DREDG: „Unsere größte Angst besteht darin, uns zu wiederholen“
Musik ist dann am besten, wenn sie uns etwas über unser eigenes Leben erzählt. Die Musik von Dredg tut das seit jeher und offenbart sich dem Hörer in den höchsten Höhen und tiefsten Momenten. Mal melodisch und eindringlich, mal versöhnend und sensibel.
Surreale Abstraktionen treffen neuerdings auf recht eingängige musikalische Kost. Schuld daran ist Dan The Automator, ein Produzent, der schon mit Mike Patton oder Kasabian neue Dinge ausprobiert hat. Dredg haben unüberhörbar die alten Pfade verlassen, damit aber nicht nur Freunde gefunden.
Im Interview mit subtext.at sprechen Gitarrist Mark Engles und Sänger Gavin Hayes über Produktionsprozesse, neue Arbeitsmethoden, Popmusik und darüber, welche Angst vorherrscht, wenn man sich nicht wiederholen möchte.
subtext.at: Weshalb habt ihr das Album gerade „Chuckles And Mr. Squeezy“ genannt? Ist ja doch recht sonderbar, und die dazugehörige Story im Booklet vereinfacht es auch nicht gerade…
Mark Engles: Das war meine achtjährige Nichte, sie hat sich diese Geschichte einfallen lassen. Deswegen haben wir aber nicht den Namen, das war mehr ein Scherz von unserem Musikingenieur, Tim Carter. Er hatte die verrückte Idee von zwei berühmten Rodeoclowns, die auch Musik machen. Chuckles und Mr. Squeezy würde er das Duo nennen. Zuerst haben wir darüber gelacht, weil es einfach so lustig war. Nach einiger Zeit, als wir selber über einen Albumtitel nachgedacht haben, kamen wir zurück zu dieser Idee. So andersartig und auch catchy, da mussten wir es nehmen. Vor allem auch, weil auf dem Album für uns so ziemlich alles neu ist.
subtext.at: Eine sehr ungewöhnliche Dredg-Platte – auch für mich.
Mark: Ich würde nicht sagen, dass sie ungewöhnlich ist, sondern es ist ungewöhnlich für uns, solch eine Platte zu machen. Da sehe ich einen größten Unterschied.
Gavin Hayes: Dem stimme ich zu. Denkst du, dass wir damit Erfolg gehabt haben? Das wir unser Ziel erreicht haben?
subtext.at: Ich denke, dass man der Platte einige Anläufe geben und sich auf sie einlassen muss.
Gavin: Das kann ich verstehen. Auch wenn du sie nicht mögen solltest – wir wollten einfach etwas Neues ausprobieren und weg von den alten Pfaden.
Mark: Diesen Schritt wird es bei uns immer geben.
subtext.at: Klanglich scheint ihr euch mehr auf kleine Details konzentriert zu haben, vor allem auf elektronische.
Mark: Was die Produktion angeht, da hat Dan The Automator seine Finger im Spiel gehabt. Er war das. Das Album wurde von ihm zusammengefügt. Wir haben die Songs geschrieben und wir haben die Sounds eingebracht, aber die Platte trägt seine Handschrift. Es war eine Kollaboration, wenn du so magst. Wir wollten einen frischeren Zugang haben, die Songs zwar schreiben, aber sie in die Hände eines Produzenten geben. Den letzten Schritt sollte er machen. Normalerweise analysieren wir alles durch und kämpfen verbal um die Songs, die Produktion. Für „Pariah“, unser letztes Album, haben wir vier Jahre gebraucht. Das wollten wir nicht noch einmal. Wir wollten es gegenteilig machen. Und schnell.
subtext.at: Fiel es euch leicht, diesen Schritt zu machen? Jemand anderem die Songs zu überlassen?
Mark: In diesem Fall – schon. Es hat sich einfach richtig angefühlt. Kathartisch irgendwie. Wer weiß, ob wir nicht das nächste Mal wieder um das Album kämpfen werden?
subtext.at: Ihr nennt es Dark-Pop.
Gavin: Ja.
subtext.at: Damit seid ihr immer noch einverstanden?
Mark: Ja, denn für uns ist es im Grunde Popmusik. Wenn du es mit anderen Sachen vergleichst, die im Radio laufen, dieses Kaugummizeug, dann geht es nicht konform. Es ist nicht diese Art von Pop. Aber poppiger können Dredg aus unserer Sicht nicht mehr werden. Es gab auch schon davor auf unseren Alben poppige Songs, aber da war die Produktion vielleicht größer. Mehr Gitarren, mehr Schlagzeug.
subtext.at: Neil Tennant von den Pet Shop Boys hat verlauten lassen, dass die heutige Popmusik für Erfolg steht, nicht als Medium für Ideen zu gebrauchen ist. Was sagt ihr dazu?
