Auf ins Salzkammergut. Das Festival der Regionen in Bad Ischl
Foto: Lisa Leeb

Festival der Regionen 2021: Unter Tag / Underground

Seit 30 Jahren bildet das Festival der Regionen den zeitgenössischen Gegenpunkt zu den oberösterreichischen Landesausstellungen. Das biennale Kunstfestival will auch in seiner 15. Ausgabe partizipatorische, interdisziplinäre wie inklusive Arbeitsansätze weiterführen und ausbauen. Wie dies gelungen ist, haben wir uns im Salzkammergut angesehen.

„Im ersten Stock is nix“, bekommen wir an der ersten Location in Bad Ischl zur Begrüßung zu hören. Gut, passend zum Titel hätten wir auch eher mit dem Keller gerechnet. Stattdessen ist die Ausstellung im zweiten Stock des historistischen ehemaligen Post- und Telegraphenamt untergebracht. Offiziell sind es gleich mal sechs Ausstellungen aus den 24, die im Folder aufgelisteten sind. Hier reihen sich Comics an einen Kurzfilm und Bilder von Bashir Qonqar (der auch noch weitere Orte bespielt) an Fotografien, die sich mit der Pandemie beschäftigen. Vielseitig, aber ein Zusammenhang lässt sich nicht erkennen.

Dass das Festival dieses Jahr keinen ruhigen Ort beleben möchte, sondern sich in eine sehr von Sissi, Franz Josef und der Monarchie geprägten Touristenmagneten begab, verwundert etwas. Nachdem bereits die vor-vorletzte Ausgabe in Ebensee stattfand, ist 2021 die fdr-Zentrale in der bekannten Trinkhalle des nur 18 Kilometer entfernten Kurorts Bad Ischl untergebracht. Weitere Orte sind Goisern, Hallstatt, Lauffen, Obertraun oder auch erneut Ebensee. Die Entscheidung dazu fiel bereits vor der Pandemie, von der hier fast nichts mehr zu merken ist.

wohin?

Das Festival zu besuchen ist dennoch garnicht so einfach. Eine Karte fehlt leider im Programmheft, also spazieren wir durch den belebten Ort auf der Suche nach Markierungen. Zwischen Sommerfrischlern, einem Oldtimer-Autocorso, dem kitschigen Töpfereimarkt und den Gästen, die zum Cafe Zauner auf der Espanade eilen, fallen die paar Linzer Kulturtouristen fast nicht auf. Aber man trifft doch einige bekannte Gesichter. Zum Beispiel im sonst auch als Kino, Konzert oder Kabarett-Location genutzten Lehartheater, wo eine fünf Meter hohe Skulptur von Florian Nitsch den kompletten Zuschauerraum einnimmt.

Im angebauten ehemaligen Sportgeschäft befasst sich eine Installation von Betül Seyma Küpeli mit Gastabeiterinnen aus der Türkei und Jugoslawien. Die angeworbenen Frauen kamen ab den 1950ern nach Bad Ischl, um hier für Lodenfrey die im Salzkammergut traditionelle Trachtenkleidung herzustellen. An der „Dreifaltigkeitssäule“ gehen wir fast unbemerkt vorbei, wie auch an den „Fundstücken“ von Teresa Distelberger. Ebenso wie die Geschichte der 30er und 40er Jahre, mit sich die Künsterlerin befasst, sind sie gut im Stadtbild versteckt und leicht zu übersehen.

Auf zum nächsten Ort

Zweiter Stopp unseres Trips zum Festival der Regionen: Hallstatt. Hallstatt? Ja, das ist doch der Ort, den Nicht-Pandemiezeiten zigtausenden meist asiatischen TouristInnen stürmen. An diesem heißen Wochenendtag kommt man allerdings in den Genuss von nicht komplett verstopften Gassen, herrlichem Sonnenschein – und einer Festival der Regionen-Führung von Intendant Airan Berg persönlich. Gemeinsam mit Bürgermeister, Intendant und (natürlich nicht) mehr als 23 KulturfreundInnen machen wir uns auf durch die Stationen in einem Ort, der es ob des Overtourism immer schwieriger für Einheimische macht, Wohnraum zu finden. Aber dazu später mehr.

