Die Toten Hosen am LIDO SOUNDS in Linz
Foto: a_kep

LIDO SOUNDS – Es fühlt sich an wie ein Festival

Nachdem gestern Florence die Bühne als Headlinerin gehörte, dürfen heute die alten weißen Männer ran. Die Toten Hosen gehören zu jedem Festivalsommer in Österreich. Irgendwo spielen sie bestimmt, heuer am LIDO SOUNDS in Linz. Aber den Start des zweiten Festivaltags bestimmen jüngere, weibliche und diverse Acts.

Hitze, Asphalt, Glitzerschminke und Sponsorengeschenke. So schnell kann sich ein ehemaliger Parkplatz mitten in der Stadt wie ein Festivalgelände anfühlen. Hier eine Sonnenbrille, dort ein Hut, und gratis Jellybeans dürfen auch nicht fehlen. Dann ist man ausgerüstet für den Start in den zweiten Tag am LIDO SOUNDS.

Lahra

Fragt man ChatGPT, wer hier auf der Bühne steht, bekommt man folgende Auskunft: Lahra ist eine junge österreichische Musikerin mit serbischen Wurzeln. Sie zeigt sich als talentiertes Nachwuchstalent mit einer Ausnahme-Stimme, die vielseitig einsetzbar ist. Ihre Tracks vermitteln die große Leidenschaft der jungen Sängerin, die wesentlich mehr bietet als spröde Techniken. Ja, kann man so stehen lassen. Sie stellt sich selbst als 20jährige Wienerin vor. Wo sie ihre Inspiration findet, erklärt sie uns auch. Da reicht es, einen toten Frosch auf der Straße zu sehen, und schon entsteht etwas neues. Seit drei Jahren macht sie Musik, und mit What I need und Leave me when I need you spielt sie uns auch zwei neue, noch unreleasde Songs vor. Im dunklen Zelt der Ahoi! Pop Summer Stage kommen auch tagsüber Festivalvibes auf, und ein paar hundert Leute feiern mit.

aymz

Linz soll ja ein Fucking Kaff sein, stellen AYMZ anfangs fest. Das haben sie wo gehört. Ob sie auch der Meinung sind, haben sie uns aber nicht verraten. In der ersten Reihe der LIDO SOUNDS Main Stage haben sich schon von Anfang an die Fans der Toten Hosen breit gemacht. Viele davon mindestens doppelt so alt wie AYMZ. Die wollen wohl hier bis 21:10 ausharren und ihren Platz verteidigen. Mit klaren Ansagen hat AYMZ kein Problem. Als non-binary Artist wird auch auf die Pride Parade aufmerksam gemacht, die heut in Wien stattfindet. Was 1969 im Stonewall-Inn in New York begann, ist noch immer eine Riot und keine Party, sagen sie. Und der Kampf ist noch nicht vorbei. Dafür wird in Linz gefeiert.

Cloudy June

Mit einem lauten Statement-Intro betraten die jungen Musiker:innen hinter der Berlinerin Cloudy June die Bühne. Von Minute eins an versprühte die Sängerin Energie und Selbstbewusstsein, die sie durch ihre Bewegungen, ihr Spiel mit Publikum und Kamera zum Ausdruck brachte. Cloudy Junes soulige Stimme hält selbst Sprüngen und verführerischen Dancemoves problemlos statt.

Seit sie 2020 auf TikTok begann, ihre Musik mit der Welt zu teilen, hat Cloudy schon viel erreicht. Mit ihrer drei Monate alten EP „Unthinkable“ tourte sie im Frühling durch Deutschland und Umgebung. Sogar in LA durfte die 24-jährige schon auftreten! Das Rad neu erfunden hat Cloudy Junes mit ihren Songs über Beziehungen, Feminismus und Queerness zwar nicht, die Themen können aber selbst 2023 nicht oft genug thematisiert werden. Ihre Songs „Does Your Girlfriend Know“, „Devil Is A Woman“ und „FU In My Head“ kommen jedenfalls bei einem breiten Publikum ausgezeichnet an.

Sir Chloe

Die Nachmittagssonne brennt gnadenlos vom Himmel, Wasser ist heiß begehrte Ware. Ein kleines Wölkchen, das sich vor die Sonne schiebt, bringt kollektives Aufatmen über die Festivalgeher:innen. Tapfer spielen die Musiker:innen von Sir Chloe ihr kurzes, aber rockiges Set. Zu 100% konnten sie die motivierten Hosen-Fans, die schon Stunden vorher den Wavebreaker belagerten, trotzdem nicht mitreißen. Obwohl Sängerin Dana Foot beteurete, „We’re having a good time!”, stand sie im Gegensatz zu ihren Bandkolleg:innen eher statisch auf der Bühne. Von einer ausgelassenen Stimmung kann – sei es wegen der Hitze oder der fehlenden Motivation – nicht gesprochen werden.

