Heimatfilmfestival in Freistadt: be loved!

„Heimatfilmfestival“ – der Name des Freistädter Filmfestivals ist Programm. Viele verschiedene Heimaten wurden in den letzten Jahren verfilmt – beim Heimatfilmfestival kann man sich von „Wohnzimmer“ zu „Wohnzimmer“ hanteln, und so viele Einblicke in verschiedene Kulturen sammeln. Der Begriff Heimat bekommt schnell einen weltoffenen Touch – anders, als er in Moment auf verschiedenen Plakaten propagiert wird. Schon zum 29. Mal ist das Filmfestival ein fixer Bestandteil des Freistädter Kulturlebens. Bis Sonntag hat man noch die Chance, die Welt von wundervollen und spannenden Heimatfilmen zu erkunden.


Auch wenn heuer mehre Tage fürs Heimatfilmfestival eingeplant waren, schaffte ich es durch verschiedene Umstände leider nur am Donnerstag. Früh morgens machte ich mich am Weg nach Freistadt – voller Vorfreude und großer Erwartungen. Wenn man als Neolinzerin seine Heimat besuch,t ist es immer etwas Besonderes – und ja, ich spreche hier nicht von der schönen Landschaft, sondern vom Frühstück, hergerichtet von der Mutter! Gut gestärkt holte ich mir meinen Festivalpass und die Tickets für die Vorstellungen. Das Freistädter Kino ist für seine Gemütlichkeit bekannt – so lädt das kleine „Festivalgelände“ schon von Weitem zum Sitzen und in den Filmpausen zum Verweilen ein – und der selbstgemachte Kuchen von Maria ist das berühmte Tüpfelchen auf dem i. Schön ist es, wenn dem alten Stadtkern wieder Leben eingehaucht wird. Viele mit Festivalmerch bepackte Menschen, die die Stadt erkunden und Italiener bei der Billakasse, die entschuldigend im akzentlastigen Englisch antworten, dass sie kein Deutsch können, verwandeln die kleine Provinzstadt in eine internationale Kulturlandschaft. Eine schöne Abwechslung zu den pokemonverrückten Kids, die den Stadtpark besetzten.

Quelle: IMDb

Quelle: IMDb

Mein erster Film, „Karatsi“, überzeugte mich schon von der ersten Minute an. In schönen Schwarzweißaufnahmen bekam man einen Einblick in das Leben von vier Teenagern aus Bulgarien. Koko verliebt sich in Elena. Elena möchte jedoch Sängerin werden und die schmutzige Kleinstadt mit all ihren Problemen hinter sich lassen. Pasto und Gosho sind ihre besten Freunde und helfen dem selbsternannten „Loser“ in all seinen Lebenslagen. Kokos Eltern leben beide in Griechenland, um Geld zuverdienen. Er blieb mit seiner dementen Großmutter zurück und ist für sie alleine verantwortlich – eine große Herausforderung für einen Teenager. Neben der Schule besteht sein Alltag aus dem Suchen seiner Großmutter, die sich fast täglich auf neue Abenteuer begibt. Die Krankheit Demenz wird hier humorvoll dargestellt, aber immer im Blickwinkel, dass es für die Personen im Umkreis nicht einfach ist damit umzugehen. Auch wenn einem Koko leid tut wenn er viele Stunden vergeblich die Stadt nach seiner Oma absucht, kann man sich das Lachen nicht verkneifen, wenn sie dann mit wehenden Nachthemd und Schal auf einer Ladefläche eines pickupartigen Gefährts die Schienen entlang vorbeifährt. So sehr sich Koko seine Eltern herbei sehnt, so sehr wünscht sich Elena, dass sie ihre Mutter endlich verlassen kann. Elena hat ihren Vater nie kennen gelernt und lebt mit ihrer Mutter in einer kleinen Wohnung. Ihre Mutter bevorzugt es, mit älteren Männern intim zu werden – unter anderem auch mit Elenas Direktor. Mitten drinnen lebt ein kleines Mädchen auf der Straße, ihr bester Freund, der Hund, beschützt sie. Das Mädchen übernimmt auf eine gewisse Art und Weise die Rolle der Allwissenden, gibt Ratschläge und ist voller Weisheiten, als ob sie schon alles auf dieser Welt gesehen hätte. Die Handlung dreht sich primär um den Wunsch Elenas, Sängerin und damit berühmt zu werden, und sekundär um das Konzert einer bekannten Rockband, die in die Stadt kommen soll. Koko möchte Eindruck schinden und belügt Elena, zwei Karten für das Konzert zu haben. Da beginnt der Tumult und die Handlung nimmt eine ungewöhnliche Wendung – mehr dazu möchte ich nicht sagen, spoilern soll man ja nicht. Ein Film, den ich nur sehr sehr weiterempfehlen kann, mit seiner ausdrucksstarken Kameraführung und seinem bizarren Humor beeindruckte er extrem. Ein Film zum Lachen, Weinen, zornig Aufstampfen und zum Träumen – Lieblingsfilm-Potenzial!

