlen.
subtext.at: Wie gehst du damit um, wenn jemand dich und deine Musik in eine bestimmte Schublade stecken möchte?
Erika Michelle Anderson: Da bin ich richtig schlecht, denn ich wusste noch nie konkret, wie ich meine Musik bezeichnen soll. (überlegt lange) Ich finde es in Ordnung, wenn mich die Leute in eine Schublade stecken und sich anschließend mit dem dazugehörigen Ethos, der Ethik der Szene beschäftigen. Das kann jetzt der Do It Yourself-Gedanke sein, der Zusammenhalt einer Community oder was auch immer. Die Leute setzen sich dahingegen auch mit politischen Inhalten auseinander.
subtext.at: Ich habe das Gefühl, dass du mit dieser Schiene ziemlich gut fährst. Du hast viele Einflüsse, doch niemand scheint sich am Ergebnis zu stören.
Erika Michelle Anderson: Ja, stimmt schon. Ich habe den Eindruck, dass ich mir nun eine Art musikalische Visitenkarte zurechtgelegt habe. Als ich bei meinem ersten Album mit Pro-Tools angefangen habe, wusste ich noch nicht, wie das alles zusammenpasst. Ich musste es erst lernen. Jetzt habe ich das Gefühl, dass es wirklich ich bin, die das alles zusammenhält. Ich kann machen, was immer ich will und auch das verwirrt einige Leute (lacht). Du kannst nicht einen Song wie „33 Nihilistic And fFmale“, der einen Industrial-Charakter hat, und „7 Years“ auf ein und dieselbe Setlist geben. „Blood And Chalk“ passt auf nicht auf eine wie „Breathalyzer“. Mir macht das Spaß. Es hält mich auf Trab.
subtext.at: Auch wenn das aktuelle Album in manchen Momenten ruhig und besonnen klingt, fühlt es sich schwer und druckvoll an. War das Absicht?
Erika Michelle Anderson: Musikalisch meinst du oder emotional?
subtext.at: Beides. Manchmal ist es der Text, ein anderes Mal die Musik…
Erika Michelle Anderson: Das kommt wohl vom Mix, der einen analogen Touch hat. Dadurch klingt der Sound dichter. Doch, klar, die Platte ist heavy, doch es gibt auch Momente von Leichtigkeit und spielerische Augenblicke. „Fire Water Air LSD“ beispielsweise. Ein einziger Spaß. Ich habe versucht, eine gute Balance zwischen leicht und schwer hinzukriegen.
subtext.at: Hast du jemals Angst davor gehabt, einen Refrain zu schreiben, der zu eingängig für dein Publikum sein könnte?
Erika Michelle Anderson: Interessante Frage. (überlegt) Ich habe inzwischen ja noch die „Outtakes From Exile“-EP veröffentlicht und darauf gibt es den Song „Dark Shadows“. In der ursprünglichen Version klang mir das alles viel zu einfach (lacht). Die darauf enthaltenen Songs sind wohl etwas eingängiger und einfacher geraten, als man es von mir gewohnt ist. EMA ist offen für alles, obwohl die Ästhetik doch enger umrissen ist.
subtext.at: Wie würdest du denn die EMA-Ästhetik beschreiben?
Erika Michelle Anderson: Jukebox-born but noise damaged (lacht). Ich wuchs in South Dakota auf, ich kenne all die Classic Rock-Songs, die es gibt, plus Motown und das Doo Woop-Zeugs. Später bin ich dann an die Westküste gegangen, wo ich das experimentelle Musik kennengelernt habe. So kam eins zum anderen. Hooks mit ich würde fast sagen amerikanischen Folk-Melodien, gemixt mit melodischer, elektronischer Heavyness.
subtext.at: Du scheinst mir sehr geerdet zu sein als Person. Gibt es trotzdem etwas, was dich aus der Fassung bringt?
Erika Michelle Anderson: Ich weiß nicht. Kannst du die Frage konkretisieren?
subtext.at: Du liest etwas in der Zeitung liest, was dich schockiert…
Erika Michelle Anderson: Ja, solche Phasen gibt es bei mir. Bevor das Album entstanden ist, habe ich wirklich viel gelesen, was in der Weltgeschichte passiert. Jetzt, wo ich auf Tour in Europa bin, komme ich nicht dazu, viel zu lesen. Ich fühle mich dadurch glücklicher, weil ich diese Dinge ausblende und von mir fern halte. Klar, es gibt Sachen, die schwer zu verstehen sind, aber EMA erzählt in erster Linie Geschichten. Persönlich habe ich dennoch den Eindruck, dass die Welt sich immer mehr zerbröselt. Man nehme nur den Brexit. Wo führt das hin, wenn noch andere Länder die EU verlassen möchten? Kann das ein gutes Zeichen sein? Es würde mich auch nicht wundern, wenn sich das Gefüge der USA in zwei Lager teilt. Politisch sind es ja auch schon prekäre Zeiten. Die Menschen scheinen zerstreuter denn je, der Tribalismus ist auf dem Vormarsch. Vielleicht probiere ich es auf dem nächsten Album mit Country, ganz locker und relaxt als Gegenentwurf zum trüben Weltgeschehen (lacht).
subtext.at: Ist Kunst, in welcher Form auch immer, dazu in der Lage, komplexe Sachverhalte vereinfacht darzustellen?
Erika Michelle Anderson: Ganz bestimmt. Komplexe Emotionen können so viel einfacher an die Oberfläche. Zwischenmenschlich läuft das ja nicht immer einfach ab. (überlegt) Ich bin keine, die in Schwarz-Weiß-Kategorien denkt. Wenn sich zwei Leute streiten, dann haben beide recht. Oder unrecht. Über Kunst können solche Sachverhalte vereinfacht ausgedrückt werden – auf emotionaler Ebene. Davon bin ich fest überzeugt.
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Foto: Alessandro Simonetti