Musikalisch war die Leistung der aus Conneticut stammenden Band solide, die stimmlich anspruchsvollen Gesangslinien aber nicht immer so leicht zu verstehen. Beim letzten Song kam etwas mehr Leben in die Sängerin und die Zuhörenden. Das zeigte, dass eigentlich mehr Euphorie und Sympathie in ihr schlummern, was anfangs nicht immer zu erahnen war!

Majan

„He wer spielt da eigentlich? Keine Ahnung, wurscht, schau ma rein“. Und so bewegt sich die Menge wieder ins Zelt. Da, wo jetzt eigentlich Fil Bo Riva auf der Bühne stehen sollte, ist Majan eingesprungen. Guter Sound, klingt nacht Berlin. Deutschrap eben. Der junge Stuttgarter ist in den letzten vier Jahren richtig groß geworden. Eine Single mit Cro, eine Tour mit Max Herre. Aber sein Repertoire ist viel breiter geworden. Balladen, Stücke am Klavier, Pop – da ist alles dabei. Und das Publikum singt mit.

Beatsteaks

Hello, Hello Joe. Kleiner geben wir’s nicht. Zum Anfang bringen die Beatsteaks gleich einen Hit aus 2004. Und die Menge stimmt ein. Arnim steht vorne, mit seinem Bucket Hat und dem Retro-Bandshirt, und vereint die Fans der ersten Stunde mit den Gen-Z Kids. In der Mode kommt eben alles wieder. Einziger Unterschied: Sein Bucket Hat ist mittlerweile von Ralph Lauren. Aber seit wann haben die Berliner Musiker auch deutsche Texte? Von nun an geht’s bergab, schon beim dritten Song. Denn das Publikum singt beim Refrain einfach nicht mit. Dann lieber Jane became insane. Denn die alten Klassiker funktionieren deutlich besser und bei Schalalala sind alle wieder mit dabei.

Trotz des Nachmittags-Slots ist der Wavebreaker gut gefüllt und wenn die Sonne rauskommt wird’s auch richtig heiß vor der Bühne. Da zahlt es sich schon aus, im Schatten eines Baumes zu stehen. Also einem, der stehen bleiben durfte. But I don’t care as long as you sing. Nach Hand in Hand fragt Arnim „Habt ihr Bock auf wild?“. Kleine Moshpits, Stagediving und wildes Herumhüpfen inklusive. Dann sollen sich alle hinhocken, um auf Kommando gemeinsam hochzuspringen. Das haben die Beatsteaks angeblich vor 35 Jahren in der Arena Wien erfunden. Zum Abschluss rät uns Arnim, die Handys wegzuschmeißen. Wir sollen uns von der Scheiße befreien und mit ihm in die Donau springen. Als ob das so einfach wäre. Das Gelände des LIDO SOUNDS ist zum Wasser hin gut abgesperrt.

OK KID

Dass sich Sänger Jonas Schubert gleich bei der ersten Line versungen hat, schien niemanden im Publikum weiter zu stören. Denn OK Kid legten ab Sekunde eins eine Show hin, die alle mitriss und die die Zeltwände zum Tropfen brachte. Mit Hits aus dem aktuellen Album („Frühling“, „Es regnet Hirn“, „Cold Brew“…) und ein paar älteren Ausreißern wurde die Menge aufgeheizt. OK Kid haben es sich zum Auftrag gemacht, mit ihrer Musik politische Statements zu setzen („Gute Menschen“) und auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen – und stellen sich dabei offen auf die linke Seite der Macht! Die Hessen können aber mit Songs wie „Grundlos“ genauso einfach Lebensfreude versprühen. Trotz tropischen Temperaturen steckte die Band mit ihrer Energie das zum Bersten volle Zelt zum lautstarken Mitsingen und Mittanzen animieren. Da stört auch ein kleiner Kabelsalat nicht weiter.

Auch nach 10 Jahren gehen OK Kid – zum Glück – noch lange keinem Ende zu! Im April gibt es weiter Konzerte in Wien und Graz. Auch ein neuer Song war mit im Gepäck. „Die Kids sind alright“ soll nach der kräftezehrenden Coronazeit wieder motivieren. Hot in jeder Hinsicht und immer wieder ein innerliches Blumenpflücken. In der Sauna. Mit grandioser Musik und bewegenden Texten.