(kleine Pause)
Gavin: Es ist ein gutes Zitat, er hat wahrscheinlich auch recht damit, aber ich weiß nicht, ob das unsere Richtung überhaupt beschreibt. Wenn wir nach dem Zitat gehen würden, dann würden wir komplett fehlschlagen. Unsere Band wird nie so erfolgreich sein. Es kann funktionieren, es muss aber nicht.
Mark: Wir wollten etwas machen, was wir davor noch nicht ausprobiert haben. Keiner von uns hat gesagt „Das wird groß werden!“. Nein, so war es nicht.
Gavin: Aus meiner Sicht sind die Songs nicht wesentlich poppiger als unsere alten Sachen.
Mark: Nimm ein paar Lieder von „Catch Without Arms“ oder „El Cielo“, wie „Spitshine“ – wenn diese Songs die Produktion unseres jüngsten Albums genossen hätten, dann würden sie heute noch poppiger klingen. Alle Leute schauen auf den Sound, aber „Chuckles And Mr. Squeezy“ hat einige dunkle Lieder drauf. Es gibt keine großen Gitarrendelays von mir oder Dinos große Schlagzeugsalven.
Gavin: Die Leute schießen sich auf die elektronischen Spielereien ein…
Mark: Und meinen dann „Oh mein Gott, es ist POP!“ (lacht).
Gavin: Wie zum Teufel können sie nur so etwas fabrizieren (lacht)? Die Leute sagen uns dann, dass sie Livedrums hören möchten und wir einen tollen Schlagzeuger haben – weshalb verplempern wir unsere Zeit mit diesen elektronischen Dingen? Wir sagen ihnen dann, dass die ganzen Beats auf sein Konto gehen. Er ist dafür verantwortlich, nicht wir. Den alten Scheiß mag er einfach nicht mehr spielen (lächelt). Man muss ihn schon selbst fragen, warum er sich dazu entschlossen hat. Ich weiß es nicht. (überlegt kurz) Uns gibt es inzwischen seit 17 Jahren, da können wir nicht einfach zurückgehen und ein zweites „El Cielo“ aufnehmen. Es würde nicht funktionieren. Oder die „Pariah“ noch einmal machen.
Mark: Unsere größte Angst besteht darin, uns zu wiederholen.
subtext.at: Auf der einen Seite gibt es diese elektronischen Elemente, auf der anderen Songs wie „Kalathat“, der warm und zugänglich aus den Boxen kommt. Wie knisterndes Feuer.
Gavin: (lächelt) Weißt du, wir haben schon immer diesen akustischen Zugang zur Musik gehabt. Vielleicht haben wir diese Idee nicht bis zum Ende verfolgt, was wir bei dem Song jetzt gemacht haben. Das ist eben die Songwriter-Perspektive. Speziell „Kalathat“ mag ich sehr, weil er anders ist und der Text gut ist, aus meiner Sicht eines Texters. (kurze Pause) Ist der Song poppig?
subtext.at: Es ist brillant.
Gavin: Danke schön (lächelt).
subtext.at: Bei euch habe ich stets das Gefühl, dass ihr ein Studio als weiteres Instrument begreift. Oder eben der Raum, in dem ihr aufnehmt. Ist das so?
Mark: (überlegt kurz) Bei dieser Platte nicht, bei den anderen stimmt das schon.
Gavin: Diese Platte war im Grunde nur zwei Tage lang im Studio.
subtext.at: Das ist sehr kurz.
Gavin: Das stimmt. Einmal in San Francisco, das andere Mal war es eigentlich gar kein richtiges Studio. Es war bei einem Künstler namens David Chow, der eine Art Hangar für sein künstlerisches Schaffen hat. Ansonsten waren wir immer bei Dan in seinem Haus, der hat dort ein eingerichtetes Studio.
Mark: Wir haben dort einige Wochen mit den Aufnahmen verbracht.
subtext.at: Das R.E.M.-Album „New Adventures In Hi-Fi“ soll unterwegs in Soundchecks und an ungewöhnlichen Orten aufgenommen worden sein. Ich spüre da eine Verbindung zu euch und könnte mir das bei euch auch sehr gut vorstellen.
