Crossing Europe 2014: Violet

Jonas wird vor den Augen seines Freundes Jesses in einer menschenleeren Einkaufspassage erstochen. Der Film von Bas Devos, nominiert für den Award „European Competition“, arbeitet mit wenigen Dialogen und vielen Leerstellen, verwirrt den Zusehenden dadurch aber.


Der 15-jährige Jesse beobachtet, wie Jugendliche auf Jonas losgehen. Dabei ist er wie gelähmt und greift nicht ein. Die jugendlichen Täter flüchten, ihre Motive bleiben ungeklärt. Jonas stirbt vor Ort. Für Jesse beginnt eine Zeit des Schmerzes und der Einsamkeit, wahrscheinlich einhergehend mit Schuldgefühlen. Er spricht kaum mit seinen Eltern oder Freunden aus der BMX-Clique, über Jonas noch weniger. Die Reaktionen sind Hilflosigkeit oder auch Abweisung: Ein Junge möchte Jesse bei Treffen nicht mehr dabei haben, da er ihm Feigheit unterstellt. Einerseits scheint die Zeit manchmal still zu stehen, wenn sich die BMX-Touren wiederholen und die Beziehungen der Cliquenmitglieder distanziert bleiben. Andererseits schreitet die Zeit fort, als wäre nichts geschehen, wenn sich die Ängste von Jesses Eltern reduzieren (die Mutter erlaubt anfangs nur eine BMX-Tour in der Wohnsiedlung) oder die Blumen, Kerzen usw. am Tatort entfernt werden.

Angepasst an das Unaussprechbare und die Sprachlosigkeit über das Geschehen werden Dialoge spärlich eingesetzt. Banalitäten wie das Anbieten eines Getränkes oder das Schimpfen über überholende Autofahrer/innen gehen leichter über die Lippen, lassen aber zugleich den Eindruck entstehen, ausgesprochen zu werden, um überhaupt etwas zu sagen und der unangenehmen Stille entgegen zu treten.
„Violet“ wirkt nicht nahe am Alltag gehalten, da eher einzelne, unregelmäßig auftretende Momente wie etwa der Besuch eines Konzertes, BMX- Touren oder der Hintergrund für eine Verletzung gezeigt werden. Die Schule oder Arbeit, oder Erledigungen kommen nicht vor.

Im gesamten Film wird dem/der Zusehenden viel Platz für eigene Gedanken gelassen: Man erfährt neben den Motiven der Täter weder, wieso Jesse nicht die Rettung gerufen hat, wieso er sich nicht traut, eine bestimmte Strecke mit dem BMX zu fahren, noch ob er sie schließlich doch fährt usw. Bei diesen Aspekten passen die Leerstellen zur Thematik, schwieriger wird es jedoch auf der Beziehungsebene: Es bleibt oftmals unklar, wie die einzelnen Charaktere zueinander stehen und dauert diese- etwa den Vater von Jesse- zu erkennen. Jesses Eltern werden nie gemeinsam an einem Ort gezeigt, der Vater bringt Jesse am Ende des Filmes zu sich. Es könnte also davon ausgegangen werden, dass Jesses Eltern getrennt leben. Nachdem eine Trennung aber nie explizit erwähnt und direkt gezeigt wird, könnte es genauso möglich sein, dass die Eltern doch zusammenleben.

Einzelne Momentaufnahmen ohne Personen wie etwa die eines Nebels oder eine weiße Wand mit einer Lücke für die Natur sind für die Relevanz des Dargestellten fragwürdig. Die Motive scheinen an moderner Kunstfotografie orientiert zu sein. Fotografie oder weitere künstlerische Tätigkeiten sind mit Ausnahme eines Konzertes (das einer Nebenhandlung entspricht) aber nie Bestandteil in „Violet“.

Gelungener sind wiederum der Einsatz schmuckloser Musik und die Einblendung von Überwachungskameras, die das Dargestellte umrahmen.

„Violet“ hat durchaus gute Ansätze zu bieten- wie die Thematik und den Umgang mit Sprache-, überzeugt aber durch die vielen Leerstellen auf der Beziehungsebene und wenig Spannung beziehungsweise eine Art Monotonie im Geschehen nicht komplett.

„Violet“ wurde 2014 zum ersten Mal auf dem Internationalen Filmfestival in Berlin aufgeführt und hat bei diesem den Preis der internationalen Jury für die „Generation 14plus“ gewonnen.

Die Bewertung der subtext.at-Redaktion:
3Punkte

Katharina ist Sozialwissenschaftlerin und Redakteurin. Sie beschäftigt sich vor allem mit gesellschaftlichen (z.B. frauenpolitischen) und kulturellen (z.B. Film, Theater, Literatur) Themen. Zum Ausgleich schreibt sie in ihrer Freizeit gerne literarische Texte: https://wortfetzereien.wordpress.com/