SDP

Die Fans von OK Kid waren dankbar, dass sich durch den Start von SDP auf der Main Stage mehr Platz zum Tanzen entstand. Mit Songs wie „So schön kaputt“, „Echte Freunde“ oder „Wenn ich groß bin“ sind SDP schon seit Jahren konstant am Himmel der Deutschpop/-rap-Bühnen vertreten. Man merkt, dass es den mittlerweile selber mittelalten weißen Männern ein Anliegen ist, das Publikum zu überzeugen und eine Show zu bieten. Leider gelingt das bei nicht eingefleischten Fans nur bedingt. Die aufgesetzte, einstudierte Schauspielperformance wirkt von außen leider aufgesetzt. Auch die Covers und Anspielungen auf Die Toten Hosen, Queen oder Backstreet Boys sind zwar ganz gut gemacht, aber eher zum Belächeln.

„Millionen Liebeslieder“ oder „Ich will nur, dass du weißt“ zeigen allerdings erstaunlich oft eine vom Erscheinungsbild her unerwartet kuschelige und sympathische Seite der tätowierten, sonst so coolen Jungs. Langjährige Fans konnte das Duo überzeugen, wir schauten nach ein paar Nummern aber lieber weiter zum vielversprechenden nächsten Act.

GroßStadtgeflüster

Trotz zwei Kniestrümpfen weiß Frontfrau Jen definitiv noch immer, wie man Feuer macht – auch nach 20-jährigem Bestehen!  Spätestens bei „Ich boykottiere dich“ war die Party in vollem Gange, und das Zelt wieder mindestens so heiß wie bei OK Kid. Wer die Musik von Großstadtgeflüster privat gerne hört, wird beim Live-Auftritt beeindruckt mit noch mehr Energie, noch mehr Bass und tanzbaren Beats. Und auch den exklusiven sexy Outfit Change à la Beyoncé bekommt man nur auf der Bühne.

Eine brandaktuelle Info:  Ende Juni releasen Großstadtgeflüster das erste neue Lied seit 2019. Und damit auch gleich eine Tour, auf die sie ein ganzes neues Album mitnehmen. „Fickt-Euch-Allee“, „Ich muss gar nichts“ und „Feierabend“ sind schwer zu toppen, wir sind sehr gespannt, was da noch kommt!

Wanda

Fangen wir mir viel Amore an, denn gleich zu Beginn gehts nach Bologna. Genau das eine Lied aus 2014, bei dem ich verlässlich immer das Radio abgedreht hab. Und es noch immer tun würde. Es ist, wie viele Lieder von Wanda, ein Ohrwurm. Und nichts ist schlimmer als ein Ohrwurm von einem Lied das einen nervt. Ja, ich hab ein ambivalentes Verhältnis zur dieser Band aus Wien. Die Songs sind eingängig, Pop mit guter Rock-Attitüde und viel Rampensau-Gehabe von Marco Wanda. Es funktioniert, sie füllen Stadien und auch die Stage beim LIDO SOUNDS. Aber für mich funktioniert es irgendwie nicht. Irgendwas wirkt zu gekünstelt, aufgesetzt. Mehr Ö3 als FM4.

Doch Marco Wanda gibt ihn gut, den Rockstar mit dem Look des Versicherungsvertreters, der seinen Jugendtraum auf der großen Bühne ausleben kann. Und auch sowas brauchen wir in Österreich. Sogar noch mehr davon. Die Leute feiern mit. Beim Stagediven wird er von einem sehr enthusiastischen Fan abgeknutscht. Das war mindestens mit Zunge. Und wer knutscht ist fix zam, oder? Danach verteilt er Stiegl Bier, das gibt’s wohl nur Backstage. Damit kommt er natürlich auch gut an, denn das Gelände ist fix in Hand von Zipfer und Brauunion. Auch die Zwischenansagen sind überraschend ehrlich: „Blablabla ihr seids so geil Blablabla“. Ja, mehr gibt’s für mich dazu ned zu sagen. Bussi und baba, Schatzi.

JUJU

Zitat „schon ein bisschen betrunken“ begrüßte Juju die begeisterte, hauptsächlich weibliche Menge der Festivalbesucher:innen, die nicht in der Schlange vor dem Wavebreaker auf die Toten Hosen warteten. Bekannt als Teil des Duos SXTN hat sich die Berlinerin in letzter Zeit auch als Solo-Act einen Namen gemacht. Als Feature von Capital Bra und mit ihrem Nummer-Eins-Hit „Vermissen“ mit Henning May besiegelte sie ihren Solo-Erfolg. Trotzdem finden die „alten“ Nummern vom SXTN nach wie vor Platz auf der Bühne und werden auch von der textsicheren Crowd gefeiert. Apropos textsicher: Den Song „Intro“ durfte ein Fan namens Vanessa in beeindruckendem Tempo mit Juju performen.