Gavin: Da hast du sogar recht, denn einige Dinge sind beispielsweise in einem unserer Schlafzimmer entstanden, einfach so. Wir hatten viele Demos angefertigt, die hier und da aufgenommen wurden. Dan hat zu uns gemeint: „Wieso wollt ihr diese Dinge noch einmal aufnehmen? Benutzt sie doch einfach, ihr habt sie ja schon.“ Wir verlieren ja eigentlich Zeit, weil wir etwas erneut kreieren möchten, was wir schon haben. Also haben wir einfach Dinge in Marks Schlafzimmer aufgenommen oder in dem von Dino. Da gibt es schon eine Verbindung zu den Aufnahmen, den Studios und den Schlafzimmern (lacht).
subtext.at: Ian Curtis von Joy Division war der Ansicht, dass man jeden Song fertig stellen sollte, den man anfängt. Derselben Meinung?
Mark: (überlegt) Für uns ist das sehr schwer, weil wir eine demokratische Band sind. Es gibt Vorschläge, die auf Eis liegen, weil nicht jeder zur gleichen Zeit mit ihnen einverstanden ist. Vielleicht nimmt man sie später heraus, aus diesem mentalen Kühlschrank. „The Ornament“ vom neuen Album gibt es schon seit einer ganzen Weile. Wenn es nur Gavin wäre, der entscheidet, dann wäre es bestimmt so. Wir wären dann einfach nur Musiker, die spielen, ohne uns selbst einzubringen. Das hat gute und schlechte Seiten, unsere Arbeitsweise – wie auch immer man es auslegen möchte.
Gavin: Da möchte ich gleich einhaken und widersprechen: Ich habe diesen Song 1997 geschrieben. Wenn ich ihn mir jetzt ansehe, dann hätte ich ihn lieber nicht fertigstellen wollen (alle lachen). Es kommt wohl auf das richtige Timing an.
subtext.at: Hätten Dredg auch in einer anderen musikalischen Epoche oder Zeit funktionieren können? In den 70ern, den 80ern…
Mark: Ich wünschte, dass wir in den 70ern gewesen wären. Ich weiß nicht, ob es damals für uns funktioniert hätte, aber ich liebe diese Zeit. Die frühen Siebziger gefallen mir besonders.
Gavin: Denke schon, dass es möglich wäre. Nicht in allen Epochen oder Zeiten, aber in den meisten.
Mark: Ich wünsche mir, dass ich jemandem aus dem Jahr 1860 eine Band wie Cannibal Corpse zeigen könnte (alle lachen). Das wäre doch total unglaublich!
Gavin: In den 60ern und 70ern hätten wir bestimmt funktioniert, wegen der ganzen Psychedelia und dem Acid (lächelt).
subtext.at: Glaubt ihr, dass Rock dann am interessantesten ist, wenn er Einflüsse aus anderen Genres übernimmt und sich zu eigen macht?
Mark: Ja, total. Es gibt zwar einige Bands, die ich mag und nur aus Gitarre, Schlagzeug, Gesang und Bass bestehen und das total gut machen, aber für mich gibt es da mehr.
Gavin: Rockmusik war schon immer so. Da werden Streicher eingesetzt aus der Klassik oder ganz andere Elemente. Diese Szene präsentiert sich auf so viele unterschiedliche Arten. Davon kann man nur profitieren.
subtext.at: Welche Eigenschaften, kreative oder welcher Art auch immer, mögt ihr besonders beim jeweils anderen?
Mark: (überlegt kurz) Gavin verblüfft mich wegen seinem Sinn für Melodien. Bei Drew sind es seine künstlerischen Vision und Ideen, er hat immer neues in petto. Ihm fallen Dinge ein, die uns von anderen Bands unterscheidet. Dino ist einfach stark (grinst).
Gavin: Das stimmt. Mark hat ein Auge für Details. Drew bringt Ideen ein, die auch außerhalb der Musikszene stammen. Dino hat einfach so viel Talent (lacht).
Mark: Er spielt Schlagzeug und Piano gleichzeitig – das kann nicht jeder.
Gavin: Mit Musik kennt er sich bestens aus.
Mark: Er ist wahrscheinlich das musikalischste Mitglied der Band.
subtext.at: Auf der Bühne sieht er immer sehr getrieben aus.
Gavin: Das ist er auch. Sein Talent ist nicht zu übersehen (alle lachen).
Links & Webtips:
dredg.com
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Foto: Universal Music