Atmen – Zwischen Sterben und Leben

Ein junger Mann, eine Jugendstrafanstalt und ein Bestattungsunternehmen. Karl Markovics inszeniert in seinem Regiedebüt einen bemerkenswert ruhige und zugleich unglaublich beunruhigende Geschichte über das Leben und unzählige Tode.

Mit den Füßen blättert Roman die Stellenanzeigen im Kurier durch. Seinem Bewährungshelfer wird er eben jene überreichen, die die „Bestattung Wien“ hineingestellt hat. In Wahrheit ist ihm aber wohl nicht bewusst, womit er dort konfrontiert werden würde. All die Abschiede, all die Tode und die Toten denen er begegnen würde, sind der Grundstein für das Auftauchen. Für das Atmen, zurück an der Oberfläche.

Karl Markovics ist es gelungen, in seinem allerersten Film hinter der Kamera, den Tod so hässlich und so schön wie möglich einzuschnappen. Mit manchen Bilder schockiert er etwas, mit anderen berührt er und schafft es, dass nicht nur Roman Kogler während des Films eine gewisse Wandlung durchlebt. Sparsame Dialoge, mit manch witziger Pointe, in zum Teil tiefsten Wiener Dialekt. Der österreichische Beitrag für den Bewerb um den Auslandoscar 2012 beweist, dass in der Ruhe manchmal nicht nur Kraft, sondern auch Bildgewaltigkeit entsteht.

Selten habe ich es erlebt, dass es – nach dem Ende des Filmes – vollkommen ruhig blieb und der Abspann mit Beifall belohnt wurde. Atmen berührt auf ganz sonderbare Art und Weise. Er regt zu denken an und hinterlässt eine große Frage: Welche Wendung wird das Leben nehmen, wenn man erst einmal auf dem Boden angekommen ist? Roman Kogler wagt einen Neuanfang, tapst vorsichtig von einem Erlebnis zum anderen und lernt nicht nur sich, sondern auch seine Welt völlig neu kennen. Der Film, so traurig er auch mitunter ist, erzeugt ein kleines bisschen Optimismus.

Thomas Schubert – in seinem ersten Film sogleich in seiner ersten Hauptrolle – spielt Roman mit unglaublicher Bravour. Er, der wohl nicht ohne Grund in dieser Jugendstrafanstalt gelandet ist, erzeugt beim Zuseher Mitleid, und zugleich Interesse an der Geschichte hinter diesen traurigen Augen. Den Kuss von Angelina Jolie am Filmfestival in Sarajevo, als er den Preis für den besten Hauptdarsteller erhalten hat, ist somit also mehr als verdient. Aber auch die anderen Charaktere (selbst in den kleinsten Nebenrollen) bilden ein realistisches Bild dieser unbekannten Orte ab.

Atmen ist kein 08/15-Film. Wer sich gemütlich in den Kinosessel lümmeln, Popcorn knabbern und einfach das Gehirn ausschalten möchte, ist hier wohl falsch. Erst langsam eröffnen sich immer neue Seiten der Geschichte, die am Ende eine sinnvolles Abschlussbild ergeben. Wer also kein Problem hat, tote Menschen zu sehen, dem kann ich diesen Film voll und ganz empfehlen. (Aber Achtung: Hier werden die Leichen wirklich sehr wahrheitsgetreu gezeigt.) Und jetzt bleibt mir nur mehr, dem Film alles Gute im Rennen um den Oscar zu wünschen. Verdient hätte er ihn allemal!

29 Jahre alt - Literarischer Blogger (Neon|Wilderness), Autor ("Volle Distanz. Näher zu dir"), Medienblogger (dominikleitner.com), Printschreiber (MFG Magazin), freier Journalist (u.a. BZ), CD-Kritiker (subtext.at) und Detektiv (365guteDinge)