Mit ihrer Musik verarbeitet Juju ihre Gefühle und macht unverblümt ihrem Ärger über vergangene Liebe, Väterbeziehungen und Geschlechterungerechtigkeiten Luft. Überraschend aber durchaus passend waren die Feuershow und mehrere Moshpits, die die Feierlaune der Zuhörer:innen noch verstärkten. Beeindruckend war auch Background-Sängerin und Rapperin AYLO, die in einer kurzen Pause das Mikro übernahm. Ihre Stimme kann sich genauso hören lassen, und sie leistete als Stimmungskanone ganze Arbeit! Die lauten Zugabe-Rufe sprachen für sich, Juju macht mit ihrer Confidence, Sympathie und vieles richtig und hat positiv überrascht. Ein gebührender Abschluss für die Ahoi! Pop Summer Stage am LIDO SOUNDS!

Die Toten Hosen

Bis zum bitteren Ende, das steht auf den Flaggen, die langsam auf der Bühne gehisst werden. Auf den Videowalls beginnt sowas wie ein Italowestern. Und dann reiten sie ein, episch. Gleich von Beginn an kann die Bühne auch ihr volles technisches Potenzial zeigen. Grafiken, Videos und Livebilder verschmelzen zu einer gut einstudierten Rockshow. Man hat das ganze ja auch schon ein paar Jahre geübt. Der Sound? Im Wavebraker fast schwer zu beurteilen, so laut singen die Fans am LIDO SOUNDS mit. Sie haben auch seit Mittag hier gewartet und ihre ganz großen Flaggen mitgebracht. Manchen wird das schnell zu wild und sie ziehen sich schon nach drei Songs in den hinteren Bereich zurück. Campino begrüßt auch besonders die Leute auf den Balkonen. Wären sie jetzt daheim in Deutschland, würden sie im Wohnzimmer sitzen und eine Beschwerde ans Ordnungsamt schreiben. Was für ein Alman move.

Die Ansagen, sie sitzen. Jeder wird mal erwähnt. Jetzt sollen die, die frisch Matura haben, mitsingen. Man hört jetzt nicht allzu viel aus dem Publikum. Aber die Fans, mehrere Generationen vereint, haben sich das Konzert verdient. Wann haben die Hosen denn schon mal in Linz gespielt? Dass muss wohl ewig her sein. Nach 30 Jahren sind sie zurück, erzählt Campino. Damals haben sie im Posthof Backstage gefeiert, mit Eiern geworfen und alles ein bisschen verwüstet. Dafür haben sie Hausverbot bekommen. Linz kann schon nachtragend sein. Die selbe Geschichte hatte er aber auch schon beim Konzert in der Tips-Arena 2019 erzählt.

Aber die Hosen sind es nicht. Gespielt werden heute alle Klassiker der letzten Jahrzehnte, gemischt mit Songs, die merkbar nur den wirklichen Fans geläufig sind. Auch auf der anderen Seite der Donau wird gefeiert. Aber nicht nur, weil da schon die Afterparty im Brucknerhaus bald startet. Bei heute warmen regenfreiem Wetter sind nochmal einige Tausend Leute auf der Donaulände und genießen das Konzert kostenlos. Da ist für jeden was dabei.

Afterparty

Nach der Party ist vor der Party. Darum gehts nach den Hosen gleich im Brucknerhaus weiter. Dafür kam extra Thees Uhlmann nach Linz, und nimmt natürlich Campino und Arnim mit auf die Bühne. Angeblich.. wir werden es sehen. Denn schon seit dem frühen Nachmittag macht dieses Gerücht am LIDO SOUNDS seine Runden.

Für ihn ist Österreich ja das Californien Niedersachsens, meint Thees. Muss man nicht verstehen, war aber bestimmt lieb gemeint. Seine Story vom Schmusen in der KAPU hat er natürlich auch erzählt, gleich nacht dem zweiten Song. Von damals, irgendwann im letzten Jahrtausend. Und jedes Mal, wenn er in Linz ist, erzählt er davon. War wohl beeindruckend, diese Marie.

Text: Andreas Kepplinger (links), Dorinda Winkler (rechts)
Fotos: Lisa Leeb, Christoph Leeb


LIDO SOUND 2023

LIDO Sounds

16.-18. Juni 2023
lidosounds.com

photographer, designer, journalist