Quelle: Homepage vom Film

Dass der nächste Film meinen Festivalopener nicht übertreffen könne, war mir schon davor klar. Dass er jedoch so verwirrend und langatmig sei, hätte ich mir nicht gedacht. Mein (einziger) Griff ins Klo – filmtechnisch, nicht buchstäblich – war der tschechische Spielfilm „Nikdy nejsme sami“. Schon in der Beschreibung heißt es „Keiner ist Allein“ – dass dies eine Anspielung auf die creepy horrorfilmhafte Art und Weise ist, war mir nicht bewusst. Mehrer Charaktere wurden vorgestellt, kurz eingeblendet, aber die Momente, wo man erkannte, was die Aufgabe der jeweiligen Person im Film ist und welche Charakterzüge diese  verfolgt, waren nur sehr kurz bzw. kaum vorhanden. Ein Film, der die Geschichte eines paranoiden Gefängniswärters, eines Hypochonders, einer einsamen Hausfrau, eines Nachclubbesitzers und einer Stripperin zusammenführen soll. Leider wurde dies auf so vielen subtilen Wegen versucht, dass das Ziel, „Verbundheit“ zu erzeugen, nur sehr verschwommen wahrzunehmen ist. Leichte Schnarchgeräusche aus dem hintern Teil des Kinos bestätigten meinen Eindruck – ein Film, den man sich nur hellwach und ausgerüstet mit viel Koffein anschauen kann – und ihn dann vielleicht auch versteht. Bei Schlafproblemen würde der Film sicher helfen – die Doku „Universum“ ist dagegen sehr aufputschend.

Quelle: Homepage Wirfilm

Foto: Wirfilm

Weiter geht es mit den beiden deutschen Projekten „Früher oder Später“ und „ein idealer Ort“, die im Rahmen des „WIRFILM“-Specials gezeigt wurden. „Früher oder später“, der erste Teil einer Dokumentation über ein verlassenes Eck in Oberbayern. Das Leben von Ernst und Roswitha steht im Mittelpunkt – das Besondere an den beiden ist es, dass sie neben ihrem landwirtschaftlichen Betrieb auch noch für die Beerdigungen in ihrer Gemeinde verantwortlich sind. Eine spannende Darstellung über das Leben und den Tod in der doch sehr ländlichen Umgebung. Der Film ist das Abschlussprojekt der jungen Regisseurin Pauline Roenneberg. Im Fokus liegt die Wahrnehmung des Themas „Sterben“, wie es von Profis aufgenommen wird, wie diese mit dem Thema umgehen und wie sie sich selbst abgrenzen können. Auch das Leben in Form einer Enkelin oder eines neuem Kalb macht sich breit im Alltag der beiden Protagonisten. Exzellente Kameraführung und guter Ton ermöglichen eine Blick in eine andere Welt. Detailtreu – und auch wenn, man es bei einigen Stellen ein Drehbuch im Hintergrund vermutet, wurde beim Q&A klar festgeslegt, dass die Tatsachen nicht verzerrt wurden und die Aufnahmen bis auf ein paar Ausnahmen nicht gestellt wurden. Ich bin schon auf die anderen drei Teile gespannt und hoffe sehr darauf, dass diese in den nächsten Ausgaben des Filmfestivals zu sehen sind.

