Conchita „Für eine Gesellschaft ist es nicht wichtig, ob wir Männer, Frauen oder alles dazwischen sind.“
Teil 2 – Tom Neuwirth alias Conchita hat noch viel vor. Auf Lorbeeren ausruhen? Pustekuchen. Sich in Zukunft nur auf die Musik konzentrieren? So weit kommt’s noch! Es gibt noch einige Felder, die der bald 30-Jährige in den nächsten Jahren in Angriff nehmen möchte.
Im zweiten und letzten Teil des Interviews nimmt Österreichs bekanntester Drag-Export Stellung zu Themen wie Klischees, Parallelwelten und erzählt von Begegnungen mit Größen wie Jean Paul Gaultier und Karl Lagerfeld.
subtext.at: Ich komme auf den Gedanken, dass ein Zuspruch wie nach einem Sieg beim Eurovision Song Contest nicht noch einmal erlebt werden kann und du dir deswegen andere Projekte und Ziele suchst.
Conchita: Ich habe ja auch viele Interessen und ich will viel ausprobieren.
subtext.at: Die da wären?
Conchita: Schauspiel. Setdesign. Modedesign. Fotografie. Drehbuchautor. Was wollte ich noch werden (lacht)?
subtext.at: In den nächsten zehn Jahren hast du allerhand zu tun.
Conchita: Ich hoffe es dauert noch etwas länger (lächelt).
subtext.at: Bemerkst du eigentlich einen Trend zum typisch Maskulinen und typisch Femininen, der in der Popkultur und Moder wieder verstärkt zurückkommt?
Conchita: Das ist j auch nur, weil die Designer dieser Welt sich denken: „Jetzt ist das wieder in!“ Es ist ja ein Zyklus und momentan haben wir ja ein absolutes Nineties-Revival. Wir alle kennen die Sätze von unseren Eltern, dass sie dieses und jenes schon anhatten, als sie 18 waren. Ich bin jetzt auch in der Situation und ich denke mir dann: „Oh, das gab es schon mal.“ It’s history repeating. Ich meine, es gibt Zyklen, die sich immer wiederholen, mal stärker und mal schwächer. (seufzt) Ich versuche immer, mich nicht aus diesen Schubladen zu bedienen.
Dann finde ich es aber wahnsinnig notwendig, weil ich merke, wie wichtig es mir ist, worüber ich mich definiere und das mein Geschlecht mich auch definiert. Für die Gesellschaft ist das nicht wichtig, aber für uns als Individuum schon. Ich muss wissen, wer ich bin, ich bin ständig nach der Suche nach mir. Ich will auf all meine Fragen Antworten finden. Das sind sehr viele (lacht). Für eine Gesellschaft ist es nicht wichtig, ob wir Männer, Frauen oder alles dazwischen sind. Ist vollkommen egal. Es formt keinen Charakter. (überlegt) Worauf wollte ich jetzt hinaus? Das war zumindest eine Teilantwort (lacht).
subtext.at: Sehnen wir uns denn als Gesellschaft nach diesen typischen Rollen, Rollenbildern und Kategorien, weil alles um uns herum so furchtbar kompliziert erscheint im medialen Zeitalter?
Conchita: Das ist natürlich auch ein Grund, weil es ist ja auch anstrengend. (überlegt kurz) Ums Eck zu denken. Sich damit auseinanderzusetzen, weiterzubilden, um alles zu erfassen, was das Leben so hergibt. Natürlich ist es leichter, Schwarz und Weiß zu denken. Da hat man nicht so viel Spielraum.
subtext.at. Wolltest du der Welt früher mehr entfliehen als jetzt? Bist du heute mehr bei dir selbst, mehr in dir verankert?
Conchita: Hm. (denkt lange nach) Ich glaube, dass ich schon immer in meiner eigenen Parallelwelt lebe, aber ich versuche, im Moment schon da zu sein.
subtext.at: Wäre die Welt besser, wenn jeder die Facetten seiner Persönlichkeit konsequent ausleben würde?
Conchita: Absolut. Wie oben gesagt, dazu rate ich jedem.
subtext.at: Gibt es einen Teil von dir, den wir noch nicht kennen?
Conchita: Das werden wir sehen (lächelt). Spätestens nächstes Jahr.
subtext.at: Mal bereut, vernünftig statt intuitiv gehandelt zu haben?
Conchita: (überlegt) Nein. Ich bin zwar sehr selbstkritisch und denke mir immer, dieses und jenes hätte man besser machen können, deswegen schaue ich mir meine eigenen Auftritte auch selten bis nie an, aber in dem Moment, wo ich etwas tue, dann mache ich das aus vollster Überzeugung.
subtext.at: Muss relevante Kunst polarisieren?
