Crossing Europe 2014: L´escale

Der Titel – auf Deutsch „Zwischenstopp“- ist adäquat zum inhaltlichen Verlauf: iranische Immigranten hoffen von Griechenland aus in andere westliche Staaten zu gelangen. Bakhtiaris Dokumentarfilm schafft es ohne Emotionalisierung nahe am Alltag zu sein und Beziehungsebenen einzufangen.


Kaveh Bakhtiaris (geboren in Teheran, aufgewachsen in der Schweiz) Cousin wird verhaftet, als er als illegaler Immigrant versucht, das Land zu verlassen. Der Regisseur trifft ihn nach einem dreimonatigen Gefängnisaufenthalt in Athen. Er erfährt, dass sein Cousin mittlerweile mit anderen Flüchtlingen bei dem Immigranten Amir wohnt. Amir hat selbst den Iran verlassen und hilft ihnen bei Fragen zur Migration, mit Schlepper-Kontakten oder Papieren einschließlich gefälschter Pässe.

Bakhtiari lebt ein Jahr lang mit den Flüchtlingen in der Wohnung und dokumentiert ihren Alltag, der vor allem von Angst, Klaustrophobie, Verzichten, Ungewissheit und zerstörten Hoffnungen geprägt ist. Ein Hungerstreik mit zugenähtem Mund stoßt auf wenig mediales Interesse, Bakhtiaris Cousin wird nach der Rückkehr in den Iran getötet.

Ein jugendlicher Flüchtling wird von der Polizei aufgeschnappt, als er probiert zu seinen Eltern in Norwegen zu gelangen und traut sich daraufhin kaum mehr außer Haus. Die griechische Polizei wird in diesem Film im Allgemeinen als sehr aggressiv dargestellt: Man berichtet, körperlich misshandelt worden zu sein oder davon, dass diese ohne Beweise angenommen habe, dass ein Flüchtling ein Auto aufgebrochen hätte.

Trotz dieser Szenen kann man als Zuseher/in ohne schlechtes Gewissen lachen, wenn sich die Flüchtlinge gegenseitig zum Frisör begleiten oder beim Zurechtmachen helfen, um dem Passbild einer fremden Person zu entsprechen.

Durch das Einfangen verschiedener Stimmungen, das Filmen inner- und außerhalb der Wohnung einschließlich Kochen und Haushaltstätigkeiten wirkt „L´escale“ nahe am Alltag gehalten. Laut dem Regisseur stecke aber viel Überlegung dahinter, um in diese privaten und emotionalen Bereiche vorgelassen zu werden: Bereits Frageformulierungen seien durchdacht.

Ebenfalls abgebildet werden die Beziehungsebenen: Die Flüchtlinge streiten sich, vertragen sich wieder und halten zusammen; weinen bei Gesprächen mit den Eltern, bekommen Panik, wenn sie die Polizei sehen, äußern aber genauso ihren Unmut darüber, kein eigenes Zimmer und somit keine Privatsphäre zu haben oder ihre Wut auf Europa. Die Flüchtlinge lernen sich im Laufe ihres Aufenthaltes näher kennen, jeder erneute Aufbruch fällt schwer.
Dennoch ist die Menge an gezeigten Emotionen darauf abgestimmt, die Zusehenden nicht nur zum Mitfühlen, sondern auch zum Nachdenken anzuregen.

Im anschließenden Gespräch wurde die Frage gestellt, ob es nicht einseitig sei, ausschließlich über Migrant/inn/en aus dem Iran zu berichten und ob dies nicht ein schlechtes Bild auf diesen Staat werfe. Kaveh Bakhtiari entgegnete, dass „L´escale“ kein Film über den Iran, sondern über Migration nach Europa sei. Des Weiteren mache es der Fokus auf eine Kultur leichter, nicht mit Informationen überfordert zu werden. Bei „L´escale“ ist in der Tat immer ein roter Faden vorhanden. Es ist trotz mehrerer Protagonist/inn/en gelungen, über jede/n Einzelne/n etwas zu erfahren.

„L´escale“ wurde 2013 für den European Documentary Film Award nominiert und beim Filmfestival in Cannes präsentiert.
Im Rahmen des Crossing Europe Filmfestivals kann der Film noch kommenden Mittwoch um 11 Uhr angesehen werden. Es bleibt zu wünschen, dass viele weitere Aufführungen folgen.

Die Bewertung der subtext.at-Redaktion:
4/5 Punkte

 

 

Katharina ist Sozialwissenschaftlerin und Redakteurin. Sie beschäftigt sich vor allem mit gesellschaftlichen (z.B. frauenpolitischen) und kulturellen (z.B. Film, Theater, Literatur) Themen. Zum Ausgleich schreibt sie in ihrer Freizeit gerne literarische Texte: https://wortfetzereien.wordpress.com/