Apache 207 am LIDO SOUNS
Foto: Christoph Leeb

LIDO SOUNDS – Feuer & Hitze

Der letzte und heißeste Tag des Lido Sounds stand vor der Tür. Das hieß für alle Anwesenden: Reserven aktivieren und nochmal alles geben. Mit dabei, die Top Acts aus dem deutschsprachigen Raum. Von Peter Fox bis zu Apache 207 und Cro, aber auch international stand einiges am Programm. Sehr gute Bedingungen für einen perfekten Abschluss. 

Das warme Wetter entschleunigte das Lido Sounds, der Andrang war kleiner und die Schlangen kürzer, auch weil viele schon ihr Bändchen hatten. In unseren Augen etwas Positives. Die Besucher/innen wirkten weniger gestresst und das führte zu einer gemütlicheren Mittagsstimmung. Obwohl es zwar nicht mal einen Campingplatz gab, schienen doch Einige schon am Ende zu sein – nichts anderes zu erwarten bei drei Tagen feiern. Viele Möglichkeiten der prallen Sonne zu entkommen waren leider nicht gegeben, aber der Mensch ist einfallsreich. Bei ein paar Personen kickte der Überlebensinstinkt und um Stand zu halten, wurden T-Shirt und Kappen nass gemacht, wobei hier die gratis Wasserstellen essenziell wurden. Dem letzten Tag stand nichts mehr im Weg.

Apollo Sissi

So shady & schön steht er vorne und ruft laut Morgen in die Menge. Schon um kurz nach 10 Uhr saßen die ersten Fans am Eingang des Festivalgeländes in Urfahr, um endlich rein zu dürfen. Andere Besucher:innen waren überrascht, „oh das ist ja ein Mann“, denn sie haben bei dem Namen etwas anderes erwartet. „Das beste an Wien ist ja der Zug nach Linz“, sagt er. Denn jetzt steht er mal zuhause auf der Bühne, auch wenn er schon lange in Wien wohnt. Dass Apollo Sissi aus dem musikalischen Umfeld von Mavi Phoenix kommt und auch mit Alex the Flipper als Produzenten arbeitet, hört man. Sein Körper sieht aus wie ein Sketchbook, und Musik ist seine Therapie. Dabei kommen sehr schöne Zeilen raus, in wählerischem Linzer Stil mit wienerischer Leichte. Da freuen sich die jungen Fans, und die Mama, die heute zum ersten Mal bei einem seiner Konzerte ist.

Lil Julez

Was man hier auf der Bühne hört, könnte aus Großbritannien kommen. Irgendwann um 2005, oder vielleicht doch aus den 90ern? Eingängig, melodisch, mit Gitarren und und manchmal auch etwas trashig. Man könnte auch Morrissey raushören. Doch dann kommt die erste Ansage von Lil Julez. Nicht London, Leads oder Brighton, nein, er kommt aus Wien. Boomer-Core mit GenZ-Einflüssen nennt er seinen Stil. Anderen nennen es Bedroom-Pop, der Stil an neuer Musik, die während Corona zuhause entstand, weil einfach nichts anderes möglich war. Dafür, dass seine erste Single erst letztes Frühjahr rauskam, sind seine Lieder schon gut bekannt. Nicht nur auf FM4, sondern auch darüber hinaus. Gut, dass am LIDO SOUNDS auch junge österreichische Artists auf der Bühne stehen. Die Musik funktioniert einfach, nicht nur on Air, sondern auch extrem gut on Stage.

Bon Jour

Dritter Act, wieder aus Österreich. Die dreamy Musik wird mit schönen Grafiken unterlegt. Das da ein komplettes visuelles Konzept eines international ausgezeichneten Design- und Illustrationsbüros dahinter steht, sieht man. Da fliegen riesige Avatare über die Screens, denn die Band selbst bleibt lieber anonym. Ihre Musikvideos wie auch die Visuals sind grafisch knallbunt oder auch komplett AI-Generiert. Ihr Live-Debüt hatten sie vor fast einem Jahr als als Vorband von Alt-J in Wien. Und auch hier funktioniert ihr sommerlicher Indie-Pop, denn die Sonne scheint gnadenlos auf den Beton. Die Hitze macht dem Publikum schon merkbar zu schaffen, da wäre etwas Schatten schon toll. Wenn doch hier nur ein Baum stünde.

SALÒ

Eingekleidet in einem Ban Erections T-Shirt, betrat der österreichische Musiker Salò die Zeltbühne. Bereits zum zweiten Mal hatte er die Ehre vor seiner Lieblingsband Viagra Boys aufzutreten. Salò‘s Soundcheck streckte sich dabei leicht in die Show, aber zur Freude der Fans wurde dennoch die ganze Setlist durchgezogen. Diese beinhaltete einzigartige Nummern wie „Geil auf Beton“ und „Ich glaube nicht an Dinosaurier“, welche aus dem neuen Album „Subjektiv betrachtet“ stammen. Performancetechnisch haben wir Salò zwar schon intensiver erlebt, trotzdem lieferte er wieder richtig ab. Auch Karl Nehammer wurde erwähnt, er solle sich bei Salò melden, denn er hätte gern einen Schwiegervater. Teilweise gab es Moshpits, das Publikum schien sehr erfreut, wir auch.

Jeremias

Ja, das Publikum ist heute merkbar jünger. Die Bands auch. Fast wirken Jeremias so, als wär hier eine Boyband zusammengecastet worden. Perfekt gestylt und jeder in seiner Rolle. Der einzige Unterschied? Die können wirklich Musik machen, und das tun sie seit 2018. Nach ihrem Debüt „golden hour“ sind sie jetzt schon mit neuen Songs unterwegs. Aber die Zeile „Doch das einzige, was mich im Nachhinein fickt, ist die neue Platte von Harry Styles“ können dann doch alle mitsingen. „Ist eine Steffi hier?“ fragt Jeremias Heimbach und das Publikum kreischt. „Eine Sabine?“, kreischen. Dann doch vielleicht Julia? Noch mehr kreischen. Denn so heisst das neuste Lied der Hannoveraner Band, die hier beweist, das deutscher Indiepop noch immer bestens funktioniert.

Viagra Boys

Der Wiedererkennungswert dieser Band ist unausgesprochen hoch. Ob volltätowiert mit Sportsonnenbrille, oder ziemlichen kurzen Hosen und Cowboy Hut, diese Band hinterlässt ein Bild im Kopf. Mit Freistädter Märzen in der Hand betrat der Sänger die Zipfer gesponserte Bühne des Lido Sounds. „Relax and get naked“, waren die Worte zum Einstieg. Dann ging es auch schon los mit Songs wie „Ain’t no Thief“ oder „Punk Rock Loser“, beides Songs aus dem letzten Album „Cave World“. Aufmerksamkeit zog auch der Saxofonist auf sich, dieser präsentierte sich mit sympathischem Popo wackeln und frechen Gesten. Der punkige, psychodelische Sound der Viagra Boys schien auch Neuankömmlinge in den Bann zu ziehen und die Crowd tanzte ausgelassen mit der Band. „Dance like it’s 3am not 3pm”, waren die Worte des Sängers. Absolut eines unserer Highlights vom Lido Sounds.

Sleaford Mods

Nach den Viagra Boys gab es nur einen kurz angesetzten Umbau-Break. Kein Wunder, ist doch das technische Setup der Nottingham-Arbeiterpunks nicht das aufwändigste. Leider streikte aber doch die Technik, und das Sleaford Mod’sche Set musste leider um knappe 20 Minuten später gestartet und dadurch auch etwas gekürzt werden. Schade, denn der gute Herr Jason Williamson weiß weiterhin, wie man sich on stage ordentlich die Kalorien aus dem Körper schwitzt. Politisch sind die Sleaford Mods immer noch gefangen im „UK Grim“, wie ihr aktuelles Album heißt. East Midland-Electropunk, der auch Rishi Sunak mit Sicherheit nicht gefallen wird, vorgetragen mit einer Brachialität, die auch fünfzehn Jahre nach Bandgründung nichts von ihrer Relevanz eingebüßt hat. Solider Auftritt vor den ausharrenden Fans, next time dann mit Full Set wieder, gell!

Cro

Als Cro die Bühne betrat, hatte es auf der Main Stage wahrscheinlich 40 Grad und der Bass drückte in den Bauch. „Wo sind die Ladies?“, begrüßte der Rapper das Publikum. Der erste Wavebreaker war bereits gesperrt, auf der Bühne stand ein Griller/Dj Pult und Blowup-Blumen. Der Song „Hey Kids“ aus 2012 war der Einstieg und mit Band und Backup Chor besang Cro das Publikum. Special Guest war Bad Chief. Hin und wieder spuckte es Feuer vor der Stage und Großteils wurden neue Tracks präsentiert.

„Wow, Linz hat schon einige Feger“, hallte es durch das Festival Gelände und verwirrte Blicke trafen sich in der Menschenmenge. Passend für das Durchschnittsalter der Fans gab es dann eine Hüpfburg und vier junge Mädchen wurden auf die Bühne geholt, um mit ihrem Idol auf und abzuspringen. Außerordentlich spannend war das Konzert musikalisch jedenfalls nicht. Als Zugabe gab es dann „Easy“. Wie reflektiert das Verhalten des Rappers auf der Bühne war, sei dahingestellt. Fragwürdig ist auch, inwiefern es 2023 noch Macho Gehabe auf der Bühne braucht, um eine Crowd von sich zu überzeugen. 

Ashnikko

Leider 15 Minuten verspätet, aber dafür mit eigner Stage Szenerie, betrat die amerikanische Sängerin Ashnikko zum ersten Mal eine österreichische Bühne. Mit zwei Background Tänzerinnen und heftigen 8o8 Beats ließ sie die Menge eskalieren. Sie hatte sichtlich Spaß auf der Bühne, was die Crowd noch mehr anheizte. Aber selbst die wildeste Performerin zeigte sich von ihrer einfühlsamen Seite und entschuldigte sich herzlichst bei einem Fan, als dieser unabsichtlich von ihrer Wasserflasche getroffen wurde. Die Line „I know you think about me in the shower / Pornhub in your browser/ Fantasise about the pussy power”, aus dem Song “Stupid“, blieb bei uns hängen. Eine geniale und konträre Atmosphäre zu der Macho dominierten Main Stage.

Uns wurde klar, wieso einige Besucher/innen eigentlich nur für Ashnikko gekommen waren. Der Auftritt wurde dann nochmal mit einer Skater Boy Cover getoppt – das Publikum war in Ekstase. Mit Cheerleader Pompons bewaffnet, gab es von der Sängerin und den zwei Tänzerinnen akrobatische Choreos und Twerking, wie man es von TikTok kennt. Ihr bekanntester Song „Daisy“ war der Abschluss. Ashnikkos geballte Power, gemischt mit ihren rabiaten Texten, machte sie für uns zur Krönung der Ahoi Pop Summer Stage. 

Apache 207

Zitat vom Kollegen: „So siehts aus, wenn Salt Bae in Linz eine Tankstelle eröffnet“. Rauchbomben explodierten, als Apache 207 die Bühne betrat. Man vermutete, die Macho Attitüde, die Cro vorgelegt hatte, geht gleich weiter. Falsch gedacht. Der Mannheimer Rapper zeigte sich von seiner besten Seite und die Fans waren voll dabei. Die Kulisse war einzigartig: „Apache Oil“ Tankstelle, ein Mercedes Cabrio mit goldenen Felgen und eine Linz Ortstafel schmückten die Stage. Der Hit „Kein Problem“ führte zu Moshpits und vor der Bühne wurde mitgebrachter Rum gegen Zigaretten getauscht. Wieder spuckte es Feuer und die Fans tanzten und schrien. „Linz, fühlst du das auch“ schien dementsprechend passend.

Der Mann, der immer gleich bleibt, hatte einige Überraschungen im Gepäck. „Rhythm Is A Dancer“ wurde abgespielt und T-Shirt Kanonen beschossen die Crowd. Daraufhin glitt Apache 207 auf seinem Boot „Elisabeth“ hinter der Bühne hervor und zwang das Publikum zum Szenen Wechsel. Hinter dem ersten Wavebreaker angekommen, betrat er eine kleine Bühne und das Lied „Madonna“ wurde mit Live Band performt. Eine außergewöhnliche Idee, die uns sehr gefiel. „My Heart Will Go On“ dröhnte, beim zurücksegeln des Bootes, aus den Boxen und die Menge wurde zum Chor. Es hörte einfach nicht auf Spaß zu machen. Riesenfußbälle wurden bei dem Song „Sport“ zu den Fans gekickt und als Zugabe kam dann der langersehnte Hit „Roller“. Extrem gute Stimmung und eine angenehme Atmosphäre, hinterließen einen sehr sympathischen ersten Eindruck des erfolgreichen Deutschrappers.

Phoenix

Zu Klassik marschieren sie ein, und rockig legen sie gleich los. Phoenix, die französische Indie-Pop-Band, sind schon seit 1996 auf internationalen Bühnen unterwegs. Sonst spielen sie heuer am Coachella oder am Primavera Festival, also warum nicht auch am LIDO SOUND! Derzeit sind sie mit ihrem siebten Album „Alpha Zulu“ unterwegs, das vergangenen Herbst erschienen ist. Gestern in Mannheim beim Maifeld Derby, heute in Linz. Die Bühne mit dem riesigen Rahmen als Projektionsfläche erinnert vom Setting her fast an Kraftwerk. Aufgefädelt stehen sie da, Gesang, zwei mal Gitarre aber auch mit Keyboards, ein Bass, und dahinter thront der Drummer. Aber was dann auf der Stage abgeht, ist weit weniger starr.

Schon beim zweiten Song gibt das Mikrofon auf und wird schnell ersetzt. Das Setting im dunklen Zelt der Ahoi!Pop Stage lässt die Sonne draußen vergessen und macht es möglich, das Maximum aus der großen Leinwand herauszuholen. Vom Prunksaal im Schloss Versailles (von wo sie herkommen) zu kantigen Grafiken. Wolken ziehen auf, es blitzt und dann explodiert ein Regenbogen an Farben. Sie hätten die große Bühne bei Nacht und mindestens doppelt so viel Publikum verdient. Aber es ist eben Sonntag, der letzt Festivalabend, und bald beginnt Peter Fox, man merkt wie die Leute Richtung Main Stage wandern.

Peter Fox

Irgendwo, da ganz vorne, da spielt jetzt gleich Peter Fox. Hinkommen? Eine Herausforderung. Wer jetzt noch nicht im Wavebreaker ist, hat keine Chance mehr. Außer man hat mehr gezahlt, dann geht’s über die VIP Tribüne. Darum harren die meisten Fans schon seit Stunden im Front of Stage aus. Sie haben die pralle Sonne ausgehalten und mit Cro und Apache 207 mitgefeiert. Oder sie irgendwie ertragen. Sind ja doch sehr verschieden.

Peter Fox hat 2008 mit dem Album Stadtaffe seine Solokarriere gestartet, unabhängig von Seeed. Und eigentlich auch schnell wieder beendet, weil ihm der Rummel um seine Person zu viel geworden ist. Um so überraschender war, als dann im Herbst 2022 mit Zukunft Pink doch wieder eine neue Solo-Single rauskam. Und sein zweites Soloalbum Love Songs erschien am 26. Mai 2023 und erreichte gleich mal Platz eins der deutschen Charts.

Und ja, er kann es noch. Er hat die Menge von Beginn an gut unter Kontrolle. Sie viele Leute wie jetzt waren wohl am ganzen LIDO SOUNDS noch nicht auf der Main Stage. Nicht nur seine riesige Crew aus Berlin war da. Dahinter tummelten sich hunderte Tänzer:innen auf der Bühne. Die waren aus Linz und konnten sich vorab für diesen besonderen Spot bewerben. Dafür gaben sie während der ganzen Show auch alles.

Aber auch das ganze Publikum tanzt. Schön ist auch, dass man zum Ende des Festivals viele Menschen im Team-Shirt in der Menge sieht. Das sind die Leute aus den Bars, den Essenständen, die Ordner an den Zugängen, die Helping Hands, die das ganze aufgebaut haben und noch heute Nacht wieder abbauen werden. Jetzt haben sie endlich auch mal Zeit, mit allen gemeinsam zu feiern. Kurz vor 22 Uhr kommen noch die großen Hits. Zukunft Pink und Alles neu. Aber ein Song fehlt noch, doch die Stage ist schon leer. „By public demand“ kommen sie nochmal auf die Bühne. Haus am See, ruft das Publikum. Und das bekommen wir dann auch zu hören. In einer wunderbaren langsamen Akustik Version. Zum Abschied gibt uns Peter Fox ein große L. L wie LIDO SOUNDS, L wie Linz. L wie love city.

Text: Felix Maierl (links), Andreas Kepplinger (rechts), Christoph Leeb (Sleaford Mods)
Fotos: Lisa Leeb, Christoph Leeb


LIDO SOUND 2023

LIDO Sounds

16.-18. Juni 2023
lidosounds.com

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