Conchita: (denkt lange nach) Denke ich nicht. Wenn Kunst polarisiert, werden vielleicht eher Diskussionen geführt, was an sich gut ist. Ob sie polarisieren muss, um jeden Preis? Eher nicht.
subtext.at: Die Lust an der Angst und die Lust, sie zu überwinden, scheint ein großer Quell für dich zu sein. Dieses Level der Intensität in seinen Alltag zu integrieren stelle ich mir schwierig vor…
Conchita: Ich lebe für die Bühne und diese Augenblicke nehme ich als sehr intensiv war. Da gebe ich alles. Natürlich ist das schwierig, solche Momente im Alltag zu erleben. Ich glaube, ich kann das sehr gut trennen und mir gelingt das trotzdem ganz gut.
subtext.at: Conchita begann als eine Art offensichtlich wandelnder Widerspruch. Suchst du nach weiteren in deinem Alltag? Gibt es Widersprüche, die du in deinem Alltag integrierst?
Conchita: (überlegt lange) Vielleicht, dass Käse und Marmelade gut zusammenpassen (lacht)?
subtext.at: Trainiert man bestimmte Looks, Mimiken, Gesichter vor dem Spiegel, bevor man sie mit der Öffentlichkeit teilt?
Conchita: Eigentlich nicht, denn das habe ich mir alles über die Jahre irgendwie angeeignet. Ich trainiere sie nicht und spiele sie dann, die sind in mir drin.
subtext.at: Erst durch die Angst, abzustürzen, gab dir die Möglichkeit, als Phoenix hinaufzusteigen. Würdest du dem zustimmen?
Conchita: Natürlich schwingt die Angst immer mit. Wird man sein Publikum erreichen? Nimmt man es mit emotional? Manchmal ist man wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort, was ich bei meinem ESC-Auftritt so verbuchen würde.
subtext.at: Will man durch diese Intensität, die man sich sucht und holt als Künstler, das Leben spüren, weil man sich sonst seltsam verloren fühlt?
Conchita: Kann man so sagen, ja. Das sind halt wahnsinnig intensive Momente, die selten so in der Form zu spüren sind. Wie eine Droge (lacht).
subtext.at: Dieser Zwang, dass alles immer ununterbrochen weitergehen muss, ist ja ein Zeichen unserer Zeit. Bist du von dieser Bindung ausgenommen oder auch ein Teil davon?
Conchita: Das kenne ich auch. Ich versuche trotzdem, dagegen zu steuern und nicht alles allzu schnell rauszuhauen. Bei mir dauert es immer ein wenig. Ich bin aber auch wahnsinnig selbstkritisch wie bereits erwähnt.
subtext.at: Zum Schluss noch eine Stichwörter, zu denen du bitte sagst, was dir im Moment gerade einfällt. Jean Paul Gaultier ist das erste Stichwort.
Conchita: Das konnte ich gar nicht fassen, als ich diese E-Mail bekommen habe. Das war unglaublich für mich. Definitiv ein Erlebnis, bei einer seiner Modenschauen live dabei zu sein.
subtext.at: Karl Lagerfeld.
Conchita: (grinst) Um Lagerfeld wird viel Wirbel gemacht, was eher an seiner Crew und seinen Mitarbeitern liegt. Er selbst ist ziemlich locker. Und auch etwas frivol (lacht).
subtext.at: Céline Dion.
Conchita: Das war auch ein Erlebnis. Sie ist unglaublich lustig, was man sich vorher nicht vorstellen kann.
subtext.at: James Bond.
Conchita: Mit den Songs werde ich ja unweigerlich in Verbindung gebracht, aber von den Filmen bin ich jetzt kein Fan.
subtext.at: Charts.
Conchita: Sind die noch relevant? (überlegt) Natürlich schaut man darauf, wie es läuft, obwohl man es nicht ausschließlich für die Charts macht. Ich möchte aber noch lange Musik machen und wenn sich meine Musik gut verkauft, dann kann ich das eben noch lange ausüben.
subtext.at: Klischees.
Conchita: Versuche ich zu vermeiden, gelingt mir aber auch nicht immer (lächelt).
subtext.at: Enormere Popularität, Fluch oder Segen?
Conchita: Beides (lacht)? Extrem hilfreich einerseits, andererseits kann es auch komplett ins Gegenteil umschlagen. Ich glaube, ich kriege beides gut unter einen Hut.
Ende Teil 2 des Interviews // zu Teil 1
CONCHITA & Band auf Tour in Österreich
Dec 02 2018 Orpheum, Graz
Dec 03 2018 Posthof, Linz
Dec 04 2018 Szene, Salzburg
Dec 05 2018 Treibhaus, Innsbruck
Dec 08 2018 Halle E im MQ, Wien (BIRTHDAY SPECIAL #Conchita30)
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