Quelle: Homepage WIRFILM

Foto: Wirfilm

„Ein idealer Ort“ zeigt ein kleines Dorf, das von der Urbanisierung unser Zeit stark betroffen ist und wo das Wort Landflucht zum alltäglichen Sprachgebrauch zählt. Eine Familie, ein idealistischer, fröhlicher und romantischer Vater, eine Mutter, die den Ort seit ihrem Autounfall hasst, eine vegetarische, pubertierende  Tochter, die sich dem Lebensgefühl „Techno“ verschrieben hat und ein autistischer, künstlerisch begabter Junge bilden das Zentrum des Geschehens. Während die Mutter mit dem Packen der Habseligkeiten beschäftigt ist, kämpft der Vater noch mit seinen Gefühlen. Er ist mit dem Ort stark verbunden und tut sich mit dem Umzug sehr schwer. Die Meinung der Tochter wird kaum berücksichtigt, für sie hat die Bekämpfung der nahe gelegenen Schweinezucht Vorrang und der Umzug dürfte noch nicht zu ihr durchgedrungen sein. Der Junge spürt die Veränderung, zeichnet verschnörkelte Linien an Wände und Straßen. Als der Hausverkauf immer näher rückt, bekommt der Vater leichte Wahnvorstellungen, die sich in Form kurzer Bildfrequenzen äußern, wie das Haus nach dem Auszug verkommen wird und wie unglücklich er dann sein wird.  Die Quintessenz des Filmes ist, dass es sowas wie den idealen Ort nicht gibt, und der meistens nur im Kopf vorstellbar ist. Dieser Gedanke wurde von Anatol Schuster perfekt umgesetzt.

Neben dern bewegten Bildern gibt es auch Fotoausstellungen zu besichtigen, heuer zum Thema „Russen“ und „S10“. Andrej Krementschouk ist gebürtiger Russe und bereist schon seit Jahren seine ursprüngliche Heimat, mit dabei seine Kamera. Eindrucksvolle Bilder zeigen das einfache Leben der Russen. Eindrucksvoll sind auch die Bilder von Hannes Raffaseder – er hat den Bau der S10 dokumentiert und auf Bildern die extremen Erdbewegungen festgehalten. Als Einheimische haben solche Fotos immer einen hohen Stellenwert, denn zu schnell vergisst man, wie die Landschaft vor dem Eingriff des Menschen ausgesehen hat.

WeStoodLikeKings

So wie der Tag mit einem Highlight angefangen hat, so endete dieser auch wieder. Wobei ich die Live-Vertonung des sowjetischen Propagandafilms „Ein Sechstel der Erde“ schon mehr zur „Once in a lifetime“-Kategorie zählen würde. „We stood like Kings“ ist eine Band aus Belgien, die sich der Produktion von „Live-Soundtracks“ für Stummfilmklassiker verschrieben haben. Mit lautem, rockigem, und epischem Sound begleiteten sie den Film. Ein Film, der sich ausschließlich mit dem Thema der Vielfältigkeit und dem Reichtum der Sowjetunion befasst. In einfachen Botschaften wird der Fortschritt des Landes und die gute Revolution gezeigt – „du bist ein Teil von dem schönen Land“. 1926 machten sich Dsiga Wertow und Michail Kaufman auf den Weg in die entlegensten Ecken der damals neuen Sowjetunion. Eine wundervolle Performance, die man nur weiterempfehlen kann – auch wenn man danach leicht desorientiert ist und kurz verleitet wird, ein unkritisches Loblied auf die Sowjets zu singen.

Ein perfekter Abschluss für den einen Tag am Heimatfilmfestival, und da es nach dem einmaligen und wundervollen Auftritt von „We stood like Kings“ es einfach nicht mehr besser werden kann, beschloss ich heimzufahren. Reicher an vielen neuen Eindrücken, Meinungen und Erfahrungen begebe ich mich Richtung Heimat. Wer sich selbst noch ein Bild davon machen möchte, hat bis Sonntag noch die Chance dazu – ich kann es nur empfehlen. Liebes Heimatfilmfestival, danke für die neuen Eindrücke und ich freue mich schon auf die dreißigste Ausgabe. Bis nächstes Jahr!

 

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