Der Start war auf der Badeinsel geplant – der einzige Ort, wo auch sonst TouristInnen und Einheimische „minglen“ können.  „The Grid“, gestaltet von der Akademie der Bildenden Künste (Wien) machte den Anfang. Ein „ausgegrabenes“ Objekt ohne geklärten Ursprung ist der Hauptprotagonist des Projektes. Mittels Poolnudeln auch physisch dargestellt, sollten BesucherInnen Hinweise auf den Ursprung des bronzenen Objektes geben können, gepaart mit einer „Wanted“-Plakataktion im Ort. Ob die Herkunft mittlerweile geklärt wurde?

Weiter ging es mit „Heldinnen der Provinz“, einer audiovisuellen Ausstellung von Magdalena Stammler in den Räumlichkeiten der HTBLA Hallstatt. Stammler beschäftigt sich hier mit den Rollenbildern von Frauen, gerade im ländlichen Raum. Frauen „vom Land“ werden portraitiert, ihre Geschichten mit Hilfe von (wirklich eindrucksvollen!) Fotos von Karin Hackl und im Rahmen einer Radiosendung im Freien Radio Salzkammergut fertig erzählt. Sicher eines der wichtigsten, eindrucksvollsten Projekte, die wir an diesem Tag bewundern durften.

Berg und See

Apropos „eindrucksvoll“: das Projekt „Gletscher in Not“-Researchlab im Kongresshaus verdient dieses Prädikat ebenso. Es beschäftigt sich mit Klimawandel, dem immer schneller von statten gehenden Schwund der Gletscher im Generellen und des Dachsteingletschers im Speziellen. Ein Gletscher-Menü vom Gasthaus Siriuskogel (leider erst am Sonntag und damit nicht bewertbar), Auswirkungen auf Hallstatt und ein zeitlicher Rückblick bieten hier einen runden Blick auf den Klimawandel. Außerdem wurde ausgerechnet, dass es am Hallstätter See die Fläche von sechs Fußballfeldern – dem inoffiziellen globalen Flächenmaß – Wald brauchen würde, um die Auswirkungen des Gletscherschwundes abmildern zu können. 28 Quadratmeter wurden im Rahmen des „Floating Forest“ gleich mal am Hallstätter See gepflanzt. Ein Fünfmeterraum ist also schon voll.

Das Projekt „Hallstatt: Wohnen im Schaufenster“ der TU Wien beschäftigt sich im ehemaligen Arzthaus der Gemeinde mit dem, wovon Hallstatt am wenigsten hat: Platz. Platz für EinwohnerInnen, SchülerInnen, kurzum: Nicht-TouristInnen. Nicht zuletzt ob des überströmenden Tourismus und des Platzmangels schrumpft die Einwohnerzahl Hallstatts seit Jahren langsam, aber stetig, während der Tourismus boomt. Studierende der TU haben hier mehr oder weniger realistische architektonische Möglichkeiten geschaffen, um Wohnraum zu schaffen. Von Ausbauten am Berg über Wohnen am Wasser bis hin zu einem Turm am Berg. Ein Problem, das Hallstatt noch immer nicht in den Griff bekommt – vielleicht gibt es ja hier Inputs dazu. Nach einer Stärkung am Wasser (ja, in Pandemiezeiten kann man sogar in Hallstatt gemütlich im Gastgarten sitzen) ging es danach auch schon weiter zur letzten Station unseres Trips: Bad Goisern.

Zwischenstopp im Nirgendwo

Am Weg von Hallstatt nach Bad Goisern machten wir bei der Gosaumühle einen kurzen Stopp. Die Gosaumühle war in der Geschichte im Salzkammergut immer ein zentraler Ort, ob als Gaststätte, wo auch Kaiserin Sissi und Kaiser Franz Josef Halt machten, oder als logistisches Zentrum rund um die Holzgewinnung für die Salzproduktion. Später in den 80ern wurde das Gelände auch für die Unterbringung von Flüchtlingen aus zum Beispiel Polen verwendet. Menschen, die hier untergebracht wurden und geduldig auf den Ausgang des Asylverfahrens warteten. Wie auch die Künstlerin Katarzyna Winiecka, die damals noch ein Kind war. In ihrer Ausstellung „Geteilte Räume“ leitet sie uns mithilfe eines Audioguides durch die Räumlichkeiten und ihre persönliche Geschichte. Im Laufe der Woche ist es geplant, die kahlen Wände mit Briefen und Erinnerungen von anderen Migrant*innen zu füllen und so einen persönlichen Zugang für Besucher*innen zu schaffen.

Zu den Wurzeln

In Bad Goisern angekommen hatten wir leider nur mehr sehr wenig Zeit. Deswegen setzten wir den Fokus auf die Ausstellungen im Stephaneum und dem dazugehörigen Turnsaal. Die private kirchlich-geführte Schule wurde rund um 2012 geschlossen. Die Schließung war laut damaligen Bürgermeister „aus sozialer Sicht eine Katastrophe“. Neben den Plätzen für die Schüler*innen gingen auch viele Arbeitsplätze verloren. Nun wird das Gebäude anders genützt. Es hat sich ein Otelo eingemietet und in den ehemaligen Klassenzimmern kann man im Moment die Ausstellung „Enterdet“ von Monika Sobotik und Christian Ecker begutachten. Präsentiert werden Wurzelpräparate, Zeichnungen und Fotografien der Pionier*innen der österreichischen Wurzelforschung.

In der Turnhalle

Die Turnhalle der Schule greift die negative Geschichte der Schule auf und befasst sich mit den Themen Pädophilie, sexueller Missbrauch und Gewalt an Schüler*innen. Schon vor den 1990er-Jahren, wo in Bad Goisern ein Pädophilen-Ring aufgedeckt wurde, wurde die Machtpostion durch das pädagogische und geistliche Personal ausgenützt und die Schüler*innen misshandelt. In der großen Turnhalle hat man das Gefühl, dass noch kurz vorher Kinder durch den Saal getobt sind. Dort wo jetzt zwei Ausstellungen präsentiert werden. „Schüre im Raum“ von Franz Riedl möchte auf einer visuellen Basis darauf hinweisen, dass die tragische Geschichte bereits mit Staub und Spinnweben überlagert wird und der Fokus in der Gegenwart verloren gegangen ist.

„Das offene Geheimnis“ von Bashir Qonqar ist die zweite Ausstellung in dem tristen Turnsaal. Die Mischung aus kleinen Bildern die in den Ecken angebracht wurden und den großen Bildern, die präsent und raumfüllend inszeniert wurden, lässt einen nach und nach die Geschichte rund um den Ort spühren. Im Keller des Gebäudes hat sich das Projekt „The Ugly“ von Jane Kennedy und Roger Titley angesiedelt. Zu sehen ist eine 3-D-Verfilmung zum Thema Missbrauch und die Erinnerungen eines Opfers. Leider hatten wir für dieses Projekt keine Zeit mehr.

Fazit

Das Festival der Regionen 2021 bietet ein buntes Programm. Wobei für Nicht-Ortskundige vor allem Bad Ischl nicht einfach zu erkunden ist. Hallstatt und Bad Goisern setzen sich hier doch gefühlt intensiver mit eigenen Themen auseinander. Auch die Projekte in diesen beiden Orten haben bei uns einen bleibenderen Eindruck hinterlassen. Bis zum nächsten Mal – man darf gespannt sein, wo es das Festival der Regionen in der nächsten Ausgabe hinverschlägt. Angesichts dessen, dass 2024 im Salzkammergut die Kulturhauptstadt ansteht: eine andere Gegend in Oberösterreich wäre schön!

Foto: Lisa Leeb & Andreas Kepplinger
Text: Andreas Kepplinger (Bad Ischl), Christoph Leeb (Hallstatt & Fazit), Lisa Leeb (Bad Goisern)

www.fdr.at

photographer